Interview | Indonesien | Wirtschaftsstandort
"Wir sollten dringend unser Indonesienbild aktualisieren"
In Südostasien wächst eine neue Wirtschaftsmacht heran. Im Interview erzählt Landeskenner Rainer Ruppel, weshalb man sich mit dem heutigen Indonesien beschäftigen sollte.
05.02.2025
Von Oliver Döhne | Jakarta
Rainer Ruppel leitet seit sechs Jahren die Geschäfte des Melsunger Medizintechnikherstellers B.Braun in Indonesien. Außerdem ist er Aufsichtsratsmitglied der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer.
Herr Ruppel, sind wir in Deutschland auf dem neuesten Stand über Indonesien, das Land mit der viertgrößten Bevölkerung weltweit?
Leider gelangen eher anekdotische Nachrichten nach Deutschland, zum Beispiel dass Jakarta im Meer versinkt, im Regenwald eine neue Hauptstadt entsteht und irgendwo eine Frau von einer Schlange verschlungen wurde. So kann ein verzerrtes Bild entstehen. Hier ist eine Aktualisierung dringend angezeigt.
Was ist das Erste, das Sie an der Wahrnehmung Indonesiens in Deutschland korrigieren möchten?
Wie wir die Menschen hier einschätzen. Die Führungskräfte haben alle an Top-Universitäten im Ausland studiert. Hinter der landeseigenen Freundlichkeit und Höflichkeit verbergen sich clevere Manager und knallharte Verhandler. In der Elite ist ein großes Selbstbewusstsein entstanden und damit auch der Anspruch, von internationalen Partnern ernster genommen zu werden. Daher wäre es auch wichtig, wenn regelmäßig hochrangige politische Delegationen aus Deutschland herkämen.
Warum bekommt Indonesien in Deutschland so wenig Aufmerksamkeit?
Indonesien ist weit weg und steht im Schatten zugänglicherer Märkte wie Thailand, Vietnam oder Malaysia. Dabei ist Indonesiens Volkswirtschaft größer als alle drei zusammen. Und von Singapur ist Jakarta nur etwas mehr als eine Flugstunde entfernt. Warum nicht mal einen Blick auf den größten Markt der Region werfen?
Unter den deutschen Exportmärkten liegt Indonesien auf Platz 50, es gab länger keine größere deutsche Investition, das Geschäftsumfeld gilt als protektionistisch und intransparent. Warum sollten deutsche Unternehmen dennoch mehr über Indonesien wissen wollen?
Sicher, Indonesien ist kein einfacher Markt. Man sollte nicht mit falschen Vorstellungen herkommen. Aber es spricht auch viel dafür: 282 Millionen größtenteils junge, konsumfreudige Menschen, davon über 100 Millionen in einer aufsteigenden Mittelklasse mit viel unausgeschöpftem Potenzial in den verschiedensten Bereichen. Das Wirtschaftswachstum liegt stabil bei 5 Prozent oder mehr. Durch den jahrzehntelangen Rohstoffexport sind finanzkräftige Konzerne herangewachsen, die jetzt mehr im Land verarbeiten wollen und dafür Technologie aus dem Ausland benötigen. Dies wird seit Jahren durch eine aktive und protektionistische Industriepolitik unterstützt.
Wie steht die indonesische Regierung zu Auslandsinvestitionen?
Durch Beschränkungen im öffentlichen Bereich, hohe Zölle und Einfuhrbeschränkungen werden internationale Firmen geradezu gezwungen, in Indonesien zu investieren. Aktuell konnte man in der Presse verfolgen, wie der Weltkonzern Apple mit den Behörden verhandelt.
Das klingt nicht gerade nach einem einfachen Geschäftsumfeld. Es gibt also auch gute Gründe dafür, warum es nie zu einem Indonesien-Hype gekommen ist?
Indonesien ist aus einer schwierigen Ausgangssituation gestartet und trotzdem schon erstaunlich weit gekommen. Ein über tausende Inseln und Kilometer verteiltes Land, mit den unterschiedlichsten regionalen Identitäten, Sprachen und Lebenswirklichkeiten. Nach jahrhundertelanger Kolonialherrschaft musste man sich ab 1945 überhaupt erst einmal zusammenfinden und dann auch bleiben.
Wie sieht es heute aus?
Heute ist Indonesien stabiler und friedlicher als viele andere Länder, Java lässt sich an einem Tag mit dem Auto durchqueren und Jakarta kann es in vielen Bereichen mit anderen Weltmetropolen aufnehmen. Natürlich gibt es noch Bremsklötze: Die Logistikkosten sind hoch, Rechtssicherheit im deutschen Sinne gibt es hier nicht und auch das Ausbildungsniveau bleibt eine Baustelle – übrigens ein Bereich, in dem Deutschland mit seinen Institutionen und Firmen aktiver wirken könnte. Indonesien könnte sonst in der berüchtigten "Middle Income-Trap" steckenbleiben: Nach einem anfänglichen Aufstieg könnte es an unsichtbare Grenzen stoßen, weil bestimmte langfristige Weichen nicht gestellt worden sind, nicht zuletzt in der Bildung.
"Im Bereich Ausbildung könnte Deutschland mit seinen Institutionen und Firmen aktiver wirken."
China und andere Länder sind vor Ort sehr präsent und bauen beispielsweise den öffentlichen Nahverkehr aus – im Tausch für lukrative Aufträge. Von Deutschland haben viele Menschen in Indonesien hingegen keine klare Vorstellung mehr. Eine kürzliche Umfrage zum Deutschlandbild ergab "schwindende Präsenz" und "verlorenen Glanz". Können Sie das bestätigen?
Wir werden noch immer geschätzt, für unsere Qualität und Zuverlässigkeit. Viele Indonesier erzählen stolz, dass sie selbst oder Familienmitglieder in Deutschland studiert haben, dass sie mit deutschen Firmen zusammenarbeiten, welche Hersteller aus Deutschland sie besonders schätzen. Aber das hält nicht ewig, man muss es ständig neu unter Beweis stellen und kommunizieren. In den letzten Jahrzehnten haben andere Nationen da mächtig aufgeholt.
Sie haben Personalverantwortung für 500 Mitarbeitende. Gibt es viele kulturelle Fallstricke in der Zusammenarbeit?
Nichts Dramatisches. Der Umgangston sollte harmonisch und respektvoll sein. Aber die Mitarbeitenden sind auch dankbar für klare Ansagen, damit sie wissen, was genau von ihnen erwartet wird. Das vermeidet Missverständnisse und Enttäuschungen. Ich lerne in diesem Bereich auch nach Jahren noch dazu und passe mich an. Indonesien ist viel zu groß und komplex, als dass man nach einigen Jahren der Ansicht sein könnte, man habe alles verstanden.
Gibt es etwas, das sich Deutschland von Indonesien abschauen könnte?
Die Dynamik. Wenn ich in meinen Heimatort in Deutschland komme, ist dort alles wie immer. Vielleicht hat eine Bäckerei zugemacht, weil es nicht mehr genug Kunden gab oder kein Nachfolger gefunden werden konnte. In der Straße in Jakarta, in der ich wohne, machen laufend neue Läden und Restaurants auf. Die Menschen probieren etwas aus und wenn es nicht funktioniert, probieren sie etwas anderes.
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