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Neue Stadtbahnsysteme feiern in Kanada Hochkonjunktur
Die Deutsche Bahn übernimmt ab 2025 den Schienennahverkehr in Toronto. Auch bei weiteren Bahnprojekten will sie mitwirken. Zulieferer beobachten das Geschehen aufmerksam.
13.10.2023
Von Heiko Steinacher | Toronto
Drei Konsortien, darunter auch eines mit Beteiligung der Deutschen Bahn, haben im September ihre Vorschläge für das Projekt „High Frequency Rail / Train à Grande Frequence“ (HFR/TGF je nach Amtssprache) eingereicht. Damit will die kanadische Regierung den Eisenbahnkorridor zwischen Québec und Toronto modernisieren: Auf einigen Teilstrecken sollen neue Gleise gebaut werden, um Reisefrequenz und -zeiten zu verkürzen, da sich Güter- und Personenzüge bisher dieselbe Spur teilen. Zwischen Toronto und Québec City ist eine neue Bahnverbindung vorgesehen.
Deutsche Bahn sicherte sich einen Milliardenauftrag
Bereits 2022 konnte sich die Deutsche Bahn einen Milliardenauftrag in Kanada sichern: Als führender Partner eines Joint Ventures übernahm der Konzern die Planung, den Betrieb und die Instandhaltung des regionalen Schienenpersonennahverkehrs in Toronto und der umliegenden Provinz Ontario. Der Vertrag läuft über 25 Jahre, das Auftragsvolumen liegt im zweistelligen Milliardenbereich.
Hierfür wurde mit „GO Expansion-on-Corridor Works“ („OnCorr“) ein riesiges regionales Verkehrsprojekt ins Leben gerufen: Es sieht den Bau von über 200 Kilometern neuer Gleise vor, zudem sollen über 600 Kilometer bestehende Gleise elektrifiziert und eine hochmoderne elektrische Zugflotte eingeführt werden.
Unternehmen aus der EU können sich in Kanada an öffentlichen Ausschreibungen auf Bundes-, Provinz- und Kommunalebene bewerben, die bestimmte Schwellenwerte nicht überschreiten. Letztgenannte richten sich danach, ob es um die Beschaffung von Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen geht.
Der Zuschlag an die Deutsche Bahn war auch ein wichtiges Signal für die zahlreichen Zulieferer des deutschen Transport- und Logistikkonzerns. Denn zum einen gilt seit 2017 die vorläufige Anwendung des CETA-Abkommen, nach dem rund 99 Prozent der Zölle zwischen der EU und Kanada wegfallen. Auch Industriegüter werden unter CETA ausnahmslos zollfrei; mehr als 99 Prozent dieser Güter sind es bereits.
Bei manchen Projekten gibt es Local-Content-Auflagen
Zum anderen gibt es in Kanada, zumindest auf Bundesebene, keine Local-Content-Auflagen wie im Nachbarland USA, die deutsche Exporteure benachteiligen könnten. Einzelne Provinzen können hierzu aber Bestimmungen erlassen: So musste zum Beispiel Alstom sicherstellen, dass bei den 34 „Citadis Spirit“-Niederflurfahrzeugen für die Stadtbahn in Ottawa 25 Prozent der Wertschöpfung in Kanada erbracht wurden. Sie wurden zwar im Alstom-Werk in Hornell im US-Bundesstaat New York gefertigt; um den geforderten heimischen Lieferanteil zu erfüllen, fand die Endmontage jedoch in Ottawa statt.
Im Gegensatz dazu stellte VIA Rail, die staatliche Eisenbahngesellschaft Kanadas für den Personenfernverkehr, keine Local-Content-Anforderungen im Hinblick auf die neue Zugflotte im Korridor Québec City – Windsor.
Die meisten Schienenausbauprojekte sind auf Ebene der Provinzen zu finden
Darüber hinaus gibt es in Kanada noch zahlreiche weitere Schienenausbauprojekte, vor allem auf Ebene der Provinzen. Der größte Hotspot unter den Ballungszentren ist dabei Toronto, die Hauptstadt der Provinz Ontario, die zurzeit mehrere U-Bahn-Ausbauvorhaben im einstelligen Milliarden-Euro-Bereich verfolgt.
Das größte davon betrifft die Ontario Line, die auf knapp 16 Kilometern vom Ontario Science Centre zum Exhibition/Ontario Place in Toronto führen soll. Ein weiteres U-Bahn-Projekt im Nordosten der Stadt ist die fast 8 Kilometer lange Erweiterung der Scarborough-Linie, die ausschließlich unterirdisch erfolgt. Den Auftrag für den Tunnelvortrieb bekam die kanadische Tochter des österreichischen Strabag-Konzerns. Die Tunnelbauarbeiten sind bereits in vollem Gange. Auch die Yonge North Subway Extension wird eine Milliardensumme verschlingen: Von der geplanten Acht-Kilometer-Verlängerung verlaufen mehr als drei Viertel unterirdisch.
In den letzten zehn Jahren haben Kanadas Eisenbahnen mehr als 15 Milliarden US-Dollar (US$) in ihre Netze investiert. Das entspricht pro Jahr rund 20 bis 25 Prozent ihrer Einnahmen. Auch andere Ballungszentren investieren viel in die Schieneninfrastruktur – meist in neue Stadtbahnsysteme. In Montreal ging die erste Bahnlinie des neuen „Réseau Express Métropolitain“ im Juli 2023 in Betrieb. Dabei handelt es sich um eine fahrerlose, elektrisch betriebene U-Bahn, die den gesamten Ballungsraum auf einer Länge von 67 Kilometern durchquert. Sie verläuft unter- wie oberirdisch und teilweise auch als Hochbahn. Außerdem will Montreal die U-Bahn im dicht besiedelten Osten der Stadt ausbauen.
Vier historische Bahnhöfe werden restauriert
Neben der Schieneninfrastruktur modernisiert Kanada gerade auch einige Bahnhöfe: So will VIA Rail von 2020 bis 2025 knapp 62 Millionen US$ in die Renovierung von vier historischen Bahnhöfen (Heritage Stations) investieren: Winnipeg Union Station, Vancouver Pacific Station, Halifax Station und Gare du Palais in Québec City. VIA Rail hat das Privileg, über ihr gesamtes Streckennetz – das sich über acht Provinzen erstreckt – Bahnhöfe zu besitzen, die eine wichtige Rolle in Kanadas Eisenbahngeschichte gespielt haben. Modernisiert werden unter anderem Bahnsteige, Aufzüge und Rolltreppen.