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Polen setzt auf Gas aus Norwegen, Katar und den USA
Polen baut neue Gas-Pipelines und erweitert sein Flüssiggasterminal. Das Land will damit unabhängiger von russischen Importen werden. Weitere Investitionen stehen kurz bevor.
11.05.2022
Von Christopher Fuß | Warschau
Im April 2022 überraschte der russische Energiekonzern Gazprom mit der Ankündigung, ab sofort kein Gas mehr über die Jamal-Pipeline nach Polen zu exportieren - obwohl ein entsprechender Liefervertrag noch bis Ende 2022 läuft. Polen deckt bislang mehr als 40 Prozent seines Gasbedarfs über Importe aus Russland. Die Lieferungen enden nun früher als erwartet. Die polnische Regierung äußert sich dennoch selbstbewusst: "Es drohen keine Engpässe oder Unterbrechungen bei der Gasversorgung", bekräftigte der Minister für Staatsunternehmen, Jacek Sasin.
Integration in das europäische Gasnetz
Dass Polen auf den einseitigen Lieferstopp so gelassen reagieren kann, hat mehrere Gründe. Im Frühling und Sommer geht der Gasbedarf normalerweise zurück. Wenn ab Herbst die Temperaturen sinken und der Gasverbrauch wieder steigt, kann Polen voraussichtlich weitere Bezugsquellen nutzen. Das Land investiert seit Jahren in neue Lieferwege. Anfang Mai 2022 ging eine Pipeline zwischen Polen und Litauen (Gas Interconnection Poland–Lithuania; GIPL) in Betrieb. Sie kann umgewandeltes Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas; LNG) aus dem litauischen Hafen Klaipėda in das polnische Leitungssystem befördern.
Polens Netzbetreiber Gaz-System treibt die Integration in die europäische Pipeline-Infrastruktur voran. Bis zum November 2022 will das Unternehmen eine neue Verbindung in die Slowakei fertigstellen. Außerdem existieren Leitungen nach Tschechien und Deutschland. Über das breite Pipeline-Netz hat Polen die Möglichkeit, Erdgas aus unterschiedlichen Richtungen zu beziehen.
Die wichtigste neue Pipeline ist aber die sogenannte Baltic Pipe. Voraussichtlich ab Oktober 2022 transportiert sie Erdgas aus Norwegen über Dänemark nach Polen. Voll ausgebaut kann die Baltic Pipe bis zu 10 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr an polnische Abnehmer liefern, also ungefähr so viel wie bislang die Jamal-Pipeline aus Russland bereitstellt. Polens staatlicher Gasversorger PGNiG (Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo) hat sich bereits Leitungskapazitäten von rund 8,1 Milliarden Kubikmetern gesichert.
Ein weiterer Baustein der polnischen Gasstrategie ist das LNG-Terminal im Ostseehafen Świnoujście. Die knapp 10 Kilometer von der deutschen Grenze entfernte Anlage kann rund 6,2 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr aufbereiten. Bis 2024 steigt das Volumen des Terminals auf 8,3 Milliarden Kubikmeter. An dem Ausbau ist auch das deutsche Unternehmen TGE Gas Engineering beteiligt.
US-Unternehmen führend bei Flüssiggas
Polens Erdgasverbrauch lag 2021 laut Angaben der Bank PKO BP bei 23,3 Milliarden Kubikmetern. Über die Jamal-Pipeline importierte PGNiG im selben Jahr etwa 9,9 Milliarden Kubikmeter des Energieträgers. Ausbleibende russische Lieferungen will Polen kurzfristig unter anderem mit Gas aus europäischen Nachbarländern und aus eigenen Speichern ausgleichen.
Für die kommenden Jahre hat PGNiG Verträge mit verschiedenen Partnern unterzeichnet. Zum wichtigsten Lieferant für LNG steigt ab 2023 die amerikanische Gesellschaft Venture Global auf. Große Mengen Flüssiggas kauft PGNiG auch bei der amerikanischen Cheniere Energy und bei Qatargas aus Katar ein. Die Summe aller ab 2023 vertraglich zugesicherten LNG-Käufe von PGNiG entspricht laut Berechnungen der mBank über 12 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Die Kapazitäten in Świnoujście und in Klaipėda reichen nicht aus, um diese Mengen zu verarbeiten. Daher prognostiziert die mBank, dass Polen mit weiteren europäischen Häfen Gespräche aufnehmen wird.
PGNiG kauft einen Teil des Flüssiggases ohne Lieferung (free on board; FOB). Für den Transport muss das Staatsunternehmen eigene Schiffe einsetzen. Im Jahr 2022 wird PGNiG drei Tanker über Charterabkommen übernehmen. Zwischen 2023 und 2035 kommen insgesamt acht weitere Schiffe dazu. PGNiG kooperiert unter anderem mit den Reedereien Knutsen aus Norwegen und Maran Gas Maritime aus Griechenland.
Auch für die Baltic Pipe unterschreibt Polen langfristige Lieferverträge. Fest steht laut Berechnungen des Branchenportals Wysokie Napiecie die Lieferung von 4,3 Milliarden Kubikmetern Gas. Davon stammen rund 2,4 Milliarden Kubikmeter aus eigenen Gasfeldern von PGNiG in Norwegen. Offen ist, was mit den weiteren knapp 4 Milliarden Kubikmetern Leitungsvolumen passiert, die sich der staatliche Gasversorger in der Baltic Pipe reserviert hat. Wysokie Napiecie mutmaßt, dass Polen entweder neue Verträge unterzeichnet oder Kapazitäten für Termingeschäfte freihält.
Quelle | Menge |
---|---|
Baltic Pipe | 4,3 |
davon PGNiG Eigenproduktion in Norwegen | 2,4 |
davon Liefervertrag mit Ørsted* | 1,1 |
davon Lieferung durch Lotos | 0,6 |
LNG | 12 |
davon Liefervertrag mit Qatargas | 2,7 |
davon Liefervertrag mit Cheniere Energy | 1,9 |
davon Liefervertrag mit Venture Global | 7,4 |
Eigene Gasförderung durch PGNiG in Polen | 3,7 |
Gesamt | 20 |
Addiert man die LNG-Lieferungen und die Mengen aus den Baltic-Pipe Verträgen mit der heimischen Gasförderung durch PGNiG in Polen zusammen, ergibt es ein Volumen von 20 Milliarden Kubikmetern. Das entspricht über 84 Prozent des polnischen Jahresverbrauchs von 2021. Eventuelle Versorgungslücken könnte Polen über Importe aus Deutschland, Tschechien oder der Slowakei abdecken. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass auf diese Weise auch russisches Gas wieder durch polnische Leitungen strömt.
Gaz-System steckt 1,9 Milliarden Euro in seine Infrastruktur
Mit weiteren Investitionen will sich Polen noch unabhängiger machen. So plant Gaz-System, bis 2028 ein schwimmendes LNG-Terminal (Floating Storage Regasification Unit; FSRU) bei Gdańsk in Betrieb zu nehmen. Die Anlage soll jährlich 6,1 Milliarden Kubikmeter Gas ins Netz einspeisen können. Mit Angaben zu den Kosten hält sich Gaz-System zurück. Fest steht, dass auch die Transportinfrastruktur rund um Gdańsk wachsen wird.
Im mehrjährigen Entwicklungsplan kündigt Gaz-System an, das Leitungsnetz bis 2031 um 2.000 Kilometer auszubauen. Außerdem will das Unternehmen Verdichterstationen errichten. Allein zwischen 2022 und 2024 plant Gaz-System mit Investitionen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro.
Polen muss seine Bezugsmöglichkeiten voraussichtlich weiter ausbauen, denn der Bedarf wächst. Laut Schätzungen von Gaz-System wird das Land 2030 rund 40 Prozent mehr Gas verbrauchen als 2021. Alternative Energien wie Biomethan und Wasserstoff könnten an Bedeutung gewinnen.