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Rechtsbericht | Belgien | Bürgerliches Recht

Neues Vertragsrecht in Belgien

Der Code Civil von 1804 wird Stück für Stück durch ein neues Gesetzbuch ersetzt. Ab Januar 2023 gilt der neue Allgemeine Teil (Buch 1) und das neue Vertragsrecht (Buch 5).

Von Karl Martin Fischer | Bonn

Die Ablösung des alten belgischen Code Civil / Burgerlijk Wetboek aus der Zeit Napoleons kommt ein großes Stück voran. Nachdem wichtige Kapitel - insbesondere über Familien- und Erbrecht sowie Sachenrecht - bereits modernisiert sind, kommen nun das wirtschaftlich besonders relevante Vertragsrecht und der einleitende Allgemeine Teil an die Reihe. In diesem Bericht erwähnen wir die relevantesten Änderungen, die aus dem neuen Recht folgen.

Allgemeiner Teil bringt weniger Werktage

Wie das deutsche BGB enthält auch in Belgien das erste Buch des neuen Code Civil solche Regeln, die für alle weiteren Bestimmungen gleichermaßen gelten. Hier finden sich beispielsweise Vorschriften zu Willenserklärungen (Artikel 1.4), zur Stellvertretung (Artikel 1.8) oder zu Treu und Glauben (Artikel 1.9 und 1.10).

In Artikel 1.3 wird eine Rechtshandlung definiert als Ausdruck des Willens, eine Rechtsbindung zu erzeugen. Allerdings gibt es auch Dinge, die selbst mit Rechtsbindungswillen nicht wirksam vereinbart werden können. Hierzu zählen insbesondere Abweichungen vom "ordre public".

Dieser Begriff hat, ebenfalls in Artikel 1.3, eine neue Legaldefinition erhalten: Er umfasst neben den Grundlagen der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung auch die wirtschaftliche, moralische, soziale und auch ökologische Ordnung (l'ordre économique, moral, social ou environnemental / de economische orde, de morele orde, de sociale orde of de orde van het leefmilieu). Darüber hinaus zwingend: Regeln, die den Schutz einer schwächeren Partei bezwecken.

Zudem neu ist ein für die Praxis sehr wichtiger Punkt in Sachen Fristberechnung (Artikel 1.7): der Samstag ist kein Werktag (jour ouvrable / werkdag) mehr. Häufig bemisst sich die Frist aber gerade durch den Ablauf von Werktagen, nicht zuletzt im Arbeitsrecht. Ein Beispiel: Bei einer fristgemäßen Kündigung beginnt die Frist am dritten Werktag nach Absendung der Erklärung per Einschreiben. Hier wird sich die Fristberechnung zum neuen Jahr also ändern.

Vertragsrecht: Viele Neuerungen und eine Premiere

Das fünfte Buch des neuen Code Civil befasst sich mit den vertraglichen Schuldverhältnissen. Es umfasst 270 Artikel und ersetzt die Artikel 1101 bis 1369 des alten Code Civil. Das neue Recht gilt für alle Verträge, die ab dem 1. Januar 2023 geschlossen werden, kann aber durch vertragliche Vereinbarung auch auf ältere Verträge angewandt werden. 

Im Folgenden eine - nicht abschließende - Auswahl der relevantesten Änderungen:

Artikel 5.14 betont die Vertragsfreiheit der privaten Parteien, also die Freiheit des "ob", sowie bezüglich des Inhalts und der Auswahl der Vertragspartner. Allerdings müssen bestimmte Regeln der Fairness eingehalten werden: so kann zum Beispiel gemäß Artikel 5.16 ein Anspruch auf bestimmte Informationen folgen, wenn Treu und Glauben oder die Verkehrssitte das erfordern. Artikel 5.17 gibt einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn Verschulden bei Vertragsverhandlungen vorlag, unter bestimmten Umständen sogar auf das positive Interesse.

Artikel 5.23 regelt Fragen, die entstehen können, wenn beide Parteien Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) haben. Im Konfliktfall haben zwischen den Parteien vereinbarte Regeln immer Vorrang vor solchen aus AGB. Diese können allerdings - in Abwesenheit konkreter Vereinbarungen - Teil des Vertrages werden, wenn und soweit sie sich inhaltlich nicht widersprechen. Dies gilt allerdings wiederum nicht, wenn zumindest eine Partei im Vorhinein ausdrücklich erklärt hat, keine AGB zu akzeptieren.

Artikel 5.37 ergänzt die bekannten Gründe (Irrtum, Täuschung, Drohung) für eine richterliche Vertragskorrektur - oder sogar Nichtigkeit - um einen weiteren Grund: die Ausnutzung einer Position der Stärke gegenüber einer schwächeren Partei. Diese kann vorliegen, wenn eine Partei gegenüber der anderen im Nachteil ist (lésion qualifiée / gekwalificeerde benadeling) und daraus eine unfaire Verteilung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung folgt.

Erstmals im belgischen Zivilrecht gibt es jetzt in Artikel 5.74 eine Regelung der Änderung der Geschäftsgrundlage. Wenn diese nicht voraussehbar war, nicht im Verantwortungsbereich der die Leistung schuldenden Partei liegt und die Leistung in einem Maße erschwert wird, die die Erfüllung unzumutbar macht, gibt es künftig eine gesetzlich geregelte Handhabe. Gerichte dürfen auf Antrag der schuldenden Partei eine Anpassung der Leistung oder sogar eine Beendigung des Vertrages verfügen. Artikel 5.74 ist allerdings dispositives Recht, die Parteien können ihn also im Vertrag abbedingen oder durch eine andere Regel ersetzen. 

Rechtsbehelfe geschädigter Vertragsparteien

Wenn ein Vertrag in schwieriges Fahrwasser gerät ist es wichtig, die eigenen Möglichkeiten und diejenigen der anderen Seite zu kennen. Im belgischen Recht ist es fast immer erforderlich, eine Mahnung zu senden, bevor Rechte geltend gemacht werden. Bleibt diese erfolglos, gibt es verschiedene Mittel: Beendigung des Vertrages (Artikel 5.90, unter Umständen sogar schon vor Verzug des Leistungsschuldners), das Recht, die eigene Leistung zurückzuhalten (Artikel 5.98), das Recht auf eine Reduzierung des Preises (Artikel 5.97), oder das Recht, den nicht erfüllenden Schuldner aus dem Vertrag auszuschließen und auf dessen Kosten eine andere Partei mit der Erfüllung zu beauftragen.

Natürlich kann es auch ein Recht auf Schadensersatz geben (Artikel 5.86 ff).  In der Regel geht dieser auf das positive Interesse, ist aber in der Regel auf den vorhersehbaren Schaden begrenzt. Hiervon kann durch Vertrag abgewichen und zum Beispiel eine Vertragsstrafe vereinbart werden, allerdings wiederum begrenzt durch eine Inhaltskontrolle der Gerichte bei offensichtlich unverhältnismäßigen Beträgen.

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