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Argentiniens Wirtschaftsreform
Die umfassende und umstrittene argentinische Wirtschaftsreform wurde von der Abgeordnetenkammer angenommen und wird nun vom Senat geprüft.
24.05.2024
Von Dr. Julio Pereira | Berlin
Am 23. Mai 2024 beschloss der argentinische Senat, die Debatte über wichtige Gesetzesentwürfe zu verlängern, die die Grundlage für die von der neuen Regierung vorgeschlagene Wirtschaftsreform bilden: das Basisgesetz und das Steuerreformpaket. Diese Gesetze zielen auf die Deregulierung der argentinischen Wirtschaft ab. Beide wurden am 30. April 2024 in einer einzigen Runde von der Abgeordnetenkammer des Landes angenommen. Ihre endgültige Verabschiedung hängt nun im Wesentlichen vom Senat ab, in dem sich die Partei von Präsident Javier Milei in der Minderheit befindet.
Nachstehend sind die wichtigsten Aspekte der Wirtschaftsreform aufgeführt, die im Falle ihrer Verabschiedung erhebliche Auswirkungen auf die in Argentinien tätigen Unternehmen haben werden.
Was ist das Basisgesetz?
Der Gesetzentwurf, der als Basisgesetz und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier (Ley de Bases y Puntos de Partida para la Libertad de los Argentinos) bekannt ist, beinhaltet eine umfassende Reform in verschiedenen Bereichen der Staatsverwaltung, insbesondere im Hinblick auf die Regulierung der Wirtschaft. Das Basisgesetz ist eine der drei Säulen des Regierungsprogramms von Präsident Milei. Die anderen zwei sind das Dekret der Notwendigkeit und Dringlichkeit (DNU 70/2023), das Maßnahmen zur radikalen Deregulierung der Wirtschaft vorsieht, und das Steuerreformpaket (Medidas Fiscales Paliativas y Relevantes), das gleichzeitig mit dem Basisgesetz bearbeitet wird.
Die derzeitige Fassung des Basisgesetzes (mit 232 Artikeln) ist gegenüber der ehrgeizigen ursprünglichen Fassung (mit 664 Artikeln), die im Februar im argentinischen Parlament gescheitert war, deutlich gekürzt. Die Schwerpunkte beider Fassungen sind jedoch die gleichen.
Welche Maßnahmen sieht das Basisgesetz vor?
Die wichtigsten Maßnahmen beziehen sich auf die Umstrukturierung des Staates und der Wirtschaft. Zu diesem Zweck ist vorgesehen, für ein Jahr den Verwaltungs-, Finanz-, Wirtschafts- und Energienotstand auszurufen. Dies würde es dem Präsidenten ermöglichen, in all diesen Bereichen selbst Rechtsvorschriften zu erlassen, ohne Beteiligung des Parlaments. Sollte das Basisgesetz gebilligt werden, kann Javier Milei zum Beispiel staatliche Unternehmen auflösen und privatisieren. Außerdem sieht das Basisgesetz auch wesentliche Änderungen des Arbeits- und Steuerrechts vor.
Wichtigste Änderungen
Nachfolgend sind einige der im Basisgesetz vorgesehenen Änderungen aufgeführt, die von der Abgeordnetenkammer gebilligt wurden, aber noch vom argentinischen Senat genehmigt werden müssen.
Konzentration der Macht
Aktuelle Regeln | Neue Regeln |
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Die Regierung ist davon abhängig, dass der Kongress alle ihre rechtlichen Maßnahmen genehmigt, unabhängig vom Bereich. | Die Regierung kann ein Jahr lang Rechtsinstrumente ohne Beteiligung des Kongresses erlassen. Dies gilt für die Bereiche Wirtschaft, Finanzen, Energie und Verwaltungsangelegenheiten. In der Praxis bedeutet dies, dass die Exekutive das Land per Dekret regieren würde. |
Einstellung von Mitarbeitenden
Aktuelle Regeln | Neue Regeln |
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Der Arbeitsschutz hat in Argentinien eine lange gesetzliche Tradition. Bei der Einstellung neuer Mitarbeiter:innen müssen verschiedene Normen eingehalten werden. Die Nichteinhaltung kann zu Geldstrafen führen. | Das neue Gesetz soll die Einstellung neuer Mitarbeiter:innen insgesamt vereinfachen. Es wird auch möglich sein, dass ein Selbständiger bis zu fünf anderen Personen einstellt, ohne dass dadurch ein Arbeitsverhältnis entsteht. Außerdem sieht es eine Art Straferlass für Unternehmen vor, die in der Vergangenheit informell Beschäftigte angestellt haben. |
Probezeit
Aktuelle Regeln | Neue Regeln |
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Die Probezeit vor der Einstellung eines Vollzeitbeschäftigten beträgt drei Monate. | Nach dem neuen Gesetz variiert die Probezeit je nach Unternehmensgröße. Für kleine und mittlere Unternehmen wird die Probezeit zwischen acht und zwölf Monaten betragen. Für große Unternehmen beträgt sie sechs Monate. |
Besteuerung von Kleinstunternehmen
Aktuelle Regeln | Neue Regeln |
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Die Steuer auf Kleinstunternehmer richtet sich nach der Tätigkeit, nicht nach dem Umsatz. Ziel ist es, bestimmte Wirtschaftsbereiche zu fördern und ihre Formalisierung zu gewährleisten. | Mit dem neuen Gesetz wird sich die Steuer stärker am Umsatz orientieren. Die Steuerlast wird sich um 200 bis 300 Prozent erhöhen. Darüber hinaus werden unterschiedliche Behandlungen (zum Beispiel Steuerbefreiungen für Mitglieder von Arbeitsgenossenschaften) abgeschafft. |
Einkommensteuer
Aktuelle Regeln | Neue Regeln |
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Nach den derzeitigen Bestimmungen werden Einkommen in Höhe von 15 Bruttomindestlöhnen (SMVM) nicht besteuert. | Nach dem neuen Gesetz muss jeder, der mindestens 1,8 Millionen argentinische Pesos (brutto) verdient, Einkommensteuer zahlen. Dieser Betrag kann je nach Familienstand und Anzahl der Kinder variieren. Eine verheiratete Person mit zwei unterhaltsberechtigten Kindern muss beispielsweise Steuern zahlen, wenn sie ein Einkommen von über 2,3 Millionen argentinischen Pesos (brutto) hat. |
Privatisierungen
Aktuelle Regeln | Neue Regeln |
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Das Investitionsrecht in Argentinien ist für ausländisches Kapital sehr offen und unterliegt nur wenigen Beschränkungen. Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen ist jedoch ein Thema, das immer noch auf Widerstand stößt (mit Ausnahme der Privatisierungswelle in den 90er Jahren). | Das neue Gesetz sieht die Privatisierung von neun Unternehmen vor. Zu weiteren Wirtschaftssektoren gehören: Luftverkehr (Aerolíneas Argentinas), Kommunikation (Radio y Televisión Argentina) und Energie (Energía Argentina S.A.). |
Debatte im Senat
Es ist das zweite Mal, dass das argentinische Parlament über die von der neuen Regierung vorgeschlagene Wirtschaftsreform debattiert. Die Möglichkeit einer Ablehnung des Gesetzentwurfs durch den Senat veranlasst die Regierung, den Text zu ändern. Die Regierungspartei hat nur 7 der 72 Sitze im Senat.
Zum Thema:
- GTAI-Rechtsbericht Die radikale Deregulierung der Wirtschaft in Argentinien