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Klimaschutz-AtlasInvestitionen: Schwierige Finanzierung und fehlende Regulierung
Die Investoren warten in wichtigen Bereichen auf neue gesetzliche Rahmenbedingungen. Zudem ist die Finanzierung angesichts der chronischen Instabilität eine Herausforderung.
04.09.2023
Von Stefanie Schmitt, Carl Moses | Santiago de Chile, Buenos Aires
Argentiniens Staatssekretariat für Energie schätzt den Investitionsbedarf für den Ausbau von Erzeugungs- und Übertragungskapazitäten sowie Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz in unterschiedlichen Szenarien bis 2030 auf 20,6 Milliarden bis 27,4 Milliarden US-Dollar (US$). Darin enthalten sind unabhängig vom jeweiligen Szenario Investitionen von 7,8 Milliarden US$ in die Energieeffizienz.
Im Szenario "Energiewende mit nationalen Kapazitäten“ (REN 20) würden bis 2030 zusätzlich 4.233 Megawatt (MW) Kapazität aus Wind- und Solarkraft ans Netz gehen und den Anteil erneuerbarer Energieträger (ohne Wasserkraft) an der Stromerzeugung auf 20 Prozent erhöhen. Zum Vergleich: 2022 lag dieser Wert bei rund 13 Prozent. Im Szenario "Energiewende mit beschleunigtem Ausbau der Erneuerbaren" (REN 30) würden bis 2030 rund 7.400 Megawatt aus Wind- und Solarkraft installiert werden, um eine Quote der Erneuerbaren von 30 Prozent zu erreichen. Dieser Investitionspfad erfordert allerdings gegenüber dem 20-Prozent-Szenario einen um 78 Prozent höheren Bedarf an Devisen, der im derzeit bestehenden Makroumfeld schwer zu decken wäre.
Megaprojekt für grünen Wasserstoff in Vorbereitung
Bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff wird Argentinien laut Bloomberg NEF 2030 zu den kostengünstigsten Standorten weltweit gehören. Vom Aufbau einer nationalen Wasserstoffwirtschaft erwartet die Regierung in einer nicht näher terminierten Zukunft zusätzliche Exporte von 15 Milliarden US$ jährlich sowie die Entstehung von 50.000 Arbeitsplätzen. Anders als der Ausbau erneuerbarer Energien für die Stromversorgung sind Wind- und Solarprojekte zur Speisung von Elektrolyseuren für Wasserstoff kaum vom Netzausbau abhängig.
Das große Potenzial Argentiniens hat auch der australische Bergbauriese Fortescue Metals Group erkannt. Die Firmentochter Fortescue Future Industries will in der Provinz Rio Negro 8,4 Milliarden US-Dollar (US$) in die Produktion von grünem Wasserstoff und Ammoniak stecken. Hierfür hat das Unternehmen 150.000 Hektar Land in Patagonien erworben. Staatspräsident Fernández stellte das Megaprojekt auf der Klimakonferenz COP 26 in Glasgow 2021 persönlich vor. Aktuell laufen die Windmessungen.
Auch andere ausländische Unternehmen haben Interesse, die hervorragenden natürlichen Bedingungen in Argentinien zur Produktion von grünem Wasserstoff zu nutzen. In der Ende 2020 gegründeten Aktionsgemeinschaft zur Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft Consorcio H2AR arbeiten mehr als 50 argentinische und internationale Unternehmen aus allen Stufen der Wertschöpfungskette für Wasserstoff zusammen an einer langfristigen Strategie zur Entwicklung dieser Wirtschaft in Argentinien. Gemeinsam ermitteln sie Kosten und andere Faktoren, um die bestmögliche Informationsbasis für Projekte zu erarbeiten sowie den öffentlichen Sektor bei der Ausarbeitung einer nationalen Strategie zu unterstützen. Mit an Bord sind auch die deutschen Firmen Siemens Energy, Wintershall DEA, Linde und Abo Wind.
Doch angresichts des gegenwärtig fehlenden Rechtsrahmens, der problematischen Finanzierungsbedingungen und der rigiden Devisenrestriktionen, welche Importe etwa von Ausrüstungen und Teilen derzeit sehr erschweren und die Überweisung von Dividenden ans Mutterhaus unmöglich machen, verhalten sich die Unternehmen bei konkreten Vorhaben zurückhaltend. Tatsächlich bewertet etwa die Kreditratingagentur Standard & Poor's Argentinien mit CCC-. Die hieraus resultierenden Kreditzinsen, sofern keine zinsvergünstigten Kredite internationaler Geber bereitstehen, machen Wasserstoff aus Argentinien derzeit international nicht wettbewerbsfähig. Zumal die schlechte Bewertung die große politische Unsicherheit und die unsichere wirtschaftliche Lage widerspiegelt.
Lithium- und Kupfervorkommen als Basis für Elektromobilität
Ein Katalysator für Investitionen soll die Förderung der Wertschöpfungskette für die Elektromobilität werden. Ein geplantes Fördergesetz (Ley de Promoción de Electromovilidad), das Anreize für die Produktion und Nutzung von Elektrofahrzeugen geben soll, könnte nach Schätzung der Regierung mittelfristig mehr als 20.000 neue Arbeitsplätze schaffen und über 5 Milliarden US$ an neuen Investitionen mit sich bringen.
Mit dem globalen Ausbau der Elektromobilität steigt das Interesse an Argentiniens Lithium- und Kupferreserven. So sicherte sich der Autobauer BMW in einem 300-Millionen-US$-Vertrag mit dem US-Konzern Livent bereits die mehrjährige Belieferung mit Lithium aus “verantwortungsvollem Abbau in Argentinien”. Auch Toyota und Ford wollen sich dort eindecken.
Derzeit exportiert Argentinien rund 33.000 Tonnen Lithium Carbonate Equivalent (LCE) pro Jahr. Bereits in der Umsetzung befindliche Projekte lassen bis 2024 eine Vervierfachung der lokalen Produktion auf 120.000 Tonnen LCE erwarten. Darüber hinaus befinden sich 17 weitere Projekte in unterschiedlichen Phasen der Exploration und Evaluierung. Sieben davon prüfen ihre Produktionsmöglichkeiten bereits mit Pilotanlagen oder stehen kurz davor. Allein mit diesen sieben Projekten könnte Argentiniens jährliche Produktionskapazität künftig 300.000 Tonnen LCE überschreiten. Bis 2030 sind ein Anteil des Landes von 17 Prozent an der weltweiten Lithiumproduktion und jährliche Exporterlöse von 2 Milliarden bis 3,5 Milliarden US$ denkbar.
Das Gesamtportfolio aller bekannten Lithiumprojekte in Argentinien erfordert laut offiziellen Angaben Investitionen von 6,5 Milliarden US$ und würde die Produktionskapazität auf 373.500 Tonnen LCE jährlich gegenüber dem derzeitigen Stand verzehnfachen. Ambitionierte Pläne für die Exploration von Lithium in Argentinien verfolgt die Deutsche E-Metalle AG gemeinsam mit lokalen Partnern.