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Wirtschaftsumfeld | Hongkong | Coronakrise

Ausländische Fachkräfte verlassen fluchtartig Hongkong

Hongkong hat mit einer heftigen Omikron-Welle zu kämpfen. Immer mehr Expatriates verlassen die Stadt - viele wohl dauerhaft. Die Emigration nimmt dramatische Ausmaße an.

Von Roland Rohde | Hongkong

"Ich muss meine Familie in Sicherheit bringen". Dieser Satz war Anfang März 2022 von in Hongkong lebenden Ausländern zu hören. Die seit zwei Jahren verfolgte Null-Covid-Politik ist praktisch über Nacht in sich zusammengebrochen. Die Infektionszahlen sind zwischen Jahresbeginn 2022 und Anfang März um den Faktor 2.000 gestiegen. In der ersten Märzwoche lag die Sieben-Tage-Inzidenz auf Basis der Zahlen des Centre for Health Protection bei rund 3.000.

Eine riesige Omikron-Welle trifft auf eine unzureichend immunisierte Bevölkerung. In der besonders vulnerablen Gruppe der über 80-Jährigen waren am 8. März 2022 nur 4 Prozent mit einem mRNA-Impfstoff (BioNTech) geboostert. Die Notaufnahmen der Kliniken sind völlig überfordert. Das Gesundheits- und Ambulanzsystem ist in Teilen kollabiert. Gemessen an der Sterberate belegt Hongkong laut Our World Data mit weitem Abstand einen traurigen ersten Platz.

Hongkong hält an "dynamischer Null-Covid-Strategie" fest

Trotzdem hält die Regierung auf Druck Beijings an ihrer sogenannten dynamischen Null-Covid-Strategie fest und verfällt in Aktionismus. Nahezu täglich kündigt sie neue Maßnahmen an, aber erklärt sie nicht näher. Zugleich werden geltende Vorschriften bezüglich Quarantäne, Isolierung oder Testen nicht mehr durchgesetzt, weil die Behörden komplett überlastet sind. Die Bevölkerung lebt in einer Art Grauzone.

Die Pandemielage ist völlig unübersichtlich. Die Menschen agieren in einer Art Grauzone.

Die Regierung kündigte bereits einen Lockdown und stadtweites Zwangstesten an, woraufhin die Bevölkerung zu Panikkäufen überging. In vielen Supermärkten waren Anfang März 2022 bestimmte Waren ausverkauft. Niemand weiß, wann der Lockdown beginnt, wie dieser genau verlaufen wird und was er denn bringen soll.

Das eigentliche Ziel ist die Isolierung von positiv Getesteten. Dafür lässt die Regierung in Windeseile zahlreiche Lager bauen. Aber auf absehbare Zeit können sie nur einen Bruchteil aller Infizierten tatsächlich aufnehmen. Doch die Angst, abgeholt und weggeschlossen zu werden, ist trotzdem groß. Familien befürchten, von ihren Kindern getrennt zu werden, was bereits vorgekommen ist. Die US-Regierung hat daher eine entsprechende Reisewarnung herausgegeben.

Schulen öffnen frühestens nach Sommerferien 2022

Ohnehin sind die meisten der in Hongkong lebenden Expatriates am Ende ihrer Kräfte. Seit über zwei Jahren konnten viele aufgrund der Grenzschließung die Stadt nicht mehr verlassen. Eine Öffnung dürfte 2022 nicht mehr erfolgen. Die Schulen hatten 2020 fast das gesamte Jahr geschlossen. Seit Anfang 2022 sind sie erneut dicht. Daran wird sich vor den Sommerferien auch nichts ändern.

Da keinerlei Aussichten auf Besserung bestehen, fassen immer mehr ausländische Familien den Entschluss, Hongkong zu verlassen. Zunächst "flüchten" häufig Ehepartner und Kinder für ein paar Monate nach Thailand oder Singapur. Von dort aus kann man ohne Zeitverschiebung am Hongkonger Online-Unterricht teilnehmen. Doch viele wollen der Stadt auch endgültig den Rücken kehren.

Angesichts fortlaufender Grenz- und Schulschließungen werfen viele Familien das Handtuch.

Alleine im Februar 2022 haben laut Angaben des Immigration Department mehr als 70.000 Personen die Sonderverwaltungsregion (SVR) verlassen. Das sind immerhin 1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um Nettoangaben, also Wegzüge abzüglich der Zuzüge. Gäbe es genügend Flüge, wären die Zahlen wohl noch größer ausgefallen. Doch viele Airlines steuern Hongkong derzeit nicht mehr an.

Vor allem Jüngere gehen

Die Abwanderung macht sich bereits deutlich in den Bevölkerungszahlen bemerkbar. So war die Einwohnerschaft laut der lokalen Statistikbehörde zwischen Ende 2019 und Ende 2021 zwar nur um knapp 120.000 Personen geschrumpft. Doch in der Gruppe der unter 60-Jährigen lag der Schwund bei über 270.000, ein Minus von 5 Prozent bezogen auf die Alterskohorte.


Da es kein Einwohnermeldeamt gibt, sind die Zahlen nur bedingt aussagekräftig. Einen besseren Überblick lässt sich mithilfe der zivilen Luftfahrtbehörde verschaffen. Ihr zufolge gab es 2021 (gemessen an der Passagierzahl) fast 50 Prozent mehr Abflüge als Ankünfte. Im Januar 2022 stieg diese Quote auf 145 Prozent. Insgesamt hatten 2021 netto betrachtet rund 265.000 Personen Hongkong mit dem Flugzeug verlassen.


Auf drei Wegzüge kommt nur ein Zuzug

In diesen Zahlen spiegelt sich das eigentliche Problem Hongkongs wider: Für die meisten Abreisenden gibt es keine Nachfolge. Auf drei Wegzüge kommt laut übereinstimmenden Aussagen von Umzugsfirmen ein Zuzug. Das zeigt auch die Visa-Statistik der Einwanderungsbehörde. So wurden 2020 und 2021 nur etwa ein Drittel der sonst üblichen Arbeitsgenehmigungen für Ausländer ausgestellt.


Die deutsche Auslandshandelskammer (AHK) hat noch keinen großen Schwund zu vermelden, da größtenteils Firmen und nicht Privatpersonen Mitglieder sind. In der Deutsch-Schweizerisch Internationalen Schule (GSIS) aber sind im deutschsprachigen Zweig die Klassen bereits 2020 und 2021 spürbar zusammengeschrumpft. Seit Jahresbeginn 2022 stieg die Anzahl der Abmeldungen deutlich an.

Firmen wollen sich personell verkleinern

Insgesamt dürften 2020 und 2021 netto betrachtet rund 20 Prozent aller Expatriates Hongkong verlassen haben. Weitere 10 bis 15 Prozent werden wohl 2022 folgen. Dieser "Brain Drain" wird die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes spürbar und dauerhaft schwächen. Zwar beabsichtigen die allermeisten internationalen Firmen zu bleiben. Doch was passiert, wenn die Angestellten das nicht mehr wollen?

Es wird entweder zu einer Lokalisierung kommen oder die Unternehmen bauen ihre Niederlassung etwa in Singapur aus. Dort hat man schon seit längerem beschlossen, mit Covid zu leben und die Grenzen entsprechend geöffnet. Laut der Hong Kong Federation of Insurers beabsichtigt fast ein Drittel aller in der SVR vertretenen Versicherungen, sich angesichts des Mangels an qualifizierten Fachkräften personell zu verkleinern.

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