Argentinien verfügt über eine breit entwickelte Industrie. In Sachen Klimaschutz und Energieeffizienz hat sie ebenso goßen Nachholbedarf wie auszuschöpfende Potenziale.
Wichtige argentinische Industriebranchen weisen einen hohen Energieverbrauch auf, darunter vor allem die Hersteller von Stahl, Aluminium, Zement, Papier und Glas sowie Erdölraffinerien, Chemiewerke, Nahrungsmittelerzeuger und Kfz-Bauer. Anders als für Privathaushalte sind die Stromkosten für industrielle Abnehmer relativ hoch. Anreize zu mehr Energieeffizienz sind mithin ebenso vorhanden wie für Investitionen in eine autonome Energieversorgung, vorzugsweise aus erneuerbaren Energieträgern.
Pläne für grüne Produktion sind noch diffus
Ein 2021 vom damaligen Produktionsministerium veröffentlichter Plan für eine grüne Entwicklung der Produktion zielt unter anderem auf:
- Investitionen in die wissensbasierte Wirtschaft,
- die Integration der Unternehmen in Prozesse der Kreislaufwirtschaft sowie
- auf Umweltanpassung und Effizienz bei der Nutzung von Ressourcen.
Im Fokus stehen dabei besonders kleine und mittlere Firmen. Spezifische Sektorpläne liegen bisher jedoch nicht vor.
Eine weitere Initiative ist das Clúster Renovable Nacional, eine öffentlich-private Institution für die Suche nach technischen, produktiven und politischen Lösungen zur Entwicklung erneuerbarer Energieträger. Mittlerweile nehmen 16 Provinzen sowie ein Konglomerat aus öffentlichen und privaten Branchenfirmen an dem Programm teil.
PtX Hub Argentina sieht langfristiges Potenzial
Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) installierte in Buenos Aires 2021 den Component Lead PtX Hub Argentina. Ziel ist die Förderung von Power-to-X (PtX)-Projekten zur Speicherung und alternativen Nutzung von Strom. Power-to-X beschreibt Verfahren, die grünen Strom in chemische Energieträger zur Stromspeicherung umwandeln. Ein Beispiel ist die Erzeugung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energieträgern für Brennstoffzellenfahrzeuge. Power bezeichnet die über dem Bedarf liegenden zeitweisen Stromüberschüsse und X steht für die Energieform oder den Verwendungszweck. "Synthetische Kraftstoffe und chemische Erzeugnisse auf Basis erneuerbarer Energien könnten Argentinien eine attraktive, klimafreundliche Option bieten, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu beschleunigen", heißt es in einem Beitrag des PtX Hub Argentina.
Die aggregierte Wasserstoffnachfrage der argentinischen Industrie belief sich 2019 auf 350.000 Tonnen. Gegenwärtig wird dieser Bedarf überwiegend durch mit Erdgas erzeugtem grauen Wasserstoff gedeckt, was die Kohlendioxidemissionen entsprechend in die Höhe treibt. Langfristig könne PtX es verschiedenen lokalen Industrien wie der Stahl- und Chemieindustrie ermöglichen, klimaneutral zu wirtschaften, so der PtX Hub Argentina.
Neben der GIZ gehören Agora Energiewende und DECHEMA (Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V.), auf deutscher Seite zu den Akteuren; die argentinischen Partner sind CEARE (Centro de Estudios de la Actividad Regulatoria Energética) und die Stiftung Fundación Torcuato Di Tella. Das Vorhaben ist bis 2024 befristet. Unterstützt wird Power-to-X auch durch das bundesdeutsche Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Grüner Dünger und Stahl wären möglich
Besonders große Chancen bestehen in der Düngemittelproduktion. Argentiniens Nachfrage nach Düngemitteln hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht; drei Viertel des inländischen Düngemittelverbrauchs wurden 2021 durch Importe gedeckt, so der Verband Fertilizar. Lokal und auf PtX-Basis produzierte Düngemittel würden Argentinien eine Chance bieten, die Abhängigkeit von Importen und volatilen Rohstoffpreisen zu verringern und gleichzeitig seinen Kohlenstofffußabdruck zu verkleinern.
Im Jahr 2022 wurden laut Acero Argentino, dem argentinischen Stahlverband, rund 5 Millionen Tonnen Rohstahl hergestellt, etwa 5 Prozent hiervon ging in verarbeiteter Form in den Export. Nachhaltig produzierter Stahl könnte aber speziell auch für internationale Käufer langfristig interessant sein.
Bevor Argentinien den massiven Hochlauf der grünen Wasserstoffwirtschaft startet, wäre es nach Einschätzung des PtX Hub sinnvoll, zuvor den Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix von derzeit noch bescheidenen 13 Prozent (ohne große Wasserkraftwerke) deutlich auszuweiten. Da der netzabhängige Ausbau der Erneuerbaren derzeit jedoch auf massive Hindernisse stößt, könnten netzunabhängige Wind- und Solarparks zur Versorgung von Elektrolyseuren möglicherweise bald attraktiver für private Investoren sein.
Erste Schritte zu eigener Batterieproduktion
Noch 2023 soll die erste argentinische Anlage zur Produktion von Lithium-Eisenphosphat-Akkumulatoren (LFP) in Betrieb gehen. Das Projekt namens UniLiB wurde zusammen mit der Universidad Nacional de la Plata, dem Nationalen wissenschaftlichen und technischen Forschungsrat CONICET und dem Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation entwickelt. Die Technologie kommt aus China. Für den Bau zuständig ist die Technologietochtergesellschaft Y-Tec des staatlich kontrollierten Ölkonzerns YPF. Die zunächst auf kleiner Skala von 10 Megawattstunden pro Jahr anlaufende Produktion von stationären Akkus soll vor allem dazu dienen, Erfahrungen zu sammeln und technisches Know-how für die spätere Produktion in industriellem Maßstab aufzubauen, erläuterte der Y-Tec-Manager Santiago Sacerdote. Langfristig ist eine jährliche Produktion von 13 Megawattstunden vorgesehen. Das entspricht etwa 1.000 Batterien im Jahr.
Darüber hinaus wurde im Februar 2023 der Bau einer Fabrik für E-Autos in Jujuy angekündigt. Der chinesische Autobauer Chery und Gotion Inc aus den USA wollen rund 0,4 Milliarden US-Dollar investieren. Der Bau soll sich über zwei Etappen bis 2030 erstrecken. Geplant ist eine Produktion von 100.000 Einheiten pro Jahr mit einem Local-Content-Anteil von 46 Prozent sowie die hierfür nötige Batteriefertigung mit dem argentinischen Partner Jemse (Jujuy Energía y Minería Sociediad del Estado) aus mit vor Ort gefördertem Lithium.
Von Stefanie Schmitt,
Carl Moses
|
Santiago de Chile, Buenos Aires