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Wirtschaftsumfeld | Hongkong | Coronavirus

Hongkong reißt bei Coronapolitik das Ruder herum

Nach zwei Jahren strikter Null-Toleranz-Strategie kündigt die Regierung umfangreiche Lockerungen an. Auch wenn noch viel Skepsis bleibt, gibt es endlich Licht am Ende des Tunnels.

Von Roland Rohde | Hongkong

Zwei Jahre lang hatte Hongkong erfolgreich eine Null-Covid-Politik gefahren. Dann schlüpften Anfang 2022 ein paar Fälle durch das engmaschige Netz und brachten die ganze Strategie innerhalb weniger Tage zum Einsturz. Obwohl in der ersten Märzwoche die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 3.000 stieg, hielt die Regierung an ihrem Kurs fest. Sie kündigte unter anderem ein stadtweites Zwangstesten an und begann, Isolationslager für Zehntausende von Menschen zu bauen. Das Entsetzen, insbesondere unter den vielen in der Stadt lebenden Ausländern, war groß.

Daraufhin setzte ein Exodus ungeahnten Ausmaßes ein. Allein im Februar 2022 verließ 1 Prozent der Bevölkerung netto (also abzüglich der Zuzüge) die Stadt. Die fluchtartigen Abreisen scheinen an den Verantwortlichen in Hongkong und Beijing nicht spurlos vorübergegangen zu sein. Eine globale Handels- und Finanzdrehscheibe wie Hongkong kann einen derartigen Braindrain nicht überstehen, ohne dauerhaften Schaden zu nehmen. Das hatten einheimische und ausländische Wirtschaftsverbände mehrfach eindringlich gegenüber den Regierenden zum Ausdruck gebracht. Diese leiteten eine überraschende Wende der bisherigen Coronapolitik ein.

Endlich sollen die Schulen wieder öffnen

Am 21. März 2022 wurden umfangreiche Lockerungen verkündet. So sollen die seit Jahresbeginn geschlossenen Schulen nach den Osterferien wieder öffnen. Viele Eltern hatten damit erst nach der Sommerpause gerechnet. Zudem werden die Social Distancing-Vorschriften ab 21. April gelockert. Zahlreiche personennahe Dienstleistungsbetriebe, die sich derzeit in einer Zwangspause befinden, können mit einer Wiedereröffnung rechnen. Das besonders gefürchtete stadtweite Zwangstesten - es hatte zwischenzeitlich Panikkäufe ausgelöst - wurde auf Eis gelegt.

Die Lockerung der Einreisebestimmungen stellt aber die eigentliche Trendwende dar. Seit über zwei Jahren kann man (als Geschäftsreisender oder Tourist) gar nicht mehr einreisen oder muss sich (als Ansässiger) für zwei bis drei Wochen in Hotelquarantäne begeben. Für bestimmte Länder wie die USA oder das Vereinigte Königreich galt sogar ein Flugverbot. Dieses soll nun zum 1. April 2022 komplett fallen. Die Quarantänezeit wird zeitgleich auf eine Woche verkürzt. Das bedeutet für viele der in Hongkong lebenden Expatriates eine erhebliche Erleichterung. 

Reiseerleichterungen letztendlich "zu wenig, zu spät"

Man kann diese Maßnahmen, gerade wenn man sie mit der Politik Singapurs vergleicht, als "zu wenig, zu spät" kritisieren. Im südostasiatischen Stadtstaat lässt sich schon seit längerem die Quarantäne durch eine sogenannte "Fast Travel Lane" komplett umgehen. Dennoch hat sich die Stimmung innerhalb der Hongkonger Wirtschaft und Expatriate-Gemeinde schlagartig aufgehellt. Endlich sieht man Licht am Ende des Tunnels.

Die Gefahr, dass die Regierung wieder einen Rückzieher macht, bleibt bestehen. Was passiert, wenn in Europa oder Nordamerika eine neue Virusvariante auftaucht?

Allerdings gibt es noch eine gehörige Portion Skepsis. Man darf nicht vergessen, dass die Regierung seit vielen Wochen eine Zickzackpolitik fährt. Noch vor wenigen Tagen hatte man die Strände sperren lassen, um nun weitgehende Lockerungen in Aussicht zu stellen. Das stadtweite Testen wurde zwar zurückgestellt, dafür setzt man jetzt wieder auf individuelles Zwangstesten. Erst kündigt man Schulöffnungen an, wenige Tage später heißt es dann, dass dafür eine 90-prozentige Impfquote erforderlich sei, was insbesondere im Primarbereich nicht absehbar ist.

Es bleibt also bei der üblichen Politik von "zwei Schritte vor, einer zurück". Unternehmen und Familien dürften sich bei ihren Planungen wohl nicht auf offizielle Versprechungen oder Ankündigungen verlassen. Davor warnen auch Lehren aus der Vergangenheit. So wurden beispielsweise im Sommer 2021 Einreiseerleichterungen bereits nach kürzester Zeit - nach dem Auftreten der Delta-Variante - plötzlich wieder zurückgenommen. Tausende Hongkonger strandeten daraufhin im Ausland.

Wie belastbar ist der Fahrplan der Regierung?

Das könnte auch 2022 passieren, wenn im Ausland eine neue Coronavariante auftaucht. Niemand wagt vorherzusagen, wie lange der nun angekündigte Fahrplan Bestand hat. Letztendlich bleibt die Lage dadurch unvorhersehbar, zumal es auch keine belastbaren Flugpläne gibt. Zahlreiche Airlines hatten aufgrund der nicht mehr zu bewältigenden Quarantäneauflagen ihren Flugbetrieb nach Hongkong eingestellt. Dieser lässt sich nur langsam wieder hochfahren, zumal die Flugrouten durch den Russland-Ukraine-Krieg aufwändig umgeplant werden müssen.

Viele Expatriates, die Hongkong Anfang 2022 vorübergehend verlassen hatten, um dem Zwangstesten und einer möglichen Einweisung in ein Quarantänelager zu entkommen, dürften zwar bald zurückkommen. Zugleich haben sich jedoch zahlreiche ausländische Familien zu einer endgültigen Rückkehr in ihre Heimat entschlossen. Sie werden ihre Entscheidung in den wenigsten Fällen rückgängig machen. Immerhin kann es für Firmen künftig leichter werden, eine Nachfolge zu finden, wenn die Grenzen dauerhaft durchlässiger und die Schulen geöffnet bleiben.

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