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Wirtschaftsausblick | Irak

Neue Handelsroute bietet Irak eine Aufbauperspektive

Die irakische Regierung versucht, ihr ambitioniertes Investitionsprogramm trotz regionaler Konflikte umzusetzen. Eine Schlüsselrolle kann dabei eine neue Handelsroute spielen. 

Von Detlef Gürtler | Berlin

Top-Thema: Irakisch-türkischer Handelskorridor

Eine der ältesten Handelsrouten der Welt kann für den Irak zu einem neuen und dauerhaften Wirtschaftsfaktor werden. Wo einst das Zweistromland (und damit Asien) mit der griechisch-römischen Kulturlandschaft (und damit Europa) verbunden war, könnte morgen eine leistungsfähige Verbindung zwischen der irakischen Golfküste und Istanbul entstehen. Nach einer Grundsatzeinigung zwischen der Türkei und dem Irak im März 2023 hat der Irak seine Planungen für eine Auto- und Eisenbahnverbindung konkretisiert: je 1200 Kilometer vom Golf-Hafen Grand Faw bis zur türkischen Grenze bei Cizre bei einem angepeilten Investitionsvolumen von 17 Milliarden US-Dollar (US$).  

Eine solche Transportstrecke entlang der Flussläufe von Euphrat und Tigris ist nicht nur für die Binnenentwicklung des Irak bedeutend, sondern auch für den Warenverkehr zwischen Asien und Europa. Denn der im September 2023 angekündigte Handelskorridor von Dubai nach Haifa ist durch die aktuellen israelisch-arabischen Spannungen akut gefährdet, und könnte durch den Korridor im Zweistromland ersetzt oder ergänzt werden. 

Allerdings steht auch dieser Handelsroute noch ein regionaler Konflikt im Weg -  nämlich der zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung in Erbil. Hier ist das Hauptproblem der Streit über die Verteilung der Einnahmen aus der kurdischen Ölproduktion. Trotz intensiver Verhandlungen ist dabei noch kein Durchbruch gelungen. Auch für die wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei ist eine irakisch-kurdische Einigung zentral, da die Regierung Erdogan derzeit keine Öllieferungen aus dem Irak ins Land lässt.

Wirtschaftsentwicklung: Stotternde Modernisierung

Nach dem durch hohe Ölpreise ausgelösten Wirtschaftsboom des Jahres 2022 hat sich die irakische Wirtschaft zuletzt deutlich abgekühlt: von real 7 Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf geschätzt minus 2,7 Prozent im Jahr 2023. Das derzeit vom Internationalen Währungsfonds prognostizierte BIP-Wachstum von 2,9 Prozent im Jahr 2024 ist stark von der weiteren Entwicklung des Ölpreises abhängig: Mehr als die Hälfte des BIP entfällt auf die Ölindustrie. 

Der aktuelle Staatshaushalt für die Jahre 2023 bis 2025 sieht jeweils Ausgaben von 153 Milliarden US$ vor - etwa 30 Prozent des BIP. Das heißt aber noch nicht, dass auch so viel Geld ausgegeben wird, da Bürokratie und Korruption Investitionen häufig verzögern oder gar verhindern. Von den Haushaltsgeldern des Jahres 2021 wurden beispielsweise nur 79 Prozent tatsächlich abgerufen.

Einer der Investitionsschwerpunkte der Regierung von Ministerpräsident Mohammed Schia al-Sudani ist der Aufbau einer leistungsfähigen Gasindustrie. So wurden vom Ministerium für Elektrizität Gaskraftwerke mit einem Investitionsvolumen von 12 Milliarden US$ in Auftrag gegeben. Das wäre nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch sinnvoll: Bislang wird nämlich noch etwa die Hälfte alles im Irak geförderten Gases nicht genutzt, sondern schlicht abgefackelt.

Industrialisierung soll Privatunternehmen stärken

Ebenfalls stark vorangetrieben wird ein Programm zum Wiederaufbau der Nicht-Öl-Branchen. Die Wirtschaftsstruktur soll diversifiziert und die lokale Wertschöpfung gestärkt werden. Dabei sollen ausdrücklich auch private Unternehmen eine maßgebliche Rolle spielen. Al-Sudanis Wirtschaftsberater Muhammed al-Darraji nennt fünf Branchen, in denen Privatinitiative besonders gefragt sei: Gesundheit, Bau, Glas, erneuerbare Energien und Lebensmittelverarbeitung. Für private Investitionen in den Aufbau von Produktionskapazitäten hat die Regierung bis 2025 einen Bürgschaftsrahmen von 2,5 Milliarden US$ veranschlagt - ein für den Irak völlig neues Instrument.

Traditionell spielt der Staat bei wirtschaftlichen Aktivitäten eine große Rolle, was nicht zuletzt an dem überragenden Einfluss des Ölsektors liegt. Selbst wenn von Seiten der Regierung ein Ausbau des Privatsektors explizit gewünscht wird, dürfte es bei der Umsetzung entsprechender Investitionsprojekte zu Reibungen und Verzögerungen kommen.

Politische Risiken: Bislang erfolgreiche Balanceakte

Als positiver Faktor für ausländische Investoren und Lieferanten ist die deutlich verbesserte politische Stabilität zu werten. Die Regierung al-Sudanis, seit Oktober 2022 im Amt, hat bislang die sozialen, regionalen und religiösen Konflikte im Irak relativ erfolgreich moderiert und ausbalanciert. Außenpolitisch heikel ist insbesondere die Positionierung zwischen dem Iran und den USA. Mit einer zu 60 Prozent schiitischen Bevölkerung sowie immer noch im Land stationierten US-Streitkräften versucht die Regierung, für keine Seite Partei zu ergreifen und sich auf den eigenen Wiederaufbau nach Krieg und Bürgerkrieg zu fokussieren.

Deutsche Perspektive: Chancen bei Infrastruktur und für Maschinenbau

Besonders große Chancen für deutsche Unternehmen sieht die irakische Regierung im Rahmen ihres Industrialisierungsprogramms für Nicht-Öl-Branchen, denn dabei gehe es vor allem um Investitionen in Maschinen, Fertigungsstraßen und ganze Fabriken. Regierungsberater al-Darraji spricht von einer "Golden Opportunity" für deutsche Maschinenbauer - und in der Tat kommen hier erste Geschäfte in Gang. Auf einer Liste mit geplanten deutsch-irakischen Industrieprojekten befinden sich neun Vorhaben für Produktionsanlagen mit Investitionssummen zwischen 10 und 100 Millionen US$, von Backsteinen bis zu Pharmazeutika.

Um größere Preisschilder geht es bei Projekten in den Bereichen Energie und Infrastruktur. Am weitesten fortgeschritten ist dabei Siemens Energy: Anfang 2023 wurde eine Absichtserklärung für den Bau von Kraftwerken mit einer Gesamtleistung von 6 Gigawatt unterzeichnet, im März kam ein Wartungsvertrag für drei bereits bestehende Kraftwerke hinzu. Und für Planung und Betrieb der (noch zu bauenden) Bahnlinie durchs Zweistromland hat die Deutsche Bahn ihren Hut in den Ring geworfen. 

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