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Special | Brasilien | Krieg in der Ukraine

Brasiliens Agribusiness sorgt sich um knappen Dünger

Die Importabhängigkeit bei Düngemitteln, höhere Kraftstoffpreise und die steigende Inflation belasten die Wirtschaft. Im Außenhandel kann Brasilien kurzfristig profitieren.

Von Gloria Rose | São Paulo

Brasilien stimmte sowohl im Sicherheitsrat als auch in der Vollversammlung der Vereinten Nationen für die Resolution gegen Russland - im Gegensatz zu China und Indien. Sanktionen sind jedoch nicht vorgesehen. Wie schon im Handelskonflikt zwischen den USA und China versucht Brasilien, neutral zu bleiben und sich Optionen nach allen Seiten offen zu halten.

Unmittelbar vor dem russischen Angriff auf die Ukraine stattete Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro Wladimir Putin einen Staatsbesuch ab. Hauptthemen waren Brasiliens Agrarexporte nach Russland sowie die Düngemittelversorgung für die brasilianische Landwirtschaft. Für seine freundschaftliche Haltung gegenüber dem russischen Staatsoberhaupt geriet Bolsonaro einmal mehr ins Kreuzfeuer von Presse und Opposition, die eine Imageverschlechterung für Brasilien beklagt.

Außenhandel mit Russland und der Ukraine nur in geringem Umfang

Brasilien weist insgesamt eine niedrige Außenhandelsquote auf. Die Handelsströme mit Russland beziehungsweise der Ukraine sind relativ gering. Somit wirkt sich der Krieg eher indirekt über die Weltkonjunktur sowie die Entwicklung der Rohstoffpreise und spezifische Lieferkettenstörungen auf die brasilianische Wirtschaft aus. Brasilien erwartet für das Wahljahr 2022 ein ohnehin niedriges Wirtschaftswachstum um voraussichtlich 0,5 Prozent. Der Krieg trübt die Aussichten tendenziell ein.

Auch ohne Sanktionen der brasilianischen Regierung geht der Handel mit Russland zurück. Deutsche Unternehmen und Hersteller aus anderen G7-Staaten weisen ihre brasilianischen Niederlassungen an, keine Lieferungen nach Russland und somit keine Umgehung der Sanktionen zuzulassen. Der brasilianische Flugzeugbauer Embraer stellte Wartungsdienste und jegliche Geschäfte mit russischen Kunden ein. Durch die Sanktionen ergeben sich Störungen in den internationalen Lieferketten, die Frachtkosten und Lieferfristen erneut ins Schwanken bringen.

Hohe Importabhängigkeit bei Düngemitteln

Ein besonderes Augenmerk gilt der starken Abhängigkeit von Düngemitteln aus Russland, der Ukraine und Belarus. Mehr als die Hälfte des importierten Kaliumdüngers stammt aus der Region. 2021 lieferte Russland 23,3 Prozent aller von Brasilien importierten Düngemittel - deutlich mehr als China mit einem Anteil von 13,7 Prozent, Marokko mit 10,5 Prozent, Kanada mit 9,8 Prozent und die USA mit 5,7 Prozent. Russland war für Brasilien damit das sechstwichtigste Lieferland insgesamt, lag als Abnehmerland jedoch nur auf Rang 36.

Entsprechend besorgt beobachtet das Agribusiness die Sanktionen gegen Russland. Die brasilianische Landwirtschaftsministerin Tereza Cristina garantiert, dass die Versorgung mit Dünger bis Oktober 2022 gesichert sei. Um andere Zulieferer zu mobilisieren, führte sie Gespräche mit Zulieferern aus Algerien, Marokko, Libyen und Ägypten sowie Chile und besuchte fünf Hersteller in Kanada. Zusammen mit anderen südamerikanischen Staaten setzt sich Brasilien bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) dafür ein, russischen Dünger von den internationalen Sanktionen auszunehmen.

Russische Düngemittelkonzerne betätigen sich in Brasilien auch als Investoren. Eurochem mit Sitz in der Schweiz schloss 2020 die Übernahme von Fertilizantes Tocantins ab und kündigte im Dezember 2021 die Übernahme des brasilianischen Traditionskonzerns Heringer an. Im Februar 2022 unterzeichnete die russische Gruppe Acron die Übernahme der Stickstoffdüngeranlage UFN-III, die Petrobras bereits zu über 80 Prozent errichtet hatte. Durch den Krieg sind Verkauf und Fertigstellung der Anlage im Bundesstaat Mato Grosso do Sul jedoch ungewiss.

Mittel- bis langfristig will Brasilien die Abhängigkeit von Düngereinfuhren mindern. Am 11. März 2022 beschloss die Regierung die Einrichtung des Plano Nacional de Fertilizantes. Die Strategie, die seit Anfang 2021 erarbeitet wurde, setzt sowohl auf die Förderung der heimischen Produktion als auch auf Maßnahmen zu einem effizienteren Düngereinsatz in der Landwirtschaft. Ziel ist die Minderung der Importabhängigkeit bei Düngemitteln von derzeit 85 auf nur noch 45 Prozent im Jahr 2050.

Zusätzlicher Inflationsschub dämpft die Konjunktur

Die Verknappung von Düngemitteln, Erdöl und Kraftstoffen sowie weiterer Rohstoffe am Weltmarkt treibt in Brasilien das Preisniveau zusätzlich in die Höhe. Am Finanzmarkt stieg die Inflationserwartung für 2022 innerhalb der ersten vier Wochen seit Ausbruch des Krieges um 1 Prozentpunkt auf 6,6 Prozent an. Entsprechend stark steigen die Zinsen. Am 16. März hob die brasilianische Zentralbank den Leitzins Selic um einen ganzen Punkt auf 11,75 Prozent an. Laut Umfragen am Finanzmarkt dürfte der Leitzins bis Juni voraussichtlich auf 13,25 Prozent ansteigen. Damit verteuern sich die Kredite, was Konsum und Investitionen bremst und somit die gesamtwirtschaftliche Entwicklung abkühlt. Positiv ist festzuhalten, dass der brasilianische Real seit Anfang 2022 stark aufwertet. Dieser Trend setzte sich nach Kriegsbeginn fort. Damit vergünstigen sich Importe aus Deutschland am brasilianischen Markt.

Neue Chancen für Brasilien?

Die Sanktionen gegen Russland und die Veränderungen in den internationalen Handelsströmen stimulieren die Nachfrage nach brasilianischen Gütern. Die brasilianische Stahlindustrie setzt sich für höhere Einfuhrquoten in den USA ein. Auch über den Außenhandel mit Agrargütern dürfte das Land seine Handelsbilanz verbessern. Beispielsweise könnte brasilianischer Mais Anteile am chinesischen Markt gewinnen, der bislang zu zwei Dritteln von der Ukraine beliefert wird. Andererseits verteuern die steigenden Weltmarktpreise Mais und Soja am Inlandsmarkt und für die brasilianische Viehwirtschaft.

Mit der abrupten Abkehr von Russland muss sich Europa neu ausrichten. Davon könnte Brasilien profitieren. In einem Positionspapier empfehlen der Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (LADW) und der Lateinamerika-Verein e.V. (LAV) Deutschland eine intensivere Zusammenarbeit mit Lateinamerika.

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