Rechtsbericht EU Sozialversicherungsrecht
Brexit: Entsendung und Sozialversicherung ab 2021
Das Trade and Cooperation Agreement vom 24. Dezember 2020 enthält wichtige Regelungen zum Thema Entsendung und Sozialversicherung. Vieles bleibt zunächst so, wie es ist.
05.01.2021
Von Karl Martin Fischer | Bonn
Mit dem Ablauf der Übergangsphase endete auch die Geltung des europäischen Rechts zur Koordinierung der Sozialversicherung im VK, insbesondere die Verordnung (EG) 883/2004. Ohne eine Regelung wäre das Vereinigte Königreich vertragsloses Ausland geworden, was erhebliche Unsicherheit mit sich gebracht hätte – besonders die Bestimmung des anwendbaren Rechts wäre kaum zuverlässig möglich gewesen. In diesem Bericht geht es um Sachverhalte, die ab 2021 beginnen. Sachverhalte, die bis Ende 2020 begonnen haben, werden im Zweifel im Austrittsabkommen geregelt sein.
Die neuen Regelungen finden sich nicht im Abkommen selbst, sondern in einem gesonderten Protokoll über die Koordinierung der sozialen Sicherheit (KSS), das zunächst für einen Zeitraum von 15 Jahren gelten soll.
Welches Recht gilt bei vorübergehender Auslandsbeschäftigung
Die Regelungen zur Sozialversicherung bei vorübergehender Auslandsbeschäftigung finden sich in einem Protokoll des neuen Abkommens über Handel und Zusammenarbeit EU-VK, dort in den Artikeln KSS.10 und KSS.11. In Artikel KSS.10 wird zunächst die international übliche Regelung getroffen, nach der sich die Sozialversicherungspflicht nach dem Beschäftigungsort richtet. Für die vorübergehende Arbeitsleistung in einem anderen Land regelt Artikel KSS.11 eine Ausnahme:
Wer normalerweise in einem Land arbeitet und von seinem Arbeitgeber in ein anderes Land entsandt wird, um dort im Namen des Arbeitgebers seine Arbeitsleistung zu erbringen, ist weiterhin im Heimatland sozialversichert, vorausgesetzt
- die Dauer der Auslandsbeschäftigung überschreitet nicht 24 Monate, und
- der entsandte Mitarbeiter nicht einen anderen entsandten Mitarbeiter ablöst.
Dies gilt auch für selbständig Tätige, wobei das Ablöseverbot nicht einschlägig ist. Die genannten Regelungen entsprechen inhaltlich derjenigen in Artikel 12 der Verordnung (EG) 883/2004.
Diese Regelungen gelten allerdings nur für solche Mitgliedstaaten der EU, die ausdrücklich für die Geltung optiert haben, siehe Artikel KSS.11 Absatz 2. In der dort genannten Notifizierung vom 31. Dezember 2020 ist Deutschland in Kategorie C eingeteilt, hat also keine Äußerung getroffen. Für diesen Fall regelt das Abkommen eine vorläufige Geltung, zunächst für einen Monat (Artikel KSS.11 Absatz 5). Innerhalb dieses Monats wird die Äußerung nachgeholt. Nach hiesiger Einschätzung dürfte relativ wenig Zweifel daran bestehen, dass sich Deutschland für die Geltung des Artikel KSS.11 entscheiden wird.
Was gilt bei Beschäftigung in mehreren Ländern
Das Protokoll trifft in Artikel KSS.12 ausführliche Regelungen für Fälle mit Bezug zum VK, in denen dauerhaft in mehr als einem Land gearbeitet wird. Auch hier knüpft die Regelung an die europäische Rechtslage an: Wenn ein wesentlicher Teil der Beschäftigung im Wohnsitzstaat ausgeübt wird, gilt das Sozialversicherungsrecht des Wohnsitzstaats. Wenn kein wesentlicher Teil der Beschäftigung im Wohnsitzstaat ausgeübt wird, ist das Recht desjenigen Landes anwendbar, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
Für selbständig Tätige gilt ebenfalls das Recht des Wohnsitzstaates, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausüben, anderenfalls das Recht desjenigen Staates, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Tätigkeiten befindet.
Wie werden diese Regelungen umgesetzt?
Die Thematik der verwaltungstechnischen Durchführung der oben genannten Regelungen ist in Annex KSS-7 des Protokolls geregelt. Für das Formular A1 wie auch für die Europäische Krankenversicherungskarte regelt Artikel KSSD.75 des Protokolls, dass diese zunächst weiterverwandt werden sollen. Die längerfristige Regelung dieser Thematik wird dem spezialisierten Ausschuss für die Koordinierung der Sozialversicherung übertragen. So lange dieser keine neue Regelung findet, bleibt die Übergangsregelung in Kraft. Wichtig in diesem Zusammenhang: Unter dieser vorübergehenden Regelung ausgestellte Dokumente bleiben für die Dauer, für die sie ausgestellt sind gültig, auch wenn zwischenzeitlich die neue Regelung schon in Kraft getreten ist.