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Montenegro will neue Stromquellen erschließen
Montenegros Energiewende soll zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das Land will unabhängiger von Wasserkraft und Kohle werden und zugleich neue Geschäftsfelder eröffnen.
27.07.2023
Von Viktor Ebel | Belgrad
Auf den ersten Blick ist die grüne Wende in Montenegro in vollem Gange: Über die Hälfte des Stroms wird bereits aus erneuerbaren Quellen gewonnen. Doch die Energie stammt vor allem aus Wasserkraftwerken. Deren Produktion schwankt in regenarmen Jahren, weshalb das Land zuweilen teuren Strom importieren muss. Der zweite große Einspeiser ist ein veraltetes Kohlekraftwerk im Norden des Landes, welches 2023 aus Umweltschutzgründen eigentlich vom Netz genommen werden sollte.
betrug die Gesamtkapazität an erneuerbaren Energien in Montenegro im Jahr 2021.
Das große Potenzial von Solar- und Windkraft bleibt weitestgehend ungenutzt. Das soll sich aber bald ändern: Bis 2030 will der kleine Adria-Anrainer nicht nur neue Stromquellen erschließen und dadurch energetisch unabhängig werden. Die Regierung will das Land darüber hinaus zu einem Exporteur von grünem Strom machen. Seine günstige geografische Lage begünstigt zudem den Einstieg in Erdgasprojekte.
Viele Solarprojekte in der Pipeline
Das mit Abstand größte Potenzial birgt die Solarkraft. Experten vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) schätzen die mögliche Kapazität in dem Küstenstaat auf 12,8 Gigawatt (GW). Noch bleibt Montenegro weit hinter seinen Möglichkeiten zurück: 2023 wird der Anteil der Fotovoltaikanlagen an der Stromproduktion gerade einmal zwei Prozent erreichen. Bürokratie und das mangelnde Interesse der Politik bremsten Projekte in den vergangenen Jahren immer wieder aus.
Eine Trendwende zeichnet sich jedoch ab. Das Parlament verabschiedete Gesetzesänderungen, welche die Installation von Solaranlagen einfacher und billiger machen:
- die Mehrwertsteuer für Solaranlagen wurde von 21 auf 7 Prozent gesenkt und
- Anlagen mit bis zu 1.000 Kilowatt wurden von städtebaulichen Beschränkungen befreit.
Davon profitiert besonders das Programm Solari des staatlichen Energieversorgers EPCG. Dieser installiert schlüsselfertige Solaranlagen auf Dächern von Haushalten und Unternehmen. Die Bürger tilgen die Investition in monatlichen Raten über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren.
In- und ausländische Unternehmen planen gegenwärtig Solarkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von etwa 1,4 GW. Darunter ist auch ein Großprojekt der RES Montenegro Group, die einen Solarpark mit einer Leistung von 506 Megawatt in Cetinje bauen will, und eine 240-MW-Anlage der Firma Somsol in Niksic. Die meisten Vorhaben durchlaufen gegenwärtig das Genehmigungsverfahren.
Erste Windparks stehen bereits
Das Potenzial für Windkraft schätzt UNDP auf 400 MW. Die ersten Windfarmen Krnovo und Mozura gingen 2017 und 2019 an den Start und tragen mittlerweile fast 10 Prozent zur Stromerzeugung bei. Gelder flossen unter anderem von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Diese hat im Juni 2023 auch einen Vertrag über ein Darlehen von 82 Millionen Euro für die Windkraftanlage Gvozd bei Niksic unterzeichnet. Die Vorbereitungen für den Bau der 55-MW-Anlage haben begonnen. Im Jahr 2025 soll sie bereits ans Netz gehen.
Zudem prüfen die Behörden den Projektvorschlag für einen 120-MW-Windpark in Pljevlja. Dort sind laut dem Investor 20 Windräder des deutschen Herstellers Wind to Energy vorgesehen.
Bezeichnung | Investitionen | Anmerkungen | Ansprechpartner |
---|---|---|---|
Windfarm Krnovo (zweite Phase) | k.A. | weitere 75 MW vorgesehen; in Planung | |
Windfarm Gvozd bei Niksic | 82 | Darlehensvertrag mit EBWE im Juni 2023 unterzeichnet; Bauvorbereitungen; Kapazität: 55 MW; Inbetriebnahme 2025 geplant | |
Solarpark in Valestevo, Gemeinde Cetinje | k.A. | Kapazität 150 MW; Genehmigungsverfahren im Gange | Solar Power (Podgorica) |
Solarpark in Lastva und Ubli, Gemeinde Cetinje | k.A. | Kapazität 506 MW; Genehmigungsverfahren im Gange | RES ENERGY TRADING DOO (Podgorica) |
Solarpark Montechevo in Lastve, Čeva und Prentin dol; Gemeinde Cetinje | 360 | Kapazität 400 MW; Genehmigungsverfahren im Gange | |
Solarpark in Ubli, Cetinje und Solarpark in Bogatic und Brocanac | 300 | Kapazität: 385 MW; Genehmigungsverfahren im Gange | MEnergy Montenegro (Montenegro, Luxemburg) |
Solarpark in Drazevina bei Podgorica | k.A. | Kapazität: 12,5 MW; Genehmigungsverfahren im Gange | Montenegro Investment and Holdings (Kotor) |
Agri-Solarparks Vuca 1,2,3 bei Rozaje | 200 | Kapazität: 124 MW; Kombination aus landwirtschaftlicher Nutzung und Solarproduktion beantragt | BSD Mont (Montenegrinisch-ungarische Partnerschaft) |
Solarpark in Somina bei Niksic | k.A. | Kapazität 240 MW; Genehmigungsverfahren im Gange | Somsol (Podgorica) |
LNG-Terminal an Montenegros Küste im Gespräch
Bei der Diversifizierung seiner Energieversorgung setzt Montenegro auch auf Gas. Im Mai 2023 unterzeichnete die Regierung ein Memorandum mit zwei amerikanischen Unternehmen, die an der Küste in Bar einen LNG-Terminal und ein Gaskraftwerk bauen wollen. Dafür könnten bis zu 750 Millionen US-Dollar (US$) an Investitionen fließen, davon:
- 250 Millionen US$ für Tankerentladeanlagen, Speicher und Regasifizierungslangen sowie
- 500 Millionen US$ für ein Gaskraftwerk mit einer maximalen Leistung von 440 MW.
Gegenwärtig werden Machbarkeitsstudien für die Projekte vorbereitet. Laut Memorandum könnten die beiden Anlagen Ende 2025 ihren Betrieb aufnehmen. Der Nachbar Serbien hat bereits Interesse am Kauf von Flüssiggas angemeldet, sollte die nötige Infrastruktur an Montenegros Küste gebaut werden.
Montenegros Rolle für Gastransit wächst
Aufgrund seiner günstigen geografischen Lage könnte Montenegro eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Region mit Gas zukommen. Die geopolitischen Umwälzungen des Jahres 2022 haben dazu geführt, dass nun deutlich mehr Gas aus Aserbaidschan nach Europa strömt. Das bringt neuen Schwung in die Ionisch-Adriatische-Pipeline, welche als Verlängerung der Trans-Adriatischen-Pipeline Gas über Montenegro bis nach Kroatien transportieren könnte.
Der Klimawandel macht auch vor Montenegro nicht halt. Im Jahr 2022 litt das Land unter einer extremen Dürre, welche die Wasserstände und die Stromproduktion in den Wasserkraftwerken stark sinken ließ. Montenegro musste auf Stromimporte ausweichen, welche sich aufgrund der Energiekrise in Europa stark verteuerten. In den nächsten Jahren soll die Abhängigkeit von der Wasserkraft schrittweise durch die Förderung alternativer Energieträger reduziert werden. Zudem kann überschüssiger Strom exportiert werden. Der Netzbetreiber CGES plant neue Interkonnektoren mit den Nachbarländern und ein zweites Unterseekabel nach Italien. |
Ökologische Umrüstung statt Kohleausstieg
Fast 40 Prozent des Stroms in Montenegro stammen vom Kohlekraftwerk Pljevlja. Im Einklang mit internationalen Abkommen sollte dieses 2023 vom Netz genommen werden. Durch eine Änderung des Gesetzes über Industrieemissionen darf das Kraftwerk vorerst weiterbetrieben werden. Mehr noch: Statt den Kohleausstieg zu vollziehen, will die Regierung den Kohlemeiler umfassend modernisieren und damit die von der EU vorgegebenen Emissionsgrenzwerte einhalten.
Mit dem britischen Unternehmen Chayton Capital wurde eine Absichtserklärung für das Modernisierungsprojekt unterzeichnet. Neben Filteranlagen für Kohlendioxid und andere Abgase soll auch ein neuer CFB-Kessel angeschafft werden, der Altholz und recycelte Materialien als Brennstoff nutzt.
Klare Linie in der Energiepolitik fehlt noch
Der Ausstieg aus dem Kohleausstieg macht eines deutlich: Noch fehlt in Montenegro eine langfristige, verbindliche Strategie. Das angepeilte Ziel für den Anteil der Erneuerbaren bis 2020 war so niedrig gesetzt, dass es um 10 Prozentpunkte übertroffen wurde.
Die Europäische Energiegemeinschaft bescheinigt zwar Fortschritte, mahnt aber auch weitere Reformen an. Das Land brauche ein Gesetz über erneuerbare Energien, so die Experten in ihrem jährlichen Bericht. Dieses müsse die Genehmigungsverfahren vereinfachen und Auktionen für grüne Stromproduktion implementieren. Zudem müssen die Stromnetze weiter ausgebaut werden.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die im Sommer 2023 neu formierte Regierung zum Thema erneuerbare Energien positioniert.