Special | Finnland | Krieg in der Ukraine
Finnland will möglichst auf russische Energie verzichten
Finnland importiert vor allem Energie aus Russland. Aber das wird sich nun ändern. Der Krieg dürfte das Land wirtschaftlich weniger stark treffen als andere EU-Staaten.
25.03.2022
Von Niklas Becker | Helsinki
Mehr als 1.000 Kilometer lang ist die Landgrenze zwischen Russland und Finnland. Trotzdem verlieren die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen seit rund 10 bis 15 Jahren an Bedeutung. Der russische Angriff auf die Ukraine wird diese Entwicklung beschleunigen. Viele finnische Unternehmen haben sich bereits aus dem russischen Markt zurückgezogen oder dies angekündigt. Im Gegensatz dazu sind die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Finnland und der Ukraine sowie Belarus minimal.
Die Auswirkungen des Kriegs und der daraus resultierenden Sanktionen werden auch die finnische Wirtschaft hart treffen. Allerdings dürften die Folgen weniger deutlich ausfallen als in anderen europäischen Volkswirtschaften. Ein Vorteil ist, dass sich die finnische Wirtschaft bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine von den negativen Auswirkungen der Pandemie erholt hatte. Finnlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) erreichte Mitte 2021 das Vorkrisenniveau. Vor allem an den Preissteigerungen werden die wirtschaftlichen Folgen für Finnland zu beobachten sein.
Erste Schätzungen liegen vor
Mitte März 2022 gab die finnische Zentralbank eine erste Einschätzung zu den möglichen wirtschaftlichen Folgen des Krieges ab. Die zwei Szenarien unterscheiden sich in der Dauer des Konflikts sowie im Ausmaß der Sanktionen. In beiden Szenarien rechnet das Finanzinstitut mit deutlich höheren Öl- und Rohstoffpreisen.
Für das erste Szenario prognostiziert die Zentralbank einen moderaten Anstieg der Inflation und eine Abschwächung der Exportnachfrage. Nach dem ersten Schock wird eine gewisse konjunkturelle Anpassung erwartet. Im pessimistischeren Szenario wird ein starker Anstieg der Inflation prognostiziert. Die Exportnachfrage wird sich abschwächen und die Wirtschaft nur langsam anpassen. In diesem Fall wirkt sich der russische Angriffskrieg auch 2023 negativ auf das finnische Wirtschaftswachstum aus.
Russland ist ein wichtiger Handelspartner
Angaben von Eurostat zufolge haben 2019 etwa 2.900 finnische Unternehmen nach Russland exportiert. Mit 3,1 Milliarden Euro gingen 2020 rund 5,3 Prozent der gesamten finnischen Warenexporte nach Russland. Das Land ist damit der sechstwichtigste ausländische Absatzmarkt für finnische Unternehmen. Laut Experten ist der russische Absatzmarkt jedoch für keinen Sektor elementar.
Produkt | Wert (in Mio. Euro) | Russischer Anteil an den gesamten Ausfuhren dieser Warengruppe (in Prozent) |
---|---|---|
Maschinen | 767,9 | 7,6 |
Papier/Pappe | 447,5 | 6,3 |
Kupfererze | 401,4 | 57,1 |
Petrochemie | 284,2 | 7,4 |
Elektronik | 181,2 | 10,9 |
Kunststoffe | 196,6 | 8,5 |
Lacke/Farben | 72,1 | 25,0 |
Bei den Importen ist Russland mit einem Anteil von 9,8 Prozent sogar der drittwichtigste Bezugsmarkt für Finnland. Fast 1.300 finnische Firmen bezogen 2019 Importe aus Russland. Im Jahr 2020 belief sich der Gesamtwert der Wareneinfuhren auf 5,8 Milliarden Euro.
Für einige Produkte ist die Bedeutung Russlands jedoch deutlich größer, insbesondere bei Energieprodukten und Nickel. Der Anteil russischen Erdöls in der finnischen Importstatistik dürfte zukünftig jedoch geringer ausfallen. Dem Vernehmen nach ist ein großer Beitrag dieser Einfuhren auf Finnlands Mineralölkonzern Neste zurückzuführen. Das Unternehmen gab Anfang März 2022 bekannt, russisches Rohöl größtenteils durch andere Rohöle wie beispielsweise Nordseeöl ersetzt zu haben.
Bei Gas belief sich der russische Importanteil 2019 auf 100 Prozent. Durch Lieferungen von Flüssiggas (unter anderem aus dem litauischen Hafen Klaipeda) und Gaslieferungen durch den Anfang 2020 fertiggestellten Baltic Connector ist der russische Anteil aber bereits 2020 und dann auch 2021 zurückgegangen. Nach Einschätzung von Marktkennern stammt ein Teil des auf diese Weise importierten Gases allerdings ursprünglich ebenfalls aus Russland. Der tatsächliche russische Anteil an den Gasimporten nach Finnland dürfte 2021 also höher liegen als die von Eurostat ausgewiesenen 47,6 Prozent. Gas kommt hauptsächlich in der finnischen Industrie zum Einsatz.
Produkt | Wert (in Mio. Euro) | Russischer Anteil an den gesamten Einfuhren dieser Warengruppe (in Prozent) |
---|---|---|
Erdöl | 2.884,9 | 79,6 |
Nickel | 1.174,2 | 85,8 |
Kork und Holz | 475,7 | 68,7 |
Industriechemikalien | 414,2 | 20,4 |
Gas | 97,6 | 47,6 |
Düngemittel | 75,6 | 29,5 |
Lang erwartetes Atomkraftwerk geht ans Netz
In der Vergangenheit spielten in Finnland Stromimporte aus Russland eine wichtige Rolle. Im Jahr 2021 wurden fast 9 Terawattstunden aus dem östlichen Nachbarland eingeführt. Neben den anderen nordischen Volkswirtschaften war Russland damit der wichtigste Stromlieferant für Finnland. Das dürfte nun allerdings der Vergangenheit angehören. Mitte März 2022 hat Finnlands fünfter Atomreaktor Olkiluoto 3 mit der Stromproduktion begonnen. Ursprünglich sollte der Reaktor bereits 2009 fertiggestellt werden.
In der Testphase wird der neue Reaktor die russischen Stromimporte zumindest zur Hälfte kompensieren können. Bei voller Auslastung soll der neue Reaktor nach Einschätzung von Experten in der Lage sein, den aus Russland importierten Strom in Gänze zu ersetzen. Laut finnischer Wirtschaftszeitung Kauppalehti wird Olkiluoto 3 die Stromimporte aus Russland spätestens ab Juli 2022 vollständig ersetzen können.
Torf wird russisches Holz ersetzen
Holz ist der wichtigste Rohstoff bei der Energieerzeugung in Finnland. Rund 28 Prozent des gesamten finnischen Energieverbrauchs wurden 2020 mit Energie aus Holz abgedeckt. Dabei setzt das Land auch auf Importe. Etwa die Hälfte des eingeführten Holzes stammt aus Russland. Damit werden rund 2,5 Prozent des gesamten finnischen Energieverbrauchs durch Holz aus russischer Lieferung gewonnen. In Zukunft soll Torf diesen Anteil übernehmen. Dabei war erst im Herbst 2021 entschieden worden, die Gewinnung von Energietorf einzustellen. Nun soll sie im Sommer 2022 wieder aufgenommen werden.
Tourismusbranche wenig betroffen
Noch vor zehn Jahren hatten russische Touristen vor allem für den Osten Finnlands eine große Bedeutung. Die Abwertung des Rubels hat die Zahlen jedoch zurückgehen lassen. Trotzdem spielten die Gäste aus dem Nachbarland bis zum Ausbruch der Coronapandemie noch eine wichtige Rolle. Die daraufhin eingeführten Reisebeschränkungen haben jedoch zu einem abrupten Besucherstopp geführt. Nach Einschätzung von Experten haben sich viele Tourismusunternehmen während der Pandemie an die neuen Gegebenheiten angepasst. Die nun weiterhin ausbleibenden Besucherströme aus Russland würden sie daher nicht vor Probleme stellen.