Wirtschaftsausblick | Bosnien und Herzegowina
Wirtschaft in Bosnien und Herzegowina bleibt auf Wachstumskurs
Investitionen und der Konsum kurbeln die Wirtschaft 2025 an. Die Exporte legen nach mageren Jahren wieder zu. Politische Blockaden verzögern die EU-Integration.
20.01.2025
Von Hans-Jürgen Wittmann | Belgrad
Top-Thema: EU-Beitrittsprozess politisch instrumentalisiert
Der EU-Beschluss von März 2024, Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufzunehmen, facht in Wirtschaft und Gesellschaft neuen Optimismus an. Doch kurz vor Jahresende kam die kalte Dusche: Abgeordnete des Regionalparlaments der Entität Republika Sprska (RS) wollen notwendige Gesetzesänderungen für eine weitere EU-Integration blockieren. Der Schritt sei eine Reaktion auf einen Prozess gegen den Präsidenten der RS, Milorad Dodik. Dieser ignoriert konsequent Entscheidungen des Hohen Repräsentanten, der die Vereinten Nationen in Bosnien und Herzegowina vertritt.
Ein ähnliches Schicksal droht dem EU-Wachstumsplan. Für Bosnien und Herzegowina stehen bis 2027 rund 1 Milliarde Euro bereit. Die Union verlangt Reformen als Bedingung für die Auszahlung. Die bisherige Reformagenda des Westbalkanlandes lehnte die Kommission im September 2024 wegen inhaltlicher Mängel ab. Eine nachgebesserte Fassung steht aus. Ohne erkennbare Fortschritte büßt das Land Mittel ein, die für einen zusätzlichen Prozentpunkt BIP-Wachstum jährlich sorgen könnten.
Wirtschaftsentwicklung: Bruttoinlandsprodukt wächst 2025 stärker
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des zweitgrößten Westbalkanlandes steigt 2025 real um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, erwartet das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Das Jahr 2024 lief besser als erwartet: Das wiiw passte in seiner Herbstprognose das BIP-Wachstum auf real 2,6 Prozent an.
Investitionen schieben das Wachstum an
Wichtigster Wachstumstreiber der Wirtschaft in Bosnien und Herzegowina sind die Investitionen. Im 1. Quartal 2024 erreichten die Bruttoanlageinvestitionen einen Wert von 375 Millionen Euro. Das war mehr als doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum, meldet die Zentralbank. Für 2025 erwartet das wiiw einen weiteren Anstieg der Anlageinvestitionen um 5 Prozent.
Auch ausländische Unternehmen investieren zunehmend: Nach einem Rekord von umgerechnet rund 1 Milliarde Euro im Jahr 2023 verzeichnete der Balkanstaat in den ersten drei Quartalen 2024 erneut hohe Zuflüsse von insgesamt 755 Millionen Euro. Da das Interesse an Nearshoring in der Region weiter steigt, wird das Wachstum der ausländischen Direktinvestitionen 2025 anhalten.
Steigende Löhne kurbeln Konsumausgaben an
Weitere Impulse sendet der private Konsum – angetrieben von steigenden Löhnen. Zwischen Januar und Juli 2024 wuchsen die Reallöhne um 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2025 steigt der Mindestlohn in der Föderation Bosnien und Herzegowina um weitere 62 Prozent auf 1.000 Konvertible Mark (KM, 510 Euro).
Zudem kurbeln wachsende Rücküberweisungen aus dem Ausland den Konsum an. Im 1. Halbjahr 2024 stiegen diese Transfers im Vergleich zum Vorjahreszeitraum real um 9,2 Prozent. Geld schickt unter anderem die rund 440.000 Personen umfassende Diaspora in Deutschland.
Zugleich wachsen die Preise nur moderat. Die Inflation kletterte 2024 um 2 Prozent. Für 2025 rechnet das wiiw mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um 1,9 Prozent.
Nachfrageflaute bremst Industrieproduktion
Die verarbeitende Industrie – über viele Jahre Wachstumstreiber Nummer 1 – schwächelt hingegen. Die Branche profitierte lange von der engen Einbindung in die Lieferketten der europäischen Wirtschaft. Doch derzeit spüren lokale Zulieferbetriebe die sinkende Nachfrage deutscher Autobauer. Je länger sich deren Krise hinzieht, desto mehr leidet die Branche.
Dafür wird der Tourismus ein immer wichtigerer Wirtschaftszweig: In den ersten elf Monaten 2024 stieg die Besucherzahl um rund 11 Prozent auf 1,8 Millionen. Davon profitiert der gesamte Dienstleistungssektor.
Außenhandel schafft 2025 die Trendwende
Exportierende Unternehmen in Bosnien und Herzegowina hängen stark von der konjunkturellen Entwicklung und der Nachfrage in Europa ab. Das Westbalkanland wickelt rund zwei Drittel seines Warenaustausches mit der EU ab. Wichtigster Abnehmer ist Deutschland. Verarbeitete Metallprodukte machen rund ein Drittel der Gesamtexporte aus.
In den ersten elf Monaten 2024 gingen die Ausfuhren um 4,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf rund 7,6 Milliarden Euro zurück. Die schwere Flutkatastrophe im Oktober 2024 blockierte wochenlang die wichtige Schienentrasse zum kroatischen Exporthafen Ploče. Die Einfuhren wuchsen zwischen Januar und November 2024 hingegen um 2,9 Prozent auf rund 13,4 Milliarden Euro. Damit steigt das Außenhandelsdefizit des Landes weiter an.
Im Jahr 2025 soll der Turnaround gelingen. Das wiiw erwartet trotz der Krise der deutschen Autoindustrie einen leichten Anstieg des Güterexports um 2,5 Prozent.
Deutsche Perspektive: Firmen beschaffen lokal verarbeitete Produkte
Rund 550 deutsche Firmen, meist aus der verarbeitenden Industrie, produzieren in Bosnien und Herzegowina. Für den Fertigungsstandort "vor der Haustüre" entscheiden sich vor allem Automobilzulieferer wie Mann+Hummel, die Pass GmbH, Mubea oder die Selzer Group. Weitere Investoren sind Heidelberg Materials, der Lebensmittelproduzent Meggle sowie die Stada-Tochter Hemofarm.
Das Unternehmen Magnesium for Europe will im Kanton 10 im Westen des Landes ab 2027 Magnesium produzieren. Der Windparkentwickler wpd will 1,5 Milliarden Euro in den Bau dreier Windparks investieren. Der Discounter Lidl errichtet erste Filialen.
Der Westbalkan wird als Beschaffungsmarkt immer wichtiger. Damit Firmen aus Bosnien und Herzegowina nach dem 1. Januar 2026, dem Tag des Inkrafttretens des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) weiter deutsche Firmen beliefern können, müssen sie in die grüne Transformation investieren. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gewährt dem größten Energiekonzern des Landes, Elektroprivreda Bosne i Hercegovine, ein Darlehen von 25 Millionen Euro für den Bau eines Solarkraftwerks.
Weitere Informationen (zum Beispiel Zoll- und Rechtsinformationen sowie Branchenberichte) finden Sie auf der Länderseite Bosnien und Herzegowina.