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Beschaffungsmarkt Portugal rückt ins Blickfeld
Portugiesische Unternehmen entwickeln zunehmend eigene technische Lösungen. Präzisionsteile, Energietechnik und digitale Anwendungen wecken auch das Interesse ausländischer Kunden.
25.02.2022
Von Oliver Idem | Madrid
Die Bedeutung Portugals als Beschaffungsstandort nimmt zu. Insbesondere in Spezialbereichen entstehen vermehrt innovative Produkte und Dienstleistungen.
Portugals Wirtschaftsleistung hat sich innerhalb der vergangenen 20 Jahre auf 211 Milliarden Euro verdoppelt. Den tiefen Einbruch der Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte 2020 konnte das Land schnell überwinden. Die Europäische Kommission erwartet 2022 einen realen Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 5,5 Prozent. Damit wäre das Vorkrisenniveau bereits überschritten.
Deutschland zählt zu den bedeutendsten Handelspartnern Portugals. Für Portugal ist Deutschland der drittwichtigste Exportmarkt. Kfz und -Teile sowie Elektrotechnik bilden die größten Warengruppen. Zudem werden Maschinen sowie Mess- und Regeltechnik nach Deutschland exportiert.
Wertschöpfungstiefe der lokalen Unternehmen nimmt zu
Als Partnerland der Hannovermesse 2022 will Portugal die Möglichkeit nutzen, sich als Beschaffungsmarkt der Welt zu präsentieren. Die Schwerpunkte des Portfolios bilden technische Teile, Energielösungen und digitale Ökosysteme. Das Image des Landes als "verlängerte Werkbank" ist vielfach überholt. Der Trend geht zu mehr eigenen Entwicklungen, etwa in der Automation und im IKT-Sektor.
Die Messe findet 2022 in einem Umfeld statt, in dem viele Unternehmen ihre Beschaffungs- und Produktionsstrategien neu ordnen. In Portugal wurde die Diskussion um Lieferketten und Produktionsstandorte von Anfang an als Chance wahrgenommen.
Besonders relevant ist dabei die Tendenz, Lieferanten zu diversifizieren und zusätzliche Partner einzubeziehen, um Risiken und Abhängigkeiten zu minimieren. Lagerbestände aufzustocken könnte ebenfalls Chancen bieten.
Portugal setzt darauf, mit Qualität und Flexibilität zu punkten. Dafür soll auch die räumliche Nähe zu den europäischen Ländern genutzt werden. Bereits jetzt entfällt mehr als die Hälfte des portugiesischen Exportwertes auf die Partnerländer in der Europäischen Union (EU).
Mit den internationalen Billigstandorten für die Massenproduktion kann Portugal nicht mithalten. Stattdessen liegt der Fokus auf einem Angebot mit höherer Wertschöpfung zu einem konkurrenzfähigen Preis-Leistungs-Verhältnis.
Stärken bei technologieintensiven Produkten und Anwendungen
Ein Beitrag zu Portugals Wettbewerbsfähigkeit sind die breit gefächerten Exporte in technisch anspruchsvollen Warengruppen. Diese werden überwiegend in führende Industrieländer geliefert. Der Binnenmarkt ist gerade für Spezialteile oft zu klein. Umso wichtiger sind Kunden im Ausland, die wiederum technologische Innovationen in Portugal beleben.
Das Land hat sich als Standort für die Auftragsfertigung etabliert. Eine wichtige Rolle spielen Präzisionsteile aus Metall, Kunststoff oder Gummi. Diese werden vor allem für Kunden aus der Automobilindustrie, Luftfahrt sowie der Elektro- und Elektronikbranche hergestellt.
Internationale Bedeutung hat auch der auf Kunststoffeinspritzung spezialisierte Formen- und Werkzeugbau. Der Maschinenbau ist auf die Auslandsnachfrage ausgerichtet. Im Bereich der Automation setzen portugiesische Unternehmen vermehrt eigene Akzente.
Über die physischen Produkte hinaus nimmt die Bedeutung von Software und Dienstleistungen zu. Dies gilt zum Beispiel für industrielle Anwendungen.
Neben den technischen Zweigen behauptet sich die traditionsreiche Textil- und Bekleidungsindustrie im internationalen Wettbewerb. Im Jahr 2020 entfielen 7,5 Prozent der portugiesischen Exporte nach Deutschland auf Textilien und Bekleidung sowie 5,7 Prozent auf Schuhe. Die AHK Portugal setzt mit ihrer Initiative Meet Portugal's Best auch darauf, Hersteller von Kleidung und Heimtextilien mit möglichen Abnehmern zu vernetzen.
Auf die Vernetzung zielt auch das AHK Industrial Suppliers Forum. Dabei handelt es sich um eine Einkaufsinitiative von elf europäischen Auslandshandelskammern. Unter den registrierten Anbietern befinden sich auch 35 portugiesische Unternehmen. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Metallbearbeitung und der Herstellung von Kunststoffteilen.
Strengths | Weaknesses |
In modernen Betrieben hohe Produktivität bei niedrigen Lohnkosten | Schulische und berufliche Bildung teils mit Defiziten |
Motivierte Arbeitnehmer, gutes akademisches Niveau | Fachkräfte wie Ingenieure sind knapp |
Überdurchschnittlich gute Fremdsprachenkenntnisse | Schwieriger Kreditzugang für Unternehmen |
Opportunities | Threats |
Außerordentliche Innovationsförderung aus EU-Hilfsgeldern | Abwanderung von Fachkräften ins Ausland |
Unternehmen entwickeln vermehrt eigene Lösungen | Insgesamt hohes Verschuldungsniveau |
Zunahme von Dienstleistungszentren im IT- und Ingenieurbereich | Wirtschaftliche Risiken der Pandemie |
Mehr wissensbasierte Aktivitäten der Unternehmen
Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung nimmt in der portugiesischen Wirtschaft zu. Lokale und internationale Unternehmen bauen diese Aktivitäten auf oder weiten sie aus. Mindestens zwölf Projekte wie Technologie- und Softwarecenter wurden in der jüngeren Vergangenheit umgesetzt. Auch führende deutsche Unternehmen wie BMW, Bosch, Mercedes-Benz, Siemens und Volkswagen setzen auf Portugal.
Als Nährboden für die Vernetzung von Unternehmen und weiteren Partnern sind mittlerweile 19 Cluster im Land entstanden. Diese decken neben traditionellen Schwerpunktbranchen auch neuere Sektoren wie Luft- und Raumfahrt sowie Smart Cities ab.
Mittlerweile arbeiten auch häufiger Unternehmen und Universitäten an gemeinsamen Projekten. In früheren Jahren war ein Kritikpunkt, dass solche Synergien nur unzureichend genutzt würden.
Portugal verfügt über ein gereiftes Ökosystem für Start-ups. Im Jahr 2020 lag ihre Zahl bei knapp 2.200 Unternehmen. Das wichtigste Ereignis in diesem Sektor ist der Web Summit. Er findet jährlich im Herbst in Lissabon statt.
EU-Hilfspaket fördert Effizienz und Nachhaltigkeit in der Produktion
Angetrieben durch Investitionen innovativer Unternehmen und außergewöhnliche Fördermittel legen die Ausrüstungsinvestitionen deutlich zu. Laut der Europäischen Kommission sollen sie 2022 real um 9,2 Prozent und im Folgejahr um 5,8 Prozent steigen.
Rückenwind für die Industrie bringt auch der Aufbau- und Resilienzplan Portugals zur Überwindung der Coronapandemie. Unternehmerische Innovationen werden mit rund 2,9 Milliarden Euro unterstützt. Zudem stehen 715 Millionen Euro für die Dekarbonisierung der Industrie bereit. Weitere 650 Millionen Euro dienen dazu, den digitalen Wandel in der Wirtschaft zu fördern.