Wirtschaftsausblick | Albanien
Tourismus beflügelt Konjunktur in Albanien
Die Anzahl einreisender Gäste steht erneut vor einem Rekordhoch. Zudem will das kleine Balkanland seine Energieversorgung diversifizieren. Ausländisches Know-how ist gefragt.
25.07.2023
Von Viktor Ebel | Belgrad
Wirtschaftsentwicklung: Wachstum setzt sich fort
Im Jahr 2023 könnte Albanien erstmalig die 10-Millionen-Besucher-Marke knacken. Die guten Aussichten für das Gastgewerbe spiegeln sich auch in den Prognosen für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wider, das 2023 laut albanischem Finanzministerium um real 2,6 Prozent zulegen wird. Andere Beobachter wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) prognostizieren ein Wachstum zwischen 2,2 und 3,3 Prozent.
Albanien etabliert sich als Trend-Reiseziel
Mit 7,5 Millionen Besuchern im Jahr 2022 war bereits das Vorkrisenniveau 2019 übertroffen worden. Die angepeilten 10 Millionen Gäste in diesem Jahr sind durchaus realistisch, da bereits die Nebensaison im Zeitraum Januar bis Mai 2023 mit etwa 2,4 Millionen Besuchern (+ 42,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitrum) überaus erfolgreich verlief. Um der Touristenströme Herr zu werden, bedarf es einer modernen Infrastruktur und qualifizierten Arbeitskräften. Laut einer Studie von UNDP vom Herbst 2022 sind das die größten Hemmnisse für die weitere Entwicklung des Fremdenverkehrs.
Neben malerischen Stränden und Berglandschaften überzeugt Albanien vor allem mit günstigen Preisen. Pünktlich zur Sommersaison 2023 veröffentlichte das Statistische Bundesamt Zahlen hierzu: Preise für Gaststätten- und Hoteldienstleistungen in dem Adriastaat sind um 56 Prozent günstiger als in Deutschland. Damit führt Albanien in der Rangliste der günstigsten europäischen Urlaubsländer.
Abflachende Wirtschaft der Handelspartner sind Risiko für Exportwirtschaft
Neben dem Tourismus senden auch der Dienstleistungssektor und die Bauwirtschaft Wachstumssignale. Die Landwirtschaft und die verarbeitende Industrie hingegen kämpfen mit gestiegenen Produktionskosten. Der Konjunkturabschwung wichtiger Handelspartner wie Italien und die aufgewertete albanische Währung Lek bergen zudem Risiken für exportorientierte Branchen.
Indikator | 2021 | 2022 *) | Vergleichsdaten Deutschland 2022 *) |
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BIP (nominal, Mrd. US$) | 17,9 | 18,9 | 4.075 |
BIP pro Kopf (US$) | 6.377 | 6.803 | 48.630 |
Bevölkerung (Mio.) | 2,8 | 2,8 | 84,3 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 Euro = ... Albanische Lek) | 122,9 | 119,9 | - |
Investitionen: Energieprojekte rücken in den Fokus
Die albanische Regierung schätzt, dass die Bruttoanlageinvestitionen im Jahr 2023 mit 3,3 Prozent ähnlich stark wachsen wie im Vorjahr. Ausländische Unternehmen investierten laut der albanischen Zentralbank bereits im 1. Quartal 308 Millionen Euro in Albanien. Spitzenreiter war der Bergbau inklusive Ölförderung, was auf gestiegene Rohstoffpreise zurückzuführen ist. Im Jahr 2022 erfuhren die ausländischen Direktinvestitionen einen starken Schub von 33 Prozent auf etwa 1,4 Milliarden Euro. Die wichtigsten Investoren stammten 2022 aus den Niederlanden, Italien und Deutschland. Mit atene KOM öffnete im Juni 2022 ein deutscher Projektentwickler im Bereich Digitalisierung, Energie und Mobilität seine Pforten in der albanischen Hauptstadt Tirana.
Um die Abhängigkeit von Wasserkraft zu reduzieren, fördert die albanische Regierung den Bau von Fotovoltaikanlagen. In den letzten Jahren wurden Projekte mit einer Gesamtkapazität von über 1 Gigawatt angekündigt, die größtenteils in der Region Fier umgesetzt werden. Neben dem derzeit im Bau befindlichen 140-Megawatt (MW) Solarpark in Karavasta, hat sich dieses Jahr mit Blue 1 (50 MW) ein weiteres Fotovoltaikprojekt seine Finanzierung in Höhe von 28 Millionen Euro gesichert.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
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Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur: Abschnitt Durres-Rrogozhina-Lin-Grenze zu Nordmazedonien | 292 | Finanzierung: EIB-Darlehen über 136 Mio. Euro, andere Quellen: 125 Mio. Euro, Eigenmittel 25 Mio. Euro; Projekt in Vorbereitung | |
Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur: Abschnitt Vore-Hani i Hotit Route 2 Railway Line | 272 | Finanzierung: WBIF Grant und EBWE Darlehen; Ausschreibungen in Vorbereitung | |
Ausbau der Autobahnstrecke Muriqan–Lezhe am Mittelmeerkorridor | 255 | Finanzierung: WBIF 97 Mio. Euro, EBRD-Darlehen über 128 Mio. Euro, Eigenmittel: 30 Mio. Euro; Projekt in Vorbereitung | |
Mittelmeerkorridor-Umgehungsstraße Tirana | 194 | Finanzierung: WBIF Grant, EBWE Darlehen; Ausschreibungen in Vorbereitung | |
Entwicklung der regionalen Breitbandinfrastruktur | 140 | Finanzierung mit EIB Darlehen und Eigenmitteln; Machbarkeitsstudie in Arbeit | |
Unterirdischer Erdgasspeicher Dumreja | 76 | Finanzierung mit EBRD Darlehen u.a.; Projekt in Vorbereitung | EBWE; |
Hochleistungsrechner für Regierungsdaten und sicheres Informationsaustauschnetzwerk für regionale Zusammenarbeit im Westbalkan | 65 | Finanzierung mit EBWE Darlehen; Projekt in Vorbereitung | |
Sanierung des Wasserkraftwerkes in Fierza | 49 | Finanzierung: KfW Darlehen; Ausschreibungen in Vorbereitung | |
Errichtung einer funktionalen Mülldeponie für Elbasan | 51 | Finanzierung: KFW Darlehen; Projekt in Vorbereitung | |
Fier–Vlora-Gastransportpipeline | 18 | Finanzierung mit EBWE Darlehen; Ausschreibungsvorbereitung |
Eine Übersicht über nationale Projekte bietet die Plattform Open Procurement Albania.
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite, Rubrik „Ausschreibungen“ und „Entwicklungsprojekte“.
Konsum: Steigende Löhne stützen Konsum
Für 2023 rechnet die Regierung mit einem Anstieg des Konsums um 1 Prozent. Im Jahr 2022 betrug der Zuwachs noch 5,7 Prozent. Mindestlohnerhöhungen und ein gestiegenes Durchschnittsgehalt von monatlich 580 Euro (gegenüber 490 Euro im Jahr 2021) verschaffte den Privathaushalten mehr finanziellen Freiraum. Mit einer Lohnerhöhung im öffentlichen Sektor will die Regierung den Schnitt bis 2024 sogar auf 900 Euro anheben. Kritiker bemängeln, dass diese Absichten nicht finanzierbar wären und die Privatwirtschaft nicht mitziehen könne.
Eine wichtige Stütze des Konsums sind zudem Rücküberweisungen aus dem Ausland. Diese nahmen laut Zentralbank im Jahr 2022 um 10 Prozent auf 834 Millionen Euro zu. Die Inflation betrug 2022 im regionalen Vergleich geringe 6,7 Prozent. Albanien ist aufgrund des hohen Anteils von Wasserkraft an der Stromerzeugung kaum von steigenden Energiepreisen betroffen. Für 2023 erwartet die Regierung eine Inflation von 3,6 Prozent. Sollten die Gehaltserhöhungen durchgesetzt werden, könnte sie jedoch höher ausfallen.
Außenhandel: Italien bleibt wichtigster Handelspartner
Im Jahr 2022 hat Albanien deutliche Zuwächse im Außenhandel verzeichnet. Die Exporte stiegen um 35 Prozent und die Importe nahmen um knapp 22 Prozent zu. Die abkühlende Konjunktur in der EU wirkt sich 2023 auf Albanien aus: Im 1. Halbjahr 2023 sanken die Exporte um 5,2 Prozent. Vor allem die Ausfuhren nach Italien (-10,9 Prozent) und Deutschland (-29,2 Prozent) brachen ein.
Dennoch bleibt Italien mit einem Anteil von etwa 30 Prozent am Außenhandel der wichtigste Handelspartner. Danach folgen China, die Türkei und Griechenland. Die Länder der EU kommen im 1. Halbjahr 2023 auf einen Anteil von 60 Prozent. Albaniens wichtigste Ausfuhrgüter sind Textilien, Baumaterialien und Lebensmittel. Deutschland bezieht vor allem Bekleidung aus Albanien und exportiert Kraftfahrzeuge, Maschinen, Apparate und Geräte und Pharmaprodukte.
2021 | 2022 | Veränderung 2022/21 | |
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Importe | 6.517 | 7.926 | 21,6 |
Exporte | 3.002 | 4.060 | 35,2 |