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Special | Chile | Start-ups

Erfolgsfaktoren für den chilenischen Markt

Mit seinem gut entwickelten Ökosystem scheint Chile für Start-ups ein leichter Einstiegsmarkt nach Lateinamerika zu sein. Doch es gibt auch Hürden.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Aufgrund der kulturellen Nähe zu Europa und der großen Affinität zu Deutschland empfiehlt sich Chile als Sprungbrett für deutsche Start-ups nach Lateinamerika. Trotzdem gilt es Einiges zu beachten - angefangen damit, dass Englisch nicht vorausgesetzt werden kann. Wie auch in den Nachbarländern sollte deshalb immer jemand im Team Spanisch verhandlungssicher beherrschen.

Risikoaverse Kunden brauchen Referenzprojekte

Auch erfordert es Zeit, den chilenischen - wie den lateinamerikanischen Markt überhaupt - zu entwickeln. "Innovationsbereitschaft besteht meist erst dann, wenn die Firmen an ihre Grenzen stoßen", sagt Camilo Pabon von OroraTech, einem Spinn-off der TU München, das innovative Instrumente zur satellitengestützten Waldbrandfrüherkennung entwickelt hat. Es sei schwer, Firmen zu finden, die offen genug seien, Neues auszuprobieren, und die Geduld hätten, das Produkt weiterzuentwickeln, bis es genau passe. Denn die erste Version sei selten perfekt. "Kundennähe und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit sind essenziell, neben dem nötigen Budget“, so Pabon.

Generell gelten Chiles Firmen als sehr vorsichtige Kunden. Sie warten lieber ab und lassen andere Unternehmen testen, "ob es funktioniert". Umso wichtiger sind Referenzprojekte. Dies bestätigen die Erfahrungen eines anderen deutschen Start-ups, das in Chile mit seiner App zur Digitalisierung von Montageprozessen vor allem den Bergbau (aber auch andere Industriesektoren) im Blick hatte. Trotz einer Präsenz vor Ort, unzähliger Gespräche und niedriger Kosten kam es nie zu einem Abschluss. Einer der Beteiligten führt dies auf die geringe Bereitschaft zurück, wirklich Neues auszuprobieren und bevorzugt auf Altbewährtes - in diesem Fall die Papierform - zurückzugreifen.

Ähnliches ergab eine Diskussion zwischen chilenischen Acceleratoren und Wirtschaftsexperten mit deutschen Start-ups im August 2023 in der AHK Chile: Man müsse sich sicher sein, dass es für das Produkt vor Ort einen Markt gebe, wissen, wer als Kunde in Frage komme, so ein Vertreter des chilenischen Industrieverbandes Sofofa. Gerade der in Chile sehr wichtige Bergbau gelte als überaus konservativ und sei eher dafür bekannt, mit etablierten Unternehmen zu kooperieren und nicht so sehr mit Start-ups.

Das chilenische Umfeld ist vergleichsweise wenig innovativ. Nicht nur mangelt es vielfach an Fachkräften, es gibt auch nur ungenügende Anreize für Forschung und Entwicklung beziehungsweise für Investitionen, um neue Märkte zu erschließen. Im letzten Global Competitiveness Report 2020 des World Economic Forum erreichte der Andenstaat in dieser Kategorie nur 31,7 von 100 möglichen Punkten. Der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt lag laut OECD 2020 (jüngste verfügbare Zahl) lediglich bei 0,34 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2021 rund 3,1 Prozent. Umso willkommener müssten innovative Firmen aus dem Ausland sein.

Bürokratie und Intransparenz lassen manche verzweifeln

Allerdings klagen viele Unternehmen über ein sehr bürokratisches und auch intransparentes Umfeld. Während einerseits ein "supercooles und von viel Hilfsbereitschaft geprägtes Klima für Start-ups herrsche", so ein deutscher Unternehmensvertreter, sei oft sehr schwer einzuschätzen, welche Unterlagen für welche Genehmigungsprozesse notwendig seien. Viele Ideen scheitern am Behördenweg. Allein schon die Beschaffung oder Verlängerung der persönlichen Identifikationsnummer RUT können zum Kraftakt werden. Ohne RUT sind viele Transaktionen in Chile unmöglich. Und selbst die Ausreise kann sich schwierig gestalten, musste ein deutscher Start-up-Vertreter erfahren.

Erschwerend käme hinzu, dass Chilenen nicht nein sagen können. Im Ergebnis fließe viel unnötige Zeit in Follow-ups und Nachfragen. Hartnäckigkeit sei wichtig, gerade in Lateinamerika. Zugleich falle es schwer, den Zeitpunkt festzustellen, an dem man keine Chance mehr habe. Antwortet der potenzielle Kunde nicht, weil er es vergessen oder gerade sehr viel zu tun hat, oder ist sein Interesse tatsächlich erloschen?

Hier hat Javiera Araneda von Start-Up Chile einen Tipp parat: Wenn der Punkt gekommen sei, an dem ein Start-up nicht weiterwisse, empfehle sich ein Schreiben, aus dem Verständnis für die Zeitnöte des Gegenübers hervorgehe. Man wolle ihn nicht länger belästigen, weshalb dies die letzte E-Mail sei, die man an ihn richte. Passiere daraufhin nichts, sei tatsächlich Schluss.

Trotz aller Herausforderungen gibt es eine ganze Reihe ausländischer Start-ups, die sich in Chile erfolgreich etablieren konnten.

Beispiele für erfolgreiche Start-ups in Chile mit ausländischem Hintergrund
  • Das Start-up Bureo wurde - unterstützt von Corfo - 2013 von drei US-amerikanischen Ingenieuren gegründet. Sie verfolgten die Idee, alte Fischernetze zu recyclen. Bis März 2023 hat Bureo eigenen Angaben zufolge rund 3.000 Netze zu Kleidung, Skateboards und anderen Waren verarbeitet. Ein Hauptkunde ist die Outdoormarke Patagonia. Sitz von Bureo ist die Hafenstadt Concepción.

 

  • Die 2013 von vier Deutschen gegründete Busticket-Plattform Recorrido, die Busfernreisen in Chile deutlich transparenter macht und inzwischen auch in weiteren Ländern in Lateinamerika agiert. Bei einer Umfrage der Tageszeitung La Tercera landete Recorrido aus dem Stand auf Platz 16 unter den am meisten nachgefragten Verkaufskanälen.

 

  • Das Spinn-off der Technischen Universität München OroraTech bietet Instrumente zur Waldbrandfrüherkennung und -überwachung mittels eigener Satelliten vom Weltall aus. Seit 2019 arbeitet OroraTech mit Forestal Arauco, dem größten privaten Forstbetrieb Chiles, zusammen, allerdings ohne eigene Niederlassung vor Ort. Der Kontakt kam über den Umweg Argentinien zustande, wo jedoch die nötigen Devisen fehlten. Nach vier Jahren Präsenz und vorzeigbaren Referenzprojekten vor Ort zeigen nun auch andere Firmen ernsthaftes Interesse.

 

Mentalitätswandel hilft Start-ups bei Personalsuche

Auch die Suche nach Personal dürfte in Chile etwas einfacher geworden sein. Wie ein Vertreter der renommierten Universidad Católica feststellte, streben die Absolventen nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren ausnahmslos in die etablierten Konzerne. Im Gegenteil: Gegenwärtig gelte es unter vielen als "cool", in einem innovativen Start-up etwas zur Veränderung der Welt beizutragen. Wer erfahrenere Kräfte braucht, dem bleibt jedoch oft nichts anderes, als sie anderswo abzuwerben.

AHK in vielen Fragen hilfreich

Bei der Personalsuche helfen kann die AHK mit ihrem Netzwerk. Dies gilt auch für die Frage, welche Rechtsform letztlich für den Markteintritt gewählt wird. Ratsam ist dabei die Hinzuziehung eines kompetenten Anwalts- beziehungsweise Steuerberatungsbüros, zumal zwischen Chile und Deutschland kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht. Auch hier kann die AHK Chile mit einer entsprechenden Liste weiterhelfen.

 

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