Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Branche kompakt | Marokko | Bauwirtschaft

Wettbewerbssituation und Geschäftspraxis

Konzerne dominieren die Baubranche vom Umsatz her. Jedoch befinden sich kleine und mittlere Firmen in der zahlenmäßigen Mehrheit, nicht wenige von ihnen sind informeller Natur. 

Von Ullrich Umann | Casablanca

Die Bauwirtschaft stellt einen wichtigen Stabilitätsanker und Wachstumsfaktor dar. Sie trägt zu 6 Prozent zur Bildung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei, wie die Statistikbehörde Haut Commissariat au Plan (HCP) mitteilte. Die Anzahl der Bauarbeiter und Bauingenieure erreicht fast 1,4 Millionen, womit fast jeder zehnte Erwachsene im arbeitsfähigen Alter in diesem Industriezweig beschäftigt ist. Allerdings sind die Beschäftigungsverhältnisse vor allem in den kleinen und mittleren Bauunternehmen teilweise informell oder sogar prekär. Letzteres gilt insbesondere für den Einfamilienhausbau. Auf vielen privaten Baustellen tragen die Arbeiter nicht die vorgeschriebene Schutzkleidung und Helme.

Renommierte und organisierte Baufirmen, die nach Arbeitskräften mit einem nachgewiesenen Facharbeiter- oder Meisterabschluss suchen, haben es dagegen schwer und müssen bei den Gehältern entsprechend nachlegen. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, herrscht auf vielen Baustellen bei Neueinstellungen das Prinzip "learning by doing" vor. Neben dem Fachkräftemangel haben es Branchenfirmen fallweise auch mit Projekt- und Zahlungsverzögerungen zu tun, trotz der relativ hohen Zahl von Projekten und jährlichen Baustarts. 

Ein sogar volkswirtschaftliches Problemfeld stellt die hohe Zahl an Baufirmen und Produzenten aus der Baustoffindustrie dar, die sich in der steuerlichen Grauzone oder sogar komplett im informellen Sektor bewegen. Der Unternehmerverband Conféderation Générale des Entreprises de Maroc (CGEM) sieht den umsatzmäßigen Anteil der Schattenwirtschaft im Baugewerbe bei 30 Prozent. Der Verband der Immobilienentwickler Fédération Nationale des Promoteurs Immobiliers (FNPI) quantifizierte die Grauzone mit 10.000 Firmen und den informellen Sektor mit 40.000. Dem organisierten und strukturierten Baugewerbe ordnet der Verband 2.000 Unternehmen zu, wobei hier alle großen und umsatzstarken Firmen zu finden sind. 

Öffentliche Aufträge befeuern Branchenwachstum

Der Staat beziehungsweise Staatsunternehmen spielen als Auftraggeber und Bauträger eine außerordentlich wichtige Rolle. Das Staatsunternehmen Al Omrane dominiert zum Beispiel den öffentlichen Wohnungsbau, darunter den Bau von Sozialwohnungen. Für die Baudurchführung nimmt Al Omrane meist lokale Bauunternehmen unter Vertrag. Inzwischen werden auch staatliche Industrieunternehmen, darunter der finanzkräftige Phosphatkonzern OCP, im Bausektor als Auftraggeber sehr aktiv. OCP erweitert etwa seine Kapazitäten zur Erzeugung grüner Energien, investiert aber auch stark in die Meerwasserentsalzung, sowohl für den Eigenbedarf als auch für die Wasserversorgung der Bevölkerung in den umliegenden Regionen. 

Eine aktive Rolle als Auftraggeber spielen zudem öffentliche Stiftungen, darunter die Mohammed VI-Stiftung für Bildung und Forschung. Sie finanzierte den Bau und die Einrichtung einer der besten Bildungseinrichtungen des Landes, der Universität Mohammed VI Polytechnique (UM6P). Ebenfalls tritt die Stiftung aktiv bei der Beseitigung der Erdbebenschäden in Al Haouz auf. Behörden, staatliche Betriebe und andere öffentliche und halböffentliche Auftraggeber wählen für die Projektausführung unter anderem auch ausländische Baufirmen aus. Neben Prestige spielt dabei die notwendige Qualität der Bauausführung eine entscheidende Rolle.

Zu den wichtigen privaten Projektentwicklern zählt Addoha, die unter anderem auch im Wohnungsbau tätig ist. Zu nennen wären darüber hinaus die Bgroup. Dieses Unternehmen beschäftigt sich vor allem mit dem Wohnungsbau im oberen Segment und dem Bau touristischer Einrichtungen. Als weitere Entwicklungsgesellschaften sind Dyar al Mansour, Saham Immobilier, Yamed Group, TGCC und Yasmine Immobilier zu nennen.

Ausgewählte Strukturdaten zur Bauwirtschaft in Marokko
Kategorie

2021

2022

2023

Fertiggestellte Wohnungen

140.000

160.000

180.000

  Öffentlich

80.000

95.000

110.000

  Privat

60.000

65.000

70.000

Begonnene Wohnbauprojekte    

160.000

180.000

200.000

    Öffentlich

95.000

110.000

125.000

    Privat

65.000

70.000

75.000

Anzahl der Beschäftigten im Bereich Bauwesen und Öffentlichen Arbeiten (in Millionen)

1,2

1,3

1,4

Zementabsatz (in Millionen Tonnen)

14

15

16

Ausländische Direktinvestitionen in Immobilien (Nettozuflüsse in Milliarden US-Dollar)

2,5

3

3,5

Ausländische Direktinvestitionen in den Bausektor (Nettozuflüsse in Milliarden US-Dollar)

1,5

1,5

1,5

Quelle: Ministère de l’Aménagement du Territoire National, de l’Urbanisme, de l’Habitat et de la Politique de la Ville; Office des Changes; GTAI-Recherche; 2024

Akquise ist die schwierigste Projektphase

Baufirmen sollten die Auftragsakquise akribisch vorbereiten. Ohne Lobbyarbeit und detaillierte Kenntnisse der Verfahrensabläufe bleiben die Gewinnaussichten bei Ausschreibungen gering. Werden Beteiligungen an öffentlichen Projekten angestrebt, etwa zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, sind auch hierfür erfahrene Partner vor Ort fast unabdingbar. Doch verlagern sich die Bauaktivitäten allmählich in Richtung Industriebau und Privatwirtschaft. 

Oft unterschätzen ausländische Bieter die starke Kostenorientierung im Bausektor sowie die an den jeweiligen Bauherren gebundene Beschaffungspolitik. Knappe Haushalte auf allen Verwaltungsebenen und eine schwerfällige Administration nehmen zusätzlich einiges an Dynamik aus den Projektabläufen. 

Teilweise sind es aber auch die auf den ersten Blick weniger sichtbaren Dinge, die im Baugeschäft eine immens wichtige Rolle spielen. Dazu gehören sprachliche und kulturelle Besonderheiten, die trotz der generellen Europaorientierung Marokkos nach wie vor bestehen. Da das Geschäftsleben hierarchisch aufgebaut ist, spielt die punktgenaue Adressierung von Angeboten sowie die Lobbyarbeit eine wichtige Rolle, wozu der Aufbau persönlicher Beziehungen zu den Entscheidungsträgern gehört. Verhandlungen werden im Regelfall auf Französisch geführt, auch wenn Englisch an Bedeutung gewinnt. Auf der Baustelle überwiegt wiederum das marokkanische Arabisch sowie verschiedene Berberdialekte. 

Bauunternehmen bezeichnen die mit ihren Projekten verbundene Bürokratie, insbesondere auf der mittleren und lokalen Ebene, als teilweise schwerfällig. Auch herrscht ein von Deutschland abweichendes Zeitgefühl in fast allen Projektphasen vor. Allerdings kann es bei der eigentlichen Bauausführung durchaus auch einmal schneller als in Deutschland zugehen. 

Dieser Inhalt gehört zu

nach oben
Feedback
Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.