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Norwegen will Stromproduktion auf breitere Basis stellen
Viele Jahre lang konnte Norwegen auf eine stabile und günstige Stromversorgung aus seinen Wasserkraftwerken vertrauen. Aber jetzt zwingt der Klimawandel zum Handeln.
23.09.2022
Von Michał Woźniak | Stockholm
Norwegen hat dank seiner natürlichen Voraussetzungen lange Zeit auf eine stabile und mehr als ausreichende Stromproduktion aus Wasserkraft bauen können. Der Klimawandel sorgt aber vor allem in Südnorwegen zunehmend für unzureichende Wasserstände in den Stauseen. Deswegen wurde im Laufe dieses Sommers den dortigen Erzeugern ein spezielles Reporting auferlegt. "Außerdem bereiten wir einen neuen Managementmechanismus vor, der dafür sorgen wird, dass bei niedrigen Stauseen mehr Wasser in den Stauseen gespeichert und der Stromexport in solchen Fällen begrenzt wird", kündigte Mitte September Energieminister Terje Aasland an.
Mehr Windkraftanlagen an Land und auf See
Wie der Minister bei einer Pressekonferenz zugab, kam auch in seinem Land das Thema der Energierationierung auf. "Unsere Energiebehörden schätzen die Wahrscheinlichkeit als gering ein", beruhigt er aber. Der Ernst der Lage sei jedoch allen bewusst, deswegen sollen langfristig drei Maßnahmen angestrebt werden: "mehr Strom, mehr Netze und eine effizientere Nutzung unserer Energie". Aasland verweist dabei auf zwei Dinge: Die im Frühsommer vorgestellte Offshore-Wind-Strategie soll im 1. Quartal 2023 in erste Ausschreibungen münden. Außerdem soll die Vergabe von Onshore-Wind-Lizenzen gemäß den nunmehr strengeren Auflagen wieder aufgenommen werden.
Die landbasierte Windkraft trifft in Norwegen auf breite Proteste, weswegen an weiteren Anreizen gearbeitet wird: "Wir müssen sicherstellen, dass lokale Gemeinschaften, die ihre natürlichen Ressourcen für die Entwicklung der Windkraft zur Verfügung stellen, mehr zurückbekommen und einen rechtmäßigen Anteil an der Wertschöpfung erhalten", so der Energieminister. Das norwegische Wasser- und Energiedirektorat NVE wurde angewiesen, die Bearbeitungszeiten bei der Lizenzvergabe für Anlagen zu verkürzen. Erreicht werden soll das unter anderem durch die Ausweitung des "Fast Track"-Systems, das bei kleineren und einfachen Projekten zum Zuge kommt.
Neue Investitionen in die Wasserkraft sollen den Ausbau der wetterabhängigen Energiequellen begleiten. Geplant ist die Modernisierung und Erweiterung bestehender Anlagen. Stärker in den Fokus rücken soll laut Aasland "die Fähigkeit zur Produktion im Bedarfsfall", um Windstille und Bewölkung auszugleichen.
Für mehr Flexibilität sorgen soll zudem der Ausbau des Stromnetzes. Kurz vor der Sommerpause wurde ein Bericht eines Ausschusses für die Stromnetzentwicklung an den Energieminister übergeben. Darauf basierend sollen Maßnahmen zur Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsprozesse, eine "sozioökonomische Entwicklung" der Infrastruktur sowie Verbesserung des Anschlusssystems erarbeitet werden.
Stromverbraucher werden unterstützt
Weil diese Lösungen aber erst in einigen Jahren Früchte tragen werden, "[...] geht es kurzfristig vorrangig darum, die Arbeit zum Schutz und zur Entlastung von Menschen, Organisationen und Unternehmen in der herausfordernden Situation fortzusetzen. Im Jahr 2022 werden wir etwa 4,3 Milliarden Euro für gezielte Maßnahmen zur Deckung der hohen Stromkosten ausgeben“, so Aasland. Haushalte erhielten bereits Anfang des Jahres umfangreiche Unterstützung. Im Sommer folgte dann ein ganzes Paket für Unternehmen, das auch neue Geschäftschancen für deutsche Unternehmen eröffnen dürfte.
Die Programme können laut Regierung rund 20.000 Unternehmen in Gebieten mit besonders hohen Strompreisen helfen. So soll eine Änderung der Steuervorschriften langfristige Festpreisvereinbarung attraktiver machen. Zusätzlich sollen Energieversorger bei 3-, 5- und 7-jährigen Verträgen maximal 5 norwegische Kronen (nkr; etwa 0,49 Euro; 1 Euro = 10,2826 nkr; Stand: 19.9.22) je Megawattstunde (MWh) auf den Erzeugerpreis aufschlagen dürfen. In Kraft treten sollen diese Regelung am 1. Januar 2023.
Die Wartezeit überbrücken soll ein Zuschusssystem der auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaftsförderung Enova. Angesprochen werden damit Unternehmen, deren Stromkosten im 1. Halbjahr 2022 mindestens 3 Prozent der Umsätze betrugen. Ferner dürfen die Empfänger 2023 auch keine Dividenden ausschütten. Laut Angaben der Regierung wird die Einführung noch weiterer Basisvoraussetzungen überprüft.
Energieeffizienz soll belohnt werden
Die Subventionen werden für das 4. Quartal 2022 gewährt und sind an Energieeffizienzmaßnahmen geknüpft: Für die Durchführung eines Energieaudits wird ein Ausgleich von 25 Prozent des Strompreises über 700 nkr (etwa 68 Euro) je MWh gewährt. Weitere 20 Prozent können beantragt werden, wenn sich der Antragsteller verpflichtet, binnen zwei Jahren sogenannte ENØK-Maßnahmen durchzuführen. Diesen vormals an Haushalte gerichteten Maßnahmenkatalog werden nun auch Unternehmen nutzen können, um sich 50 Prozent der Investitionskosten von Energieeffizienzmaßnahmen zurückzuholen. Dies sollte die Nachfrage unter anderem nach intelligenten Energiemanagementsystemen, Lösungen zur Wärmerückgewinnung aus Grauwasser, Wärmeisolierung, Solarkollektoren oder Energiespeichern ankurbeln.
Neben der Zustimmung des norwegischen Parlaments bedarf dieser Vorschlag auch noch der Einwilligung der Marktüberwachungsbehörde der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Gleiches gilt für ein subventioniertes Bürgschaftssystem. Demnach will die norwegische Regierung für Unternehmen, die durch hohe Stromkosten in akute Liquiditätsengpässe geraten, bis zu 90 Prozent neuer Bankdarlehen garantieren.
Entlastungen soll es zudem für Auftragnehmer öffentlicher Aufträge geben. Der norwegische Wirtschafts- und Industrieminister Jan Christian Vestre wies dazu alle öffentlichen Einkäufer an, Flexibilität gegenüber Auftragnehmern aufzubringen. "Ich ermutige, konstruktive Lösungen für exponierte Unternehmen zu finden, die jetzt Probleme haben und riskieren, Geld bei den von ihnen eingegangenen Verträgen zu verlieren“, unterstrich Vestre.