Branchen | Kanada | Wasserstofferzeugung mit Windenergie
Wasserstoffprojekte im Osten Kanadas machen Fortschritte
Die kanadische Provinz Nova Scotia will ab 2025 Pachtverträge für Offshore-Windprojekte anbieten. Die Zahl grüner Wasserstoffprojekte steigt, finale Entscheidungen stehen aber noch aus.
29.10.2024
Von Heiko Steinacher | Toronto
Ende September 2024 erhielt die Nordex Group in Kanada Aufträge über Windkraftanlagen mit insgesamt 500 Megawatt Leistung. Namen der Auftraggeber und Windparks gab der Hamburger Windturbinenbauer nicht bekannt. Auch Siemens Gamesa und Enercon liefern Windturbinen nach Kanada. Der Wiesbadener Projektentwickler ABO Energy bekam im August 2023 auf staatlichem Land in Neufundland und Labrador den Zuschlag für ein Fünf-Gigawatt-Grünwasserstoffprojekt.
Deutsche Unternehmen setzen damit in Kanada ein Zeichen – und das nicht nur in den westlichen Provinzen Alberta und Saskatchewan, sondern immer öfter auch in den Atlantikprovinzen im Osten des Landes. Die dort gewonnene Windenergie soll der Herstellung von grünem Wasserstoff (H2) dienen, der dann später als Ammoniak nach Deutschland transportiert wird. Die Ausmaße der Projekte sind enorm: Allein ABO Energy will – schrittweise – auf einer Fläche von 100.000 Hektar 900 Turbinen aufstellen. Das entspricht etwa 140.000 Fußballfeldern.
Seit Sommer 2022 haben sich neun weitere ähnliche Großprojekte in den Atlantikprovinzen formiert, zwei davon erst in den letzten Monaten: das von Simply Blue in Goldboro (E-Fuel-Hub in Nova Scotia) und das von North Atlantic (Green Energy Hub in Neufundland). Der kanadische Ableger des deutschen Start-ups Hy2gen will grünen Ammoniak für Minensprengstoff in der Provinz Québec herstellen.
Atlantikprovinzen wollen Offshore-Windenergie ausbauen
"In Nova Scotia eignet sich vor allem Offshore-Wind zur grünen Wasserstoffproduktion", sagt Nicolai Pogadl von der AHK Kanada, der das Sekretariat der deutschen Energiepartnerschaft mit Kanada leitet. Windparks auf See weisen in der Regel mehr Volllaststunden im Jahr auf als an Land. "Allerdings wären Onshore-Windkraftanlagen an manchen Orten in Neufundland ähnlich stark ausgelastet wie auf See", ergänzt Pogadl. Daher eignen sich dort grundsätzlich beide Arten von Windparks für den Betrieb von Elektrolyseuren zur Erzeugung von grünem H2.
Die Chancen, Offshore-Windgebiete in Nova Scotia wirtschaftlich zu erschließen, haben sich Anfang Oktober 2024 verbessert: Denn dank eines neuen Gesetzes agiert die Offshore-Erdölbehörde der Provinz nun als vollständige Offshore-Energieregulierungsbehörde, was auch Erneuerbare-Energie-Projekte einschließt. In Neufundland und Labrador steht dieser Schritt noch bevor, aber das Gesetz dürfte auch dort bald durchs Provinzparlament sein.
Deutschland und Kanada wollen Markthochlauf von grünem Wasserstoff beschleunigen
Die Organisation Atlantic Economic Council schätzt, dass sich der Markt für Windenergie und den Export von H2 in Kanadas Atlantikprovinzen bis 2030 auf bis zu 5 Milliarden US-Dollar (US$) summieren könnte. Doch ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Um den Ausbau eines transatlantischen H2-Handelskorridors und großskaliger Erzeugungsanlagen voranzutreiben, beteiligt sich Ottawa über das "Doppelauktionsmodell" H2Global an einem bilateralen Finanzierungsfenster mit bis zu 218 Millionen US$ ausschließlich für Projekte in Kanada. Deutschland stellt die gleiche Summe dafür bereit.
Mit dem Geld soll die Differenz zwischen dem Ammoniak-Verkaufspreis in Kanada und der Zahlungsbereitschaft deutscher Abnehmer ("Green Premium") zumindest teilweise ausgeglichen werden. Zunächst erfolgt eine Auktion für den Kauf von grünem H2, bei dem das Angebot mit dem niedrigsten Preis einen langfristigen Bezugsvertrag erhält. Die auf diese Weise beschafften H2-Mengen werden sodann in einer zweiten Auktion zu einem wettbewerbsfähigen Preis an Abnehmer in Deutschland versteigert.
Auf diese Weise können einerseits die H2-Produzenten besser Investitionsentscheidungen treffen, denn das Modell garantiert ihnen eine verbindliche Abnahme. Andererseits gewinnen auch die Abnehmer in Deutschland dadurch mehr Planungssicherheit.
Seit Sommer 2024 gibt es Steueranreize für sauberen Wasserstoff
Außerdem können Investoren in saubere Wasserstoffvorhaben in Kanada bis zu 40 Prozent ihrer Projektkosten steuerlich geltend machen. Zusätzlich gibt es eine 15-prozentige Steuervergünstigung für die Umwandlung von sauberem H2 in Ammoniak für den Transport. Diese im Rahmen des Clean Hydrogen Investment Tax Credit (ITC) gewährten Anreize könnten sich bis 2035 auf knapp 13 Milliarden US$ summieren. Der ITC ist, wie noch drei weitere "grüne" Steuergutschriften, seit 21. Juni 2024 in Kraft und gilt rückwirkend für Ausgaben seit April 2023. Die Höhe der Förderung hängt von der CO2-Intensität der H2-Produktion ab.
Zudem hat Kanadas Exportkreditagentur EDC Direktkredite an Wasserstoffunternehmen in den Atlantikprovinzen vergeben, darunter an EverWind Fuels in Nova Scotia sowie an World Energy GH2 in Neufundland und Labrador.
"Dennoch wurde bisher für keines der großen Grünwasserstoffprojekte eine endgültige Investitionsentscheidung getroffen", sagt Jens Honnen, Berater beim Forschungs- und Beratungsinstitut adelphi. "Um Wasserstoff aus Kanada zu importieren, müssen in Deutschland die infrastrukturellen Voraussetzungen geschaffen werden – die Abnehmer benötigen Planungssicherheit darüber, wie der Wasserstoff zu ihnen gelangt." Mit der Genehmigung des Wasserstoff-Kernnetzes in Deutschland können die Netzbetreiber nun schrittweise die Infrastruktur für H2 aufbauen. Dadurch steigt tendenziell die Bereitschaft deutscher Abnehmer, langfristige Abnahmeverträge mit kanadischen Unternehmen abzuschließen – eine wichtige Voraussetzung für die Kanadier angesichts der hohen Vorlaufkosten bei diesen Projekten.
Hinzu kommen gespaltene Signale seitens der Politik: Während die liberale Minderheitsregierung grüne Energie nach Deutschland exportieren will, ist die Haltung der Konservativen Partei hierzu nicht eindeutig. Diese führt in den Umfragen, und vorgezogene Neuwahlen im Frühjahr 2025 gelten als realistisch. Konservativen-Chef Pierre Poilievre gilt nicht als Fan der unter der Trudeau-Administration beschlossenen ITCs. Viele seiner Parteifreunde in den Atlantikprovinzen unterstützen dagegen die H2- und Windenergie-Vorhaben.