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Israel-Gaza-Konflikt zieht auch die Wirtschaft in Mitleidenschaft
Auf den Angriff der Hamas reagierten israelische Märkte verunsichert. Ein längerer Konflikt wäre kostspielig. Der palästinensischen Wirtschaft drohen erhebliche Schäden.
09.10.2023
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sind erste Anzeichen für eine nicht dramatische, aber doch spürbare Verunsicherung der einheimischen wie der internationalen Wirtschaft als Folgen des Konflikts sichtbar. Wie sich die Lage weiter entwickeln wird, hängt maßgeblich vom weiteren Verlauf der Auseinandersetzung ab. Am Tag nach dem Angriff fielen die Aktienindizes in Tel Aviv um 5 bis knapp 7 Prozent. Am Montag schwankten sie erheblich. Der Neue Schekel (NIS) wurde gegenüber dem Vortag des Überfalls gegenüber dem US-Dollar um rund 1,6 Prozent abgewertet.
Israels Zentralbank schützt den Schekel
Die Bank von Israel (Zentralbank) kündigte zur Stützung des Schekels den Verkauf von bis zu 30 Milliarden US-Dollar (US$) an. Ende August hatten die Fremdwährungsreserven der Zentralbank 203 Milliarden US$ betragen. Die Ankündigung bedeutet, dass die Zentralbank ihre Devisenbestände um bis zu 15 Prozent reduzieren will, um den Markt zu stabilisieren. Eine solche Reduktion ist für Israels Liquidität nicht gefährlich, doch ist die Bank bei Marktinterventionen im Allgemeinen sehr zurückhaltend. Die Zentralbanker wollen in der kommenden Zeit auf dem Markt tätig bleiben, um die Schwankungen des Schekel-Kurses abzufedern.
Seit Jahresbeginn war der Schekel bis unmittelbar vor Krisenausbruch um rund 9 Prozent gegenüber dem US-Dollar abgewertet worden. Als eine Hauptursache dafür gilt die von der Regierung angestoßene sogenannte Justizreform. Diese soll der Judikative deren bisherige Kontrollbefugnisse gegenüber Exekutive und Legislative entziehen. Jetzt hat die Zentralbank beschlossen, die einheimische Währung vor weiterem Außenwertverlust zu schützen – nicht zuletzt, um die Inflation nicht weiter anzuheizen.
Es drohen Produktionsausfälle und hohe Konfliktkosten
Eine drohende Folge des Konflikts könnten Unterbrechungen der Wirtschaftstätigkeit in Israel sein. Die Regierung hat angekündigt, bei Bedarf mehrere Hunderttausend Reservisten einzuberufen. Bei diesen handelt es sich größtenteils um Arbeitskräfte, deren Abwesenheit in den betroffenen Unternehmen zu Produktionsausfällen führen würde. Eine solche Anzahl hat in dem kleinen Land enorme Auswirkungen. Nach Angaben des Zentralamts für Statistik (Central Bureau of Statistics) waren im August 2023 rund 4,3 Millionen Menschen beschäftigt.
Hinzu kämen die Militärausgaben. Chen Herzog, Chefökonom der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma BDO Israel, erklärte gegenüber der israelischen Wirtschaftszeitung Globes, die direkten Kosten einer Militärkampagne würden mindestens 1,5 Milliarden NIS pro Woche betragen – umgerechnet rund 380 Millionen US$. Damit würden allein die direkten Kosten zehntägiger Kämpfe circa 0,7 Prozent des jährlichen israelischen Bruttoinlandsprodukts betragen.
Bei einem langanhaltenden Konflikt - erst recht, falls er auf das Westjordanland, geschweige denn auf den Libanon übergreifen sollte - wären nicht nur die Kosten entsprechend höher. Vielmehr würde ein solcher Konflikt auch das Vertrauen der Weltwirtschaft in Israel schmälern.
Gazastreifen von Konflikt schwer betroffen
Auf palästinensischer Seite sind die Hauptbetroffenen aller Konflikte zwischen Israel auf der einen und der Hamas oder dem palästinensischen Dschihad auf der anderen Seite die Zivilisten im Gazastreifen. Bombenangriffe treffen zahlreiche Menschen – oft Nichtbetroffene, verursachen aber auch schwere Schäden an Bausubstanz und Infrastruktur.
Es gibt aber auch andere Folgen. In den Jahren 2022 und 2023 - bis zum Konflikt - hat die israelische Regierung bis zu 17.000 Bewohnern von Gaza den Zutritt zu Arbeitsplätzen in Israel ermöglicht. Es scheint unwahrscheinlich, dass diese Arbeitsgenehmigungen in unmittelbarer Zukunft erneuert werden.
Gesamtwirtschaftlich bedeutend wäre aus palästinensischer Sicht die Erschließung des vor Gaza liegenden Gaza-Marine-Erdgasvorkommens. Dies wurde von der israelischen Regierung lange Jahre verhindert. Im Juni 2023 hat das israelische Ministerpräsidentenamt jedoch der Erschließung von Gaza-Marine offiziell zugestimmt.
Eine Realisierung dieses Projekts wäre für die die palästinensische Energiewirtschaft von entscheidender Bedeutung. Der Umfang des Reservoirs wird auf rund 30 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Seine Nutzung würde den palästinensischen Energiesektor stärken, die Versorgungssicherheit erhöhen und die Wirtschaft insgesamt auf eine festere Grundlage stellen. Ob dies nach dem Angriff der Hamas auf Israel möglich sein wird, ist ebenfalls zu bezweifeln.
Für das Westjordanland sind Arbeitsplätze in Israel wichtig
Für die Westbank stellt sich die Frage, ob Israel die Beschäftigung palästinensischer Arbeitnehmer bei israelischen Arbeitgebern im bisherigen Umfang ermöglichen wird. Das wird großenteils von einem etwaigen Übergreifen der Kämpfe auf das Westjordanland abhängen.
Nach Angaben des Palästinensischen Zentralamts für Statistik (Palestinian Central Bureau of Statistics) belief sich die Zahl der palästinensischen Arbeitnehmer in Israel und in den israelischen Westbank-Siedlungen 2022 auf rund 193.000. Das waren 17 Prozent aller palästinensischen Arbeitnehmer. Zu schätzungsweise 91 Prozent handelte es sich dabei um Arbeitnehmer aus der Westbank.
Eine Einschränkung der Beschäftigung von Palästinensern aus der Westbank in Israel und den Siedlungen wäre wirtschaftlich ein schwerer Schlag. Nach Berechnungen des israelischen Think Tanks Institute for National Security Studies aus dem Jahr 2022 sind die Gehaltsüberweisungen dieser Arbeitskräfte an die palästinensische Wirtschaft fast doppelt so hoch wie die palästinensischen Waren- und Dienstleistungsexporte nach Israel.
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