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Branchen | Irak | Tourismus

Schlummernde Kulturschätze im Irak

Jenseits von Pilgerfahrten findet im Irak fast kein Tourismus statt. Ein Beitrag von Kareem Alsayed für das Projekt Business Journalists 4Change über Wege, die Branche zu beleben.

Zum Fußballturnier Golf Cup im Januar 2023 in Basra kamen mehr als 55.000 Besucher in den Irak, die sich die Spiele der 25. Meisterschaft der Golfstaaten ansahen. Die Touristen besuchten zugleich auch kulturelle und archäologische Stätten des Landes.

Welche Dimension dieses eine Ereignis für den irakischen Tourismus hat, verdeutlicht die Aussage von Iyad Kazim, dem Planungsdirektor der Tourismusbehörde, zu den Zahlen des Jahres 2022. Danach entfielen mehr als 99 Prozent der Reisen auf den religiösen Tourismus – der Kulturtourismus machte weniger als 1 Prozent aus, nicht mehr als tausend Touristen. Laut einem Bericht der Welttourismusorganisation aus dem Jahr 2020 steht der Irak auf Platz 98 in der Weltrangliste der meistbesuchten Länder sowie auf Platz 13 von 17 arabischen Ländern.

Ausgangspunkt ist Religionstourismus

Mehr als 5 Millionen Ausländer jährlich besuchen den Irak aus religiösen Gründen. Die meisten von ihnen kommen aus wirtschaftlich schwachen Gebieten, zudem genießen sie freie Einreise ohne Visum und Gebühren. Der Tourismussektor leidet jedoch unter der schwachen Infrastruktur, insbesondere bei Hotels. Zwar gibt es mehr als 78.000 Hotelzimmer in 2.291 Einrichtungen, vor allem in Erbil, Karbala, Nadschaf und Bagdad. Damit liegt der Irak aber weit hinter Ägypten mit 210.000 Hotelzimmern oder den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 128.000 Zimmern.

Für Planungsdirektor Kazim ist die Schwäche des Kulturtourismus ein vergeudeter Reichtum in einem Land, das sich durch seine historische und kulturelle Identität auszeichne. Seine Behörde versuche, den Kulturtourismussektor zu aktivieren, indem sie religiöse Touristen einbeziehe – durch Routen, die von religiösen Städten wie Karbala und Nadschaf zu archäologischen und historischen Stätten führen. Zudem wurden Studien verfasst zum historischen Tourismus in Bagdad, zur antiken Stadt Ur sowie zum Marschland im Gebiet des Schatt Al-Arab.

Azhar al-Kalash, die Leiterin des Beirats des Verbandes der Hotels und Touristenrestaurants, bestätigt das große Potenzial des Landes: Der Irak sei geradezu eine Tourismus-Goldmine. Dennoch gebe es nur eine geringe Nachfrage nach Kultur- und Geschichtstourismus. Das sei zum großen Teil auf den Krieg und die Coronapandemie zurückzuführen. Es habe aber auch viele Gründe darüber hinaus, unter anderem komplizierte Einreiseprozeduren, die Sicherheitslage und die mangelnde Ausstattung der touristischen Einrichtungen. Zur Ankurbelung des Kulturtourismus schlägt Al-Kalash vor, die irakische Kultur und Zivilisation durch eine Medienkampagne zu promoten.

Literarische Anziehungskraft ist vorhanden

Der Wirtschaftsjournalist Qais Al-Murshid weist auf weiteres touristisches Potenzial hin. In den letzten Jahren habe es im Irak einen Aufschwung für literarischen Kulturtourismus gegeben. Liebhaber von Literatur und Sprache ziehe es verstärkt nach Bagdad, und dabei insbesondere in die Al-Mutanabbi-Straße, seit mehr als tausend Jahren das Zentrum des Buchhandels in Bagdad. Allerdings fehle es für ein stärkeres Wachstum dieses Segments am Engagement der Regierung für die Entwicklung von lebendigen literarischen Einrichtungen überall im Land. Das Ministerium für Kultur zeige weder Interesse an mit der Al-Mutanabbi-Straße vergleichbaren Orten noch an Kultur- oder Literatur-Cafés. Vor einem ernsthaften Neustart des Kulturtourismus müsse zuerst die Sanierung dieser Einrichtungen in Angriff genommen werden. 

Eventmarketing für Touristen aus den Golfstaaten

Einen anderen Akzent setzt der Wirtschaftsforscher Mohammed Majed mit der Empfehlung, den Kulturtourismus durch Events zu fördern. Wenn Touristen für eine Veranstaltung wie den Golf Cup ins Land kommen, könnten sie durch Verträge mit lokalen oder ausländischen Tourismusunternehmen auch zu archäologischen, historischen und kulturellen Stätten gebracht werden. Als weitere mögliche Beispiele für solche Events nennt Majed die Veranstaltung einer Buchmesse in Bagdad sowie kulturelle Ereignisse wie Theatervorführungen und Konzerte von großen Künstlern wie dem Oud-Spieler Naseer Shamma oder von Symphonieorchestern.

Im Irak, so der Wirtschaftsforscher, gebe es viele kulturelle Stätten und Persönlichkeiten, die eine wichtige Rolle in der arabischen Kultur spielen. Insbesondere die Einreise von Bürgern aus den Golfstaaten könne das Bild des Irak verändern und die Branche aktivieren, zumal Touristen aus den Golfstaaten über eine hohe Kaufkraft verfügen. Allerdings sei davon auszugehen, dass die meisten ausländischen Besucher die Kartenzahlung dem Bargeld vorzögen, was wegen der Schwäche des elektronischen Zahlungsverkehrs im Irak zu Problemen führen würde. Dort müsse die Zentralbank für Abhilfe sorgen.

In den meisten Ländern der Welt stünden Menschen Schlange, um in eine Theateraufführung oder ein Konzert zu gelangen. Zudem gebe es Menschen, die von einem Land ins andere reisen, nur um eine kulturelle Veranstaltung zu besuchen. Das müsse auch im Irak möglich sein, so Majed. Eine solche Entwicklung würde sich zudem positiv auf das Einkommen von Schriftstellern, Schauspielern, Musikern und anderen Künstlern auswirken.

Touristische Revolution ist erforderlich

So unterschiedlich die Empfehlungen der Experten auch sind, eine Gemeinsamkeit ist die Forderung von umfassenden und vielfältigen Aktionen. Die Wiederbelebung des Tourismussektors erfordert eine Revolution in Politik und Wirtschaft. Sie beginnt mit einem Maßnahmenpaket, das von Gesetzen zum Schutz des Tourismus bis zur Erleichterung der Einreise reicht. Darüber hinaus erfordert sie die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen, um die Leistungsfähigkeit des Sektors zu stärken. Wenn derart neue Prioritäten gesetzt werden, kann der Tourismus maßgeblich dazu beitragen, die fast vollständige Abhängigkeit des Irak von Ölverkäufen zu verringern.

Business Journalists 4Change

Dieser Beitrag wurde im Rahmen des Projekts „Business Journalists 4Change“ (BJ4C) verfasst und zuerst auf Arabisch von der Iraq News Agency (INA) veröffentlicht. Die Übersetzung und Redaktion erfolgte durch Detlef Gürtler.


Der Autor Kareem Alsayed arbeitet als Print-Journalist, als Moderator für den TV-Sender Al-Iraqiya und als Sprecher des irakischen Bildungsministeriums.


BJ4C wurde von der DW Akademie umgesetzt, unterstützt durch das PSD Projekt (Private Sector Development & Employment Promotion). Es wird aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Europäischen Union kofinanziert sowie von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH umgesetzt.

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