Wirtschaftsumfeld | Italien | Krieg in der Ukraine
Der Industrie geht das Material aus
Aus Russland kommen neben Gas auch wichtige industrielle Vorprodukte nach Italien. Das Wirtschaftswachstum kühlt sich bereits ab.
05.04.2022
Von Oliver Döhne | Mailand
Während Regierungsvertreter den Zustand der italienischen Wirtschaft noch in einer Vor-Krisen-Phase wähnen, ruft der Industrieverband Confindustria bereits die Rezession aus. Damit sind vorerst die ersten beiden Quartale 2022 gemeint. Jedoch könnte sich eine längere Fortdauer des Ukrainekriegs noch wesentlich unangenehmer auf Italiens Wirtschaft auswirken. Im günstigsten Fall wird das Bruttoinlandsprodukt 2022 laut Confindustria real um 1,9 Prozent wachsen. Falls der Krieg bis Ende 2022 dauert, käme es im Gesamtjahr zu einem Minus und 2023 zu einer Rezession. Im März 2022 sind die Zuversichtsindikatoren bei Konsumenten und Unternehmen deutlich gefallen.
Industrie muss Produktion drosseln
In einer Umfrage von Confindustria gaben neun von zehn Unternehmen an, unter den hohen Energiepreisen zu leiden, acht von zehn hatten Probleme mit knappen Rohmaterialien und sechs von zehn mit gestiegenen Kosten für industrielle Zwischengüter. Insgesamt 57 Prozent registrieren Logistik- und Beschaffungsprobleme, bis zu 20 Prozent der Unternehmen haben ihre Produktion zumindest gedrosselt, 30 Prozent können unter den derzeitigen Bedingungen nur noch 3 Monate normal produzieren. Nur 20 Prozent der befragten Unternehmen sind über ein Jahr autark. Besonders betroffen von den hohen Preisen sind energieintensive Branchen wie die Stahl- und Metallindustrie und die Zement-, Glas-, Gips-, Keramik-, Holzverarbeitungs- und Papierindustrie, aber auch die Lebensmittelwirtschaft.
Neben Gas, dem wichtigsten Energieträger Italiens, sowie Kohle und Erdöl fehlen den Unternehmen auch Vorprodukte und Rohstoffe. Zudem sind auch diese oft stark im Preis gestiegen. Aus Russland bezieht Italien unter anderem vorbearbeitete Metalle und Eisen, Guss- und Walzteile, Eisenkörner und -schwämme sowie Kupfer, Nickel, Aluminium und Platin.
SITC | Warenbezeichnung | Einfuhrwert (in Mio. Euro) |
---|---|---|
34 | Gas | 9.110 |
33 | Erdöl | 3.522 |
68124 | Platinbeimetalle und -legierungen in Pulver- oder Rohform | 908 |
32 | Kohle | 687 |
6726 | Halbzeug aus Eisen oder nichtlegiertem Stahl | 438 |
67133 | Eisenschwamm | 342 |
682 | Kupfer | 283 |
673 | Flachgewalzte Erzeugnisse aus Eisen oder nichtlegiertem Stahl | 272 |
684 | Aluminium | 246 |
6712 | Roheisen | 192 |
Ein Viertel der Energie kommt aus Russland
Italien stillt etwa 41 Prozent seines Gesamtenergiebedarfs (gross inland energy consumption) mit Erdgas. Dieses muss es fast vollständig importieren. Rund 40 Prozent der Importe kommen dabei aus Russland, 31 Prozent aus Algerien, jeweils 10 Prozent aus Aserbaidschan und aus Katar und 4 Prozent aus Libyen. Bei den Kohleimporten stammt fast die Hälfte aus Russland, bei den Erdölimporten ist dieser Anteil mit 17 Prozent deutlich geringer als in vielen anderen europäischen Ländern. Insgesamt hängt Italiens Energieverbrauch zu etwa 24 Prozent an Russland.
Daher will Italien, ebenso wie Deutschland, seine Importe aus anderen Ländern hochfahren. Dabei hat das Land durch die bestehenden Pipelines über das Mittelmeer Transmed, Greenstream und Trans-Adria-Pipeline (TAP) strategische Vorteile. Inzwischen ist sogar geplant, die beim Bau damals sehr umstrittene Trans-Adria-Pipeline nun mit einer höheren Kapazität auszulegen. Für Flüssiggas, das größtenteils aus Katar kommt, besitzt Italien drei Regasifizierungsanlagen in La Spezia, Livorno und Rovigo. Industrievertreter fordern, die Gelder des europäischen Recovery-Fonds angesichts der Notlage besser in solche Anlagen zu investieren als in Radwege.