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Aserbaidschan treibt Wiederaufbau in Karabach voran
Die Kaukasusrepublik schmiedet weitreichende Pläne für den umfassenden Wiederaufbau der westlichen Region Karabach. Viele Infrastrukturprojekte bieten Geschäftschancen.
11.01.2022
Von Uwe Strohbach | Baku
Das ressourcenreiche Aserbaidschan hat ambitionierte Visionen für die sozioökonomische Entwicklung der Ende 2020 von Armenien zurückeroberten Gebiete in der Region Karabach (Qarabağ). Mit Plänen zur Erneuerung der Transport- und Versorgungsinfrastruktur, zum Bau von Städten, Dörfern und Gewerbeparks sowie zur Reaktivierung des Agrarsektors sollen die westlichen Landesteile wiederaufgebaut und in die Wirtschaft des Landes reintegriert werden.
Bis die Zukunftspläne für die neu strukturierten Wirtschaftsgebiete Karabach und Ost-Sangesur (Şərqi Zəngəzur) umgesetzt werden, könnten viele Jahre vergehen. Die Regionen gleichen heute einer Trümmerlandschaft. Ein Großteil der über 13.000 inventarisierten Immobilien und Objekte der öffentlichen Infrastruktur, der Straßen (etwa 1.500 Kilometer), Wasser- und Stromleitungen (19 und knapp 300 Kilometer) sowie Bewässerungsnetze (250 Kilometer) muss grundlegend erneuert werden.
Indikator | Karabach | Ost-Sangesur |
---|---|---|
Fläche (in qkm) | 8.990 | 7.470 |
Anteil an der Landesfläche (in %) | 10,4 | 8,6 |
Einwohner (1.1.2021) | 905.000 | 344.000 |
Anteil an der Gesamtbevölkerung (in %) | 8,9 | 3,4 |
Stadtbewohner | 301.000 | 72.000 |
Landbewohner | 604.000 | 272.000 |
Bevölkerungsdichte (Einwohner/qkm) | 101 | 46 |
Staat und private Unternehmen investieren kräftig
Im Staatshaushalt für 2022 sind für den Wiederaufbau Gelder in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar (US$) veranschlagt. In den ersten neun Monaten 2021 investierte die öffentliche Hand rund 300 Millionen US$ in die Region. Auch die Privatwirtschaft ist zunehmend an Engagements in Karabach interessiert. Im Jahr 2021 sind bei den zentralen und regionalen Wirtschaftsförderern viele Projektanfragen und Vorschläge eingegangen, sowohl von in- als auch von ausländischen Unternehmen.
Allein die Agentur für die Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen (KOBİA) registrierte etwa 1.000 Kooperationsangebote. Jeweils die Hälfte davon entfiel auf Investitionsprojekte und Auftragsübernahmen. Die Angebote konzentrieren sich auf die Geschäftsfelder Bauwirtschaft, Handel/Dienstleistungen, Industrie und Landwirtschaft.
Türkische Firmen unterbreiten Investitions- und Kooperationsofferten mit einem Projektwert von bis zu 4 Milliarden US$. Auch viele russische und andere Firmen aus dem Ausland sondieren ihre Geschäftschancen. In- und ausländische Banken wie die PAŞA Bank (PASHA Bank) und die Ziraat Bank Azerbaycan (Tochter der türkischen Ziraat Bank) kündigten an, neue Filialen zu eröffnen.
Chancen für Lieferanten und Investoren
Die geplanten Projekte in der Region umfassen:
- Erneuerung und den Ausbau der Transport- und Versorgungsinfrastruktur,
- Wiederaufbau bestehender und den Bau neuer Städte und Dörfer,
- Reaktivierung der Landwirtschaft (Bestellung von mehr als 200.000 Hektar Ackerböden),
- Investitionen in die verarbeitende Industrie,
- Abbau von Steinen und Erden, Erzen und Energierohstoffen (in dem Landesteil gibt es 167 Lagerstätten).
Im Jahr 2021 erfolgte die Grundsteinlegung für zwei etwa 200 Hektar große Gewerbeparks an den Standorten Agdam (Ağdam) und Dschäbrajil (Cəbrayıl). Firmen genießen dort Steuer- und Zollpräferenzen sowie eine günstige Projektfinanzierung. Auch in den Landkreisen Kalbadschar (Kəlbəcər), Sängilan (Zəngilan), Gubadli (Qubadlı) und Latschin (Laçın) will der Staat Industriecluster und Gewerbegebiete fördern.
Im Park Agdam sollen sich zunächst auf einer Fläche von 76 Hektar etwa 30 Firmen ansiedeln. Die Agentur für die Entwicklung von Wirtschaftszonen erwartet für das Gewerbegebiet auf mittlere Sicht Investitionen von bis zu 70 Millionen US$. Firmen wollen hier beispielsweise Baustoffe, Berufs- und Spezialbekleidung, Polymererzeugnisse und Masthalterungen für Sonnenkollektoren produzieren.
Neue Straßen, Bahngleise und Flughäfen entstehen
Ganz oben auf der Prioritätenliste steht der Wiederaufbau der Transportinfrastruktur. Das am 9. November 2020 von Aserbaidschan, Armenien und Russland unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen sieht vor, die Transportblockade an der Grenze zu Armenien aufzuheben und Westaserbaidschan via Armenien mit der Exklave Nachitschewan (Naxçıvan) zu verbinden. Eine trilaterale Arbeitsgruppe unter Leitung der stellvertretenden Ministerpräsidenten der drei Länder soll die Umsetzung des Abkommens begleiten und voranbringen.
Mehrere Straßenbauprojekte inklusive des Baus von Tunnels und Brücken sind gestartet oder werden vorbereitet (Planung/Projektierung). In den kommenden 20 Jahren sollen in der Region insgesamt etwa 1.500 Kilometer neue Straßen in Betrieb genommen werden. Hauptansprechpartner für alle laufenden und geplanten Straßenbauprojekte ist die Staatliche Agentur für Straßenbau (AAY).
Projekt | Länge der Straße (in km) | Anzahl der Spuren |
---|---|---|
Horadiz - Dschäbrajil/Cəbrayıl - Sängilan/Zəngilan - Agbend/Ağbənd | 124 | 4/6 |
Ahmedbeyli/Əhmədbəyli - Füzuli - Schuscha/Şuşa | 85 | 4/6 |
Toganali/Toğanali - Kalbadschar/Kəlbəcər - Istisu | 81 | 2/3 |
Kalbadschar/Kəlbəcər – Latschin/Laçın | 73 | 2 |
Chodafarin /Xudafərin - Gubadli/Qubadli - Latschin/Laçın | 70 | 4 |
Barda/Bərdə - Agdam/Ağdam | 45 | 4 |
Schukurbayli/Şükürbəyli - Dschäbrajil/Cəbrayıl - Hadrut | 43 | 2 |
Gubadli/Qubadli - Eyvazli | 26 | 2 |
Der Ausbau der Verkehrswege umfasst auch die Erneuerung und den Bau von Bahntrassen. Nach Angaben der Aserbaidschanischen Eisenbahn handelt es um drei Verbindungen:
- 110 Kilometer lange Strecke von Horadiz nach Agbend (Ağbənd)/Grenze zu Armenien zur geplanten Anbindung Nachitschewans und der türkischen Stadt Igdir (Iğdır),
- 83 Kilometer lange Strecke zwischen Füzuli und Schuscha (Şuşa),
- 47 Kilometer lange Strecke zwischen Barda (Bərdə) und Agdam (Ağdam).
Die Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines (AZAL) will schon bald drei kleinere Flughäfen in Westaserbaidschan betreiben. Mit dem Flughafen Füzuli hat der Erste bereits im Oktober 2021 den Betrieb aufgenommen. Für 2022 oder spätesten Anfang 2023 ist die Eröffnung der Flughäfen Sängilan (Zəngilan) und Latschin (Laçın) geplant. Die Flughafenbetreiber können Ausrüstung bis Ende 2023 zollfrei importieren.
Stromversorgung soll effizienter und grüner werden
Um die Stromwirtschaft in Karabach und Ost-Sangesur zu erneuern, sind umfassende Investitionen in die Stromerzeugung, -übertragung und -verteilung geplant. Der mittelfristig geplante Zubau von Kraftwerkskapazitäten summiert sich auf etwa 550 bis 600 Megawatt.
Projekt | Kapazität/Details |
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Fertigstellung der Wasserkraftwerke Xudafərin/Chodafarin und Qiz Qalasi am Fluss Aras bis 2024 | 200 MW + 80 MW; geplante jährliche durchschnittliche Stromerzeugung von 358 Millionen Kilowattstunden und Sicherung der Bewässerung von 264.000 Hektar Böden |
Bau eines Wasserkraftwerks im Landkreis Gubadli | 40 MW |
Modernisierung von 23 kleinen Wasserkraftwerken in den Landkreisen Kalbadschar/Kəlbəcər und Latschin/Laçın | 130 MW |
Bau zahlreicher neuer kleiner Wasserkraftanlagen | 100 MW |
Errichtung eines Photovoltaikparks durch das britische Mineralölunternehmen BP in der Wirtschaftsregion Ost-Sangesur (Landkreis Dschäbrajil/Cəbrayıl) | 240 MW |
Errichtung eines Windparks in der Wirtschaftsregion Ost-Sangesur (Landkreis Kelbadschar/Kəlbəcər oder Latschin/Laçın) | 100 MW |
Ersatz alter Stromleitungen (6 bis 10 Kilovolt) durch leistungsfähige Mittelspannungskabel | Spannungsbereich: 0,4 bis 35 Kilovolt |
Beschaffung und Installation von rund 4.568 energieeffizienten Transformatoren | Kapazität: 2.500 Megavoltampere |
Errichtung eines Umspannwerkes im Landkreis Dschäbrajil/Cəbrayıl (für die Integration der Wasserkraftwerke Chodaferin und Qiz Qalasi in das Stromnetz und eine bessere Stromversorgung in Westaserbaidschan) | Spannung: 330 Kilovolt |