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Kanadas Schwerindustrie sucht Wege zur Dekarbonisierung
Der Weg bis zur Netto-Null ist noch weit. Dennoch: Immer mehr Großemittenten wollen nachhaltig weniger Treibhausgase ausstoßen. Wasserstoff spielt dabei eine wichtige Rolle.
29.11.2023
Von Heiko Steinacher | Toronto
- Öl und Gas: Emissionsobergrenze könnte Netto-Null-Ziel in weite Ferne rücken
- Wasserstoff befeuert die Dekarbonisierung der Chemieindustrie …
- … und ist auch in einer klimaneutralen Stahlindustrie entscheidend
- Heidelberg Materials errichtet erste großtechnische CCUS-Anlage in der Zementindustrie
- Ottawa unterstützt Dekarbonisierungsmaßnahmen mit viel Geld
Der Öl- und Gassektor verursacht in Kanada rund 26 Prozent der Treibhausgasemissionen. Die Schwerindustrie, allen voran Eisen, Stahl, Zement und Chemie, weitere 11 Prozent. Ohne eine Dekarbonisierung dieser Sektoren ist die angestrebte CO2-Neutralität des Landes bis 2050 kaum zu erreichen.
Die dafür notwendigen Technologien befinden sich jedoch noch in frühen Konzeptstadien oder es existieren erst erste Prototypen. Lediglich bei Elektrolysewasserstoff und im CCUS-Bereich (Abscheidung, Verwendung und Speicherung von CO2) haben einige Techniklösungen bereits einen höheren Reifegrad erreicht.
Eisen-/Stahlindustrie | Wasserstoff-Direktreduktionsanlagen, um Eisenerz in Eisenschwamm zu verwandeln, und Lichtbogenöfen, um daraus wiederum Rohstahl zu erzeugen; Abscheidung, Verwendung und Speicherung von CO2 (CCUS) |
Zementindustrie | CCUS |
Chemikalien | Elektrolysewasserstoff; CCUS |
Aluminium | kohlenstofffreie Anoden (in Schmelzverfahren) |
Öl und Gas: Emissionsobergrenze könnte Netto-Null-Ziel in weite Ferne rücken
Die Zement- und Betonindustrie will ihre Treibhausgasemissionen von 2019 bis 2030 um bis zu 15 Millionen und danach um jährlich über 4 Millionen Tonnen verringern, um bis 2050 CO2-neutral zu werden. Sektorspezifische Emissionsreduzierungsziele für andere Schwerindustrien gibt es zwar nicht. Einzelne Unternehmen setzen sich aber eigene Ziele. So wollen die sechs Ölsandunternehmen Canadian Natural Resources, Cenovus Energy, Imperial, MEG Energy, Suncor Energy und ConocoPhillips Canada ihre Produktion bis 2050 vollständig dekarbonisieren. Für Maßnahmen zur Emissionssenkung planen sie, bis 2030 knapp 18 Milliarden US-Dollar (US$) auszugeben, davon zwei Drittel für CCUS-Anlagen.
Doch die Wirklichkeit sieht bisher anders aus: Trotz Rekordgewinnen 2022 investieren Öl- und Gasfirmen bisher kaum in die Dekarbonisierung. Stattdessen kaufen sie Aktien zurück und zahlen Dividenden. Zu dem Ergebnis kommt das Pembina Institute, eine kanadische Denkfabrik für erneuerbare Energien. Beobachter führen das darauf zurück, dass die Regierung eine Emissionsobergrenze für den Öl- und Gassektor festlegen will, was einen Produktionsrückgang auslösen dürfte. Sinkende Einnahmen würden den Spielraum für Investitionen verringern – auch in CCUS-Technologien.
Wasserstoff befeuert die Dekarbonisierung der Chemieindustrie …
Im Gegensatz dazu haben Produzenten chemischer Grundstoffe auf Erdöl- und Erdgasbasis bereits erste große Vorhaben zur Dekarbonisierung angekündigt: So zieht der US-Chemiekonzern Dow in Fort Saskatchewan, Alberta, einen emissionsfreien Ethylen- und Derivatekomplex hoch. Shell will zusammen mit Mitsubishi bei Edmonton, Alberta, kohlenstoffarmen Wasserstoff erzeugen und das entstehende CO2 mittels CCUS-Technik speichern und unterirdisch lagern. Und VCR – ein Konsortium aus Shell, Suncor und Proman – plant in Varennes, Québec, eine Bioraffinerie, die erneuerbaren Wasserstoff und Sauerstoff verwendet, um nicht recycelbare Abfälle in Biokraftstoffe und Kreislaufchemikalien umzuwandeln.
… und ist auch in einer klimaneutralen Stahlindustrie entscheidend
Auch für die Dekarbonisierung der Stahlproduktion wird Wasserstoff eine entscheidende Rolle spielen, da dieser als Alternative zur Kohle eingesetzt werden kann. So werden zum Beispiel erste Hochöfen stillgelegt und durch Direktreduktionsanlagen und Lichtbogenöfen ersetzt, die sich mit Wasserstoff betreiben lassen. Dort entsteht statt Roheisen ein fester Eisenschwamm, der dann zu Rohstahl veredelt wird. ArcelorMittal stellt auf diese Verfahren um: In seinem Dofasco-Werk in Hamilton, Ontario, will der Stahlkonzern mit Unterstützung der Regierungen Kanadas und der Provinz Ontario 1,4 Milliarden US$ in Dekarbonisierungstechnologien investieren. Auch Algoma Steel will in seinem integrierten Hüttenwerk in Sault Ste. Marie, Ontario, auf Lichtbogenöfen umsteigen.
Im Sommer hat das schwedische Start-up H2 Green Steel einen mehrjährigen Liefervertrag mit Rio Tinto über Eisenerzpellets aus Kanada unterzeichnet, die als Rohstoff für die Produktion von grünem Stahl in Nordschweden dienen sollen.
Heidelberg Materials errichtet erste großtechnische CCUS-Anlage in der Zementindustrie
Auch zur kohlenstoffarmen Zementproduktion wurden in Kanada bereits mehrere Vorhaben angekündigt. Zwei davon verfolgt Lafarge im Westen Kanadas: eines mit Svante Technologies und Dimensional Energy in Richmond, British Columbia, und ein weiteres in seinem Werk in Exshaw, Alberta. Heidelberg Materials North America (vormals Lehigh Hanson) und Enbridge kooperieren bei einem Projekt zur Speicherung von CO₂ aus dem Zementwerk in Edmonton, Alberta. Außerdem hat der deutsche Baustoffhersteller mit der kanadischen Regierung eine Absichtserklärung zur Entwicklung der weltweit ersten CCUS-Anlage im großtechnischen Maßstab in der Zementindustrie unterzeichnet.
Das Start-up CarbonCure aus Halifax, Nova Scotia, hat eine Technologie entwickelt, bei der CO2 in Beton eingespritzt wird, um diesen stärker zu machen. Gleichzeitig reduzieren sich dadurch die Treibhausgasemissionen. Inzwischen bieten zwar auch viele andere Unternehmen grünen Beton an, aber keines hat bisher dasselbe Ausmaß an Kommerzialisierung erreicht wie CarbonCure.
Ottawa unterstützt Dekarbonisierungsmaßnahmen mit viel Geld
Möglich werden viele dieser Projekte erst durch hohe Förderbeträge seitens der Regierung Kanadas und einzelner Provinzen. Ein wichtiges Instrument ist der Strategic Innovation Fund, unter dessen Dach Programme wie die Net Zero Accelerator (NZA) Initiative, der Emissions Reduction Fund oder der Clean Fuels Fund zusammenlaufen. Der NZA fördert unter anderem Dekarbonisierungsprojekte in Industriesektoren mit besonders hohen Emissionen. Steuergutschriften kurbeln darüber hinaus Investitionen in grüne Technologien und sauberen Wasserstoff an.