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Welche Normen regieren das Internet?
Im Jahr 2019 sorgte der chinesische Konzern Huawei mit einem Vorschlag zur Reform des globalen Internet Protocol (IP) für Aufsehen. Exportiert China seine Regulierungsphilosophie?
26.04.2022
Von Sebastian Holz | Bonn
Chinas zunehmende Bedeutung in der Weltwirtschaft spiegelt sich auch im digitalen Raum wider. Das heutige China beheimatet mit Alibaba, Huawei, und Tencent einige der größten Techfirmen der Welt. Im Jahr 2021 nutzten laut Statista 4,66 Milliarden Menschen das Internet. 1,03 Milliarden davon kamen aus China. Welche Auswirkungen hat diese Verschiebung auf das Wertefundament des Internets?
China hat im Inland eine effektive Zensur und Internetkontrolle durchgesetzt, die in den Anfangstagen des Internets für unmöglich gehalten wurde. Der damalige US-Präsident Clinton sagte im Jahr 2000, jeder Versuch, das Internet zu regulieren, sei ähnlich erfolgversprechend, wie das Vorhaben, einen Pudding an die Wand zu nageln. Zwei Jahrzehnte später hat China den Pudding als Wandschmuck etabliert. Westliche Medien und Kommunikationsdienste sind ohne VPN-Tunnel nicht nutzbar, Zensoren löschen kritische Inhalte binnen Minuten.
Die digitale Werteordnung verändert sich
Der Aufstieg eines autoritären Staates zur digitalen Großmacht hat Folgen für das globale Internet. Im Rahmen von Chinas neuer Seidenstraße (auch Belt and Road Initiative) und der 2015 ausgerufenen digitalen Seidenstraße exportiert China seine Digitaltechnik und Software in die ganze Welt.
Chinesische Überwachungstechnologie kommt beispielsweise in Smart-City-Projekten weltweit zum Einsatz. Oftmals teilen die Partnerländer die Sorge der chinesischen Führung um die öffentliche Ordnung. In Ländern wie Pakistan finden solche Projekte daher reißenden Absatz.
Aber auch über solche Projektexporte hinaus zeigt China zunehmend Ambitionen, die Funktionsweise des Internets zu reformieren.
Wie revolutionär ist der Huawei-Vorschlag "New IP"?
Im September 2019 schlugen Forscher von Huawei, China Unicom, China Telecom und dem Ministerium für Industrie und Informationstechnik der Volksrepublik China bei der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) eine weitreichende Reform des Internet-Protokolls vor. Das TCP/IP Protokoll wurde ursprünglich 1978 entwickelt und regelt die dezentralen Datentransfers im Internet. Das Protokoll war seitdem bereits mehrmals reformiert worden. Die aktuelle Version IPv6 wird seit 1998 verwendet.
Die Entwickler des chinesischen "New IP"-Vorschlags argumentieren, dass die neue Version notwendig sei, um mit der rapiden Veränderung des Internets Schritt zu halten. Mit den Anforderungen des Internets der Dinge (IoT) und dem Datenhunger autonomer Fahrzeuge könne das aktuelle System nicht fertig werden. Stattdessen sollen mit New IP Geräte im gleichen Netzwerk direkt miteinander kommunizieren können, ohne Informationen über das Internet senden zu müssen. Dies würde die verfügbare Bandbreite des weltweiten Netzes entlasten.
Gleichzeitig eröffnet ein solch multipolares Internet aber die Tür für mehr Kontrolle. Denn jedes dieser Netzwerke könnte von einer zentralen Kontrollstelle vom weltweiten Netz abgeklemmt werden. Damit könnten einerseits Hackerangriffe mithilfe massenhafter Anfragen (Distributed Denial of Service, DDoS) unterbunden werden, andererseits könnten Organisationen und Endnutzer so leichter von der digitalen Außenwelt abgeschnitten werden. Damit wäre das Internetprinzip des "agnostischen Postboten", der ohne Diskriminierung Datenpakete zustellt, Geschichte.
Der Vorschlag wurde bislang nicht angenommen und wird erst seit März 2022 wieder auf der Arbeitsebene der ITU diskutiert. China sucht weiterhin nach Partnern, um seine Vorstellung des globalen Netzes umzusetzen. Laut der gemeinsamen Erklärung des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin von Februar 2022 wollen die beiden Länder künftig auch im Bereich der Internetregulierung noch enger zusammenarbeiten.
Wie erfolgreich exportiert China sein Regulierungsmodell?
Gerade auf dem afrikanischen Kontinent ist China beim Export digitaler Infrastruktur führend. Eine Untersuchung der China-Africa Research Initiative der US-amerikanischen Johns Hopkins Universität fand 2021 allerdings keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen der Höhe der Technologieimporte aus China und dem Abstimmungsverhalten afrikanischer Länder in der ITU. Gleichzeitig gibt es bei vielen afrikanischen Regierungen durchaus Unterstützung für eine striktere Kontrolle der digitalen Öffentlichkeit. In der ITU unterstützen afrikanische Länder den chinesischen Vorstoß daher auch ohne größere Investitionssummen chinesischer Digitalkonzerne empfangen zu haben.
Es ist daher durchaus denkbar, dass künftig zwei mehr oder weniger kompatible Modelle des Internets parallel existieren werden. Wenn China auf New IP beharrt und die westliche Welt sich dem verweigert, dann könnte es zu einer regulatorischen Gabelung kommen.
Bislang ist Chinas Erfolg bei der Durchsetzung seiner nationalen Standards im Ausland allerdings begrenzt. Viele Schwellenländer ohne eigene Normierungsinfrastruktur verwenden ausschließlich die internationalen Standards von ISO und der Internationalen Elektrotechnischen Kommission (IEC). Die gelten dann auch für chinesische Bauprojekte. Lediglich bei der sogenannten Paketfinanzierung, bei der China sowohl für die Finanzierung als auch für die Projektdurchführung verantwortlich zeigt, winkt China mitunter mit günstigeren Konditionen, wenn chinesische Standards Anwendung finden. Allerdings sind die Finanzierungsvolumina chinesischer Banken im Ausland bereits seit einigen Jahren rückläufig.
Konrad Adenauer Stiftung: Geopolitik Digitaler Standards. Chinas Rolle in Normgebungsorganisationen | |
EU Chamber of Commerce in China: The Shape of Things to Come. The Race to Control Technical Standardisation. | https://www.europeanchamber.com.cn/en/publications-standardisation-report |
Huawei-Vorschlag "New IP" | |
China-Africa Research Initiative Working Paper 50: China's Digital Silk Road in Africa and the Future of Internet Governance | http://www.sais-cari.org/publications-working-papers |