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Wirtschaftsumfeld | China | Wirtschaftsstruktur

Chinas Wachstumsmodell stößt an Grenzen

Die Verschuldung und Alterung der Gesellschaft führen langfristig zu einem Wachstumsrückgang. Aufgrund neuer Chancen und Risiken sollten Firmen ihre China-Strategie überprüfen.

Von Roland Rohde | Hongkong

Die Jahre 2021 und 2022 könnten sich als wichtige Trendwende in Chinas Wirtschaftsgeschichte herausstellen. Seit viereinhalb Jahrzehnten entwickelte sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in einem atemberaubenden Tempo, das bislang die zahlreichen strukturellen Probleme zu überdecken vermochte. Doch immer stärker machen sich selbige negativ bemerkbar.

Bei ausländischen Analysten macht sich Skepsis zum Wirtschaftsausblick breit. Ein Bericht der Zeitschrift Foreign Affairs vom Oktober 2021 wurde "Das Ende von Chinas Aufstieg" betitelt. Der Internationale Währungsfonds erwartet für 2022 nur noch eine Zunahme des BIP von real 4,8 Prozent. Goldman Sachs rechnet mit ein Plus von 4,3 Prozent. Damit schließt sich die Wachstumsschere 2022 zwischen den USA und der Volksrepublik spürbar.

Immer mehr Ökonomen gehen davon aus, dass China eine ähnliche Entwicklung wie Japan nimmt. In den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts hatte man noch erwartet, das Land der aufgehenden Sonne werde bald die USA in Sachen Wirtschaftskraft übertreffen. Dann platzte Anfang der 90er-Jahre eine Immobilienblase, seit der die japanische Wirtschaft nur noch moderat wuchs.

Doch ist das jetzige China mit Japan von damals vergleichbar? In vielen Punkten gibt es durchaus Übereinstimmungen. Auch im Reich der Mitte ist eine Immobilienblase entstanden, was unter anderem die Zahlungsschwierigkeiten des Evergrande-Konzerns verdeutlichen. Selbst wenn ein Übergreifen auf den Finanzsektor nicht mehr wahrscheinlich ist, offenbart die Krise dennoch die Schwächen eines Wirtschaftssystems, in dem neue Schulden zur Begleichung von alten Verbindlichkeiten aufgenommen werden.

Weitere Investitionen in unrentable Bahnstecken

Die Unternehmensverschuldung Chinas war bereits vor Corona gemäß der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIS) die höchste Asiens. Alleine die staatliche Eisenbahngesellschaft sitzt auf 900 Milliarden US-Dollar (US$) Verbindlichkeiten, dreimal mehr als Evergrande. Bereits jetzt lassen sich viele Strecken nicht kostendeckend betreiben. Trotzdem soll das Hochgeschwindigkeitsnetz bis 2035 nochmals um 80 Prozent wachsen.

Weniger Kinder pro Kopf als in Deutschland

Dies alles passiert zu einer Zeit, in der die Bevölkerung rasch altert, ohne dass die Volksrepublik ein Wohlstandsniveau wie ein Industrieland erreicht hätte. Zwischen 2016 und 2021 ist die Anzahl der Geburten laut dem nationalen Statistikamt (NBS) dramatisch zurückgegangen. Pro-Kopf wurden 2020 erstmalig weniger Kinder als in Deutschland geboren. Das Reich der Mitte dürfte den Wettlauf, schneller reich als alt zu werden, kaum noch gewinnen. Als Folge sinkt die Produktivität, während die Löhne steigen.

Immer mehr Geld muss künftig in die Bedienung von Schulden und die Stabilisierung des Rentensystems fließen. Zugleich erfordert die Energiewende enorme Summen. China ist der größte CO₂-Emittent der Welt und mit seinen vielen Küstenstädten besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels. So etwas kann gelingen, wenn es gesunde und innovative Unternehmen gibt. Doch diese verspüren seit einigen Jahren verstärkt Gegenwind. Beijing setzt auf mehr Kontrolle und Steuerung der Privatwirtschaft.

Kontrolle des Privatsektors würgt Unternehmergeist ab

Das bekamen nicht nur große IT-Konzerne, sondern auch mittelständische Branchen wie der Nachhilfesektor schmerzhaft zu spüren. Es gibt durchaus Argumente - vor allem sozialer Natur - für eine strengere Regulierung der Digitalwirtschaft. Wenn aber der Staat den Privatunternehmen zunehmend vorgibt, was sie zu tun und zu lassen haben, kommt es zwangsweise zu Fehlallokationen: Die Gewinnmargen sinken und die Verschuldung steigt. Zugleich leiden Unternehmergeist und Innovationsfreude.

Konzepte wie "Dual Circulation" und "Buy China" zielen außerdem auf mehr Autarkie und eine größere Lokalisierung ab. Internationale Zusammenarbeit verliert an Bedeutung. Es ist schon vor Corona schwieriger geworden, Visa für ausländische Arbeitskräfte und Wissenschaftler zu erhalten. Die weitgehende Schließung der Grenze infolge von Covid-19-Ausbrüchen passt ins Gesamtkonzept.

Einen gewichtigen positiven Faktor gibt es allerdings: Chinas Einkommen befinden sich erst auf einem mittleren Niveau. Das BIP pro Kopf lag 2020 laut Angaben der Weltbank bei gut 10.000 US-Dollar (US$). Die Vereinigten Staaten von 63.000 US$. Somit besteht bei zahlreichen Konsumgütern noch Nachholbedarf. Bereits jetzt hat Volksrepublik die größte Mittelklasse der Welt. Sie wird in den nächsten Jahren weiter wachsen. 

 

Intensivere Marktbearbeitung und Diversifikation

Was folgt daraus für deutsche Unternehmen? Um bei niedrigeren Wachstumsraten ihre Umsätze zu steigern, müssen sie den Markt künftig intensiver bearbeiten. Doch durch die angestrebte Lokalisierung und Abschottung wird der Marktzugang schwieriger. Unternehmen sollten daher ihre China-Strategie auf den Prüfstand stellen und überlegen, wie hoch ihre Abhängigkeit vom chinesischen Absatzmarkt maximal sein darf. Falls ihr Länderrisiko zu hoch ist, werden sie sich nach neuen Wachstumsregionen, etwa in Süd- und Südostasien, umschauen müssen.

Die Nachfrage nach Automatisierungs-,  Medizin- und Umweltschutztechnik sowie Gütern für Senioren wird kräftig wachsen.

Nicht außer Acht zu lassen ist jedoch, dass Chinas Wirtschaft aufgrund ihrer schieren Größe selbst bei einem BIP-Plus von nur 3 Prozent immer noch jährlich in einem Umfang zunimmt, der etwa der Wirtschaftskraft Belgiens entspricht. Für den Absatz eröffnet zudem die Änderung der Nachfragestruktur neue Chancen.

Die Unternehmen in der Volksrepublik investieren verstärkt in Automatisierungstechnik. Der Ausbau des Gesundheitssystems und Investitionen in den Klimaschutz generieren zusätzliche Nachfrage. Die Konsumgüteranbieter wiederum werden sich vermehrt auf den Bedarf von Senioren konzentrieren. Verschaffen Sie sich einen Überblick über Chancen und Risiken in der SWOT-Analyse zu China.

Langfristige Probleme in China und deren wirtschaftlichen Folgen

Problem

Ursachen

Folgen

Nicht mehr tragfähige Verschuldung

Überinvestitionen in Infrastruktur, Immobilien und Produktionskapazitäten

Immer mehr Geld fließt in Bedienung von Verbindlichkeiten; abnehmendes Wachstum

Alterung der Gesellschaft

Starker Geburtenrückgang

Stabilisierung des Rentensystems über steigende Zuschüsse; weniger Konsum; abnehmende Produktivität

Immobilienblase

Aufgeblähte Preise; durch Preiskorrektur haben viele auf dem Papier weniger Geld

Einzelhandelskonsum geht zurück; Rentenlücke vergrößert sich, da Immobilien als Altersvorsorge fungieren

Mehr Kontrolle und Steuerung der  Privatunternehmen

Beijing setzt verstärkt auf soziale Ziele und eine bessere  Einkommensumverteilung

Entmutigung des Unternehmertums, sinkende Gewinne, Fehlinvestitionen, Abnahme der Innovationskraft

Abschottung vom Ausland

Wegen Handelskonflikt und Lieferboykotten setzt China auf Autarkie und Lokalisierung

Schwierigerer Marktzugang für ausländische Firmen; Druck zu Lokalisierung; technologischer Fortschritt verlangsamt sich

Klimawandel

China ist größter CO₂-Emittent; Land ist sehr anfällig, da viele Metropolen an der Küste liegen

Enorme Investitionen in Klimaschutz erforderlich

Quelle: Zusammenfassung von Germany Trade & Invest



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