In der technischen Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland ist das Thema Mobilität Hauptschwerpunkt. In der Praxis sieht Normierung anders aus als in der politischen Debatte.
Die Deutsch-Chinesische Kommission für Zusammenarbeit in der Normung (DCKN) ist das wichtigste Gremium bilateraler technischer Zusammenarbeit in Sachen Normen und Standards zwischen beiden Ländern. Sie besteht seit dem Jahr 2011 und wird auf deutscher Seite geleitet vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN). Der chinesische Partner ist die Nationale Verwaltungsorganisation für Standardisierung der Volksrepublik China (SAC).
Automatisiertes Fahren, Industrie 4.0 und Elektromobilität sind Schwerpunktfelder der Kooperation. Der Kommission geht es um die technische Lösung und Harmonisierung von unterschiedlichen Standards. Elektromobilität ist ein wichtiges Konnektivitätsthema: Für Transportverbindungen auf nationalen, internationalen und interkontinentalen Routen sind elektrische Lösungen für Lastkraftwagen der Zukunft bedeutend.
Über die Praxis der Normungszusammenarbeit mit chinesischen Expertinnen und Experten sprach GTAI mit Mario Beier, Gruppenleiter in der DIN-Gruppe Forschung und Transfer und zuständig für die Geschäftsstelle Mobilität bei DIN.
Herr Beier, worum geht es genau bei Ihrer Arbeit?
Wir beschäftigen uns in der DCKN mit Normungsthemen unterschiedlicher Couleur. Dazu gehören Künstliche Intelligenz (KI) und Cyber-Sicherheit genauso wie klassische Industriethemen. Das gegenseitige Verständnis der Normungsprozesse steht im Vordergrund. Wir möchten die chinesische Normensetzung so genau wie möglich verstehen. Das große Ziel ist die Harmonisierung und Vereinfachung der Normen und Standards. Kosteneinsparungspotenziale sind für unsere Unternehmen wichtige Ziele. Unseren chinesischen Partnern geht es im Gegenzug zunehmend darum, dass wir in Deutschland, in Europa und international chinesische Entwicklungen übernehmen oder daran mitarbeiten.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit konkret?
Die Unterarbeitsgruppe Elektromobilität der DCKN konzentriert sich aktuell unter anderem auf das Thema "Megawatt-Charging" und "Electric Vehicle Safety". Das schnelle Laden von Elektrofahrzeugen mit hohem Energiebedarf ist entscheidend für die Entwicklung der künftigen Transportkonnektivität.
Sobald Themen aufkommen, die für die Bedürfnisse in China, in Europa oder transnational interessant sind, können wir den Fachdialog aufnehmen: Aktuell geht es uns darum, Prüfmechanismen zu harmonisieren, damit Technologien einfacher und schneller zur Anwendung kommen können. Das wiederum reduziert Kosten. Die Zusammenarbeit funktioniert aber auch deshalb gut, weil wir uns lange kennen und innerhalb etablierter Strukturen zusammenarbeiten können. Da ist ein gewisses Vertrauen aufgebaut. Treffen finden dabei bedarfsorientiert in Workshops statt.
Wer sitzt in Ihrer Arbeitsgruppe?
Wir von DIN haben auf deutscher Seite den Vorsitz, SAC auf chinesischer Seite. Deutsche Experten kommen aus den Unternehmen beziehungsweise aus den einschlägigen Normungsgremien, wie dem im Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) organisierten Normenausschuss Automobiltechnik oder der Deutschen Kommission Elektrotechnik (DKE). Auf der chinesischen Seite sind die Experten stärker an die staatlichen Stellen wie das Chinesische Technologie- und Forschungszentrum für Mobilität (CATARC) gebunden.
Um welche Standards geht es?
Das können konkrete Produktstandards sein, wie die Steckverbindungen bei Elektrofahrzeugen. Da weichen die Industrienormen oft voneinander ab. Auch wenn wir diese gegenseitig nicht eins zu eins übernehmen können oder wollen, versuchen wir uns in Teilfragen anzunähern. Wir diskutieren, welche Technik hinter einem Steckergesicht zum Einsatz kommt oder welche Sicherheitsanforderungen definiert werden. Bei der Produktion für den jeweiligen Markt müssen dann nicht alle Komponenten unterschiedlich gestaltet sein. Diese Form der bilateralen Normung spart bereits viel Geld. Normung bedeutet eben Kompromisse zu schließen.
Übernimmt Deutschland dann auch chinesische Standards?
Grundsätzliches Ziel ist immer die Angleichung nationaler Standards an die internationale Normung. Bilateral erfolgte Abstimmungen sollen letztlich auf die internationale Ebene bei der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und der Internationalen Kommission für Elektrotechnik (IEC) verlagert werden, um nationale Abweichungen auszuschließen oder zumindest zu minimieren. Bei dem Thema Megawatt-Charging gilt das auch. Hier treten wir in einen offenen und ausgeglichenen Dialog und prüfen, welche von der chinesischen Seite erarbeiteten Entwicklungen auch von deutscher Seite übernommen werden könnten und sollten.
Spielen politische Standpunkte keine Rolle bei der technischen Normung?
Beim Thema Elektromobilität ist das aktuell weniger der Fall. Anders sieht das zum Beispiel beim Thema automatisiertes Fahren aus. Da gab es Sorge vor einem ungewollten Know-how-Transfer und entsprechende Beratungen, bevor es in den konkreten fachlichen Austausch mit der chinesischen Seite ging. Nochmal: Bei der Normungszusammenarbeit geht es um Ausgleich, es geht um Kompromisse. Beide Seiten müssen etwas anzubieten haben. Die technischen Inputs können nicht nur von einer Seite kommen. Hier muss man die Karten auf den Tisch legen und dann schauen, ob Normung und eine Angleichung Sinn machen oder nicht.
Schauen wir abschließend auf die internationale Ebene. Chinesische Expertise besetzt bei neuen Technologien oft Lücken. Bemerken Sie mehr Aktivitäten in Ihrem Fachbereich?
Ja, die Aktivitäten in den relevanten Gruppen bei ISO und IEC haben zugenommen. Doch sie wirken nicht immer offensiv. Chinesische Expertinnen und Experten waren in den Gruppen auch nicht immer physisch präsent. Umgekehrt haben sie immer wieder neue Normungsvorschläge auf den Weg gebracht, wenngleich mit unterschiedlichem Reifegrad. Europäische Standards spielen im Automobilbereich keine dominierende Rolle, denn Automobilbau ist ein internationales Thema von ISO und IEC. Was dort zur Norm wird, wird häufig für Europa übernommen.
Von Marcus Hernig
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Bonn