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Mode aus Albanien liegt im Trend
Albaniens Bekleidungs- und Schuhindustrie verzeichnet einen neuen Exportrekord – vor allem dank Bestellungen aus Italien. Um weiter zu wachsen, muss die Branche investieren.
21.09.2023
Von Martin Gaber | Belgrad
der Exporteinnahmen Albaniens stammen aus der Bekleidungs- und Schuhindustrie.
Seit der Coronapandemie versuchen Unternehmen in West- und Mitteleuropa ihre Lieferketten zu verkürzen. Eine Option ist Albanien. So exportierte Albaniens Bekleidungs- und Schuhindustrie laut UN Comtrade im Jahr 2022 Waren im Wert von über 1,1 Milliarden US-Dollar (US$). Das ist ein Plus von 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein neuer Rekord. Mit einem Anteil von 26,5 Prozent an den Gesamtausfuhrwert ist die Branche die wichtigste Exportsäule des Landes. Auch für die Beschäftigung hat sie eine große Bedeutung und bietet laut Expertenschätzungen bis zu 150.000 Arbeitsstellen.
Nearshoring treibt Nachfrage nach oben
Albanien gilt vor allem als verlängerte Werkbank Italiens. Im Jahr 2022 gingen 81 Prozent aller Exporte über die Adria in die Modehochburg. Auch bekannte Modehäuser wie Dolce & Gabbana und Versace lassen in dem Balkanland produzieren. Deutschland nimmt Produkte im Wert von etwas über 65 Millionen US$ ab. Trotz des geringen Anteils von rund 6 Prozent ist die Bundesrepublik damit der zweitwichtigste Exportmarkt.
Der Westbalkan ist ein attraktiver Beschaffungsmarkt in Europa. Für deutsche Unternehmen aus der Bekleidungs- und Schuhindustrie könnte Albanien als Sourcingmarkt an Bedeutung gewinnen. Das Land zeichnet sich durch geografische Nähe mit kurzen Lieferzeiten, einer steigenden Investitionsbereitschaft in Innovationen und saubere Technologien sowie in Weiterbildung aus. Aber auch die Möglichkeit kleinere Serien produzieren zu können, spricht für Albanien. Die Gesetzgebung in Albanien ist in Teilen bereits an EU-Direktiven angepasst.
Kleine Margen verhindern Investitionen
Doch die steigende Nachfrage bringt auch Herausforderungen für Albaniens Bekleidungs- und Schuhindustrie mit sich, so die Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur Branche in Albanien aus dem Jahr 2023. Ein Wettbewerbsvorteil sind niedrige Preise. Doch die knappen Kalkulationen in der Branche ließen Investitionen lange ausbleiben. Die alten Maschinenparks führen nun zu begrenzten Kapazitäten und machen es den Betrieben schwer der steigenden Nachfrage nachzukommen und Produktionskapazitäten hochzufahren.
Aber nicht nur fehlende Investitionen, sondern auch die immer schwieriger werdende Personalsuche ist eine Herausforderung. Die Löhne und die Arbeitsbedingungen in der Branche gelten als schlecht. Die hohe Nachfrage könnte nun zu einem Umdenken führen. Zum ersten Mal überhaupt können die Betriebe in Albanien sich ihre Aufträge aussuchen, so die Studie.
Nachfrage nach Maschinen wird zukünftig wachsen
Zukünftig werden Investitionen in neue Technologien, in Know-How, Lizenzen und Zertifizierungen eine größere Rolle spielen – vor allem wenn diese gemeinsam mit Auftraggebern angegangen werden. Dadurch wird die Nachfrage nach Maschinen und Ausrüstung für die Textilindustrie steigen. Bisher stammt ein Großteil der Technik aus Italien. Mit einer stärkeren Einbindung Albaniens in die Lieferketten der deutschen Bekleidungsindustrie könnten auch neue Lieferchancen für deutsche Maschinenbauer entstehen. Deren Lieferungen erreichen derzeit nur einen Wert zwischen 200.000 und 300.000 US-Dollar jährlich.
Personalsuche ist in Albanien ein Problem
Nach Angaben der albanischen Statistikagentur Instat gibt es 718 Unternehmen in der Branche. Ein Drittel davon beschäftigt weniger als fünf Mitarbeitende, ein weiteres Drittel bleibt unter 50 Beschäftigten.
der Arbeitskräfte in Albaniens Bekleidungsindustrie sind Frauen.
Unabhängig von der Betriebsgröße machen Frauen rund 95 Prozent der Arbeitskräfte aus. Sie kommen laut ILO-Studie häufig aus ländlichen Regionen und sind wenig qualifiziert. Das Durchschnittsalter liegt bei gerade einmal 32 Jahren. Das Durchschnittsgehalt in der Branche übertraf im Jahr 2021 mit 320 Euro brutto pro Monat nur knapp den Mindestlohn. Lediglich für einige Tätigkeiten, bei denen eine Weiterbildung notwendig ist, sind die Gehälter höher.
Das macht die Personalsuche schwierig: Edvin Prence, Vorsitzender des Verbands ProExport Albania, berichtet, dass rund 25.000 Stellen nicht besetzt werden können, weder mit Fachkräften noch unqualifiziertem Personal. Gründe sind die fehlende Bereitschaft zur Arbeit in der Industrie, gerade im Niedriglohnsektor, aber auch Abwanderung.
Potenzial durch mehr Wertschöpfung im Land
Unter dem kommunistischen Ministerpräsidenten Enver Hoxha war die Textil- und Bekleidungsindustrie in Albanien staatlich organisiert und zentralisiert. Hergestellt wurde entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Heute arbeiten viele Unternehmen als Lohnfertiger. Das Potenzial durch eine erhöhte Wertschöpfung im Land ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Nur rund ein Drittel der Unternehmen haben eine eigene F&E-Abteilung oder sind in der Lage eigene Rohmaterialien zu beschaffen. Auftraggeber haben derzeit die volle Kontrolle. Doch es gibt erste Schritte für mehr Wertschöpfung. So haben einige Unternehmen eigene Designabteilungen, die auch Muster herstellen können. Marketing, Branding und Design lassen hier noch viele Möglichkeiten für die Entwicklung der Unternehmen und ihrer Marken.