Special | Rumänien | Krieg in der Ukraine
Krieg verschärft Wachstumsrisiken
Strom, Stahl, Sprit: Höhere Preise sind die spürbarsten Auswirkungen des Russland-Ukraine-Krieges in Rumänien. Einige Branchen trifft die Inflation stärker.
25.03.2022
Von Dominik Vorhölter | Bukarest
Der russische Angriffskrieg im Nachbarland Ukraine wird die rumänische Wirtschaftsleistung 2022 indirekt beeinflussen. Dies liegt daran, dass der Handel Rumäniens mit Russland und der Ukraine kaum eine Bedeutung hat. Die Nationale Strategie- und Prognosekommission ist ein Gremium, das die Regierung in Wirtschaftsfragen berät. Sie rechnet damit, dass das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr nur um 3,5 Prozent statt wie zuvor angenommen um 4 Prozent wachsen wird.
Die Prognose ist dennoch mit einem hohen Inflationsrisiko verbunden. Massive Preissteigerungen für Rohstoffe und Vorprodukte bremsen das Wachstum aus. Die rumänische Nationalbank rechnet mit einer Inflationsrate von 10 Prozent für 2022. Ein steigender Kostendruck führt zudem dazu, dass Investoren kurzfristig ihre Vorhaben aufschieben oder die teureren Preise an die Verbraucher weitergeben.
Russland-Ukraine-Krieg verschärft die Inflation
Der Sprecher der rumänischen Nationalbank, Dan Suciu, erwartet im Jahresverlauf eine allgemeine Preisteuerung aufgrund steigender Preise für Treibstoff. Diese Kosten erhöhen auch die Lebensmittelpreise. Diese stiegen im Januar 2022 durchschnittlich um mehr als ein Viertel im Vorjahresvergleich, berichtet das Nationale Statistikinstitut. Die Nationale Strategie- und Prognosekommission rechnet für 2022 mit einem um 1,3 Prozentpunkte schwächeren privaten Verbrauch gegenüber 2021 von 3,6 Prozent. Der private Konsum hat einen Anteil an der Wirtschaftsleistung von rund 64 Prozent.
Automobilindustrie und Baubranche sind betroffen
Auf das Geschäft der meisten deutschen Unternehmen in Rumänien hat der Krieg keinen direkten Einfluss. Dagegen spüren alle Unternehmer die indirekten Folgen: Am meisten zu schaffen machen den Industriebetrieben Preissteigerungen bei Vorprodukten und Rohstoffen sowie unterbrochene oder verlängerte Transportrouten. Der nördliche Transportkorridor der Neuen Seidenstraße führt auf dem Landweg durch Russland und durch die Ukraine.
Autohersteller bekommen derzeit keine Kabelbäume mehr aus der Ukraine. Ein deutscher Zulieferer, der in der Ukraine Kabel für die Autohersteller produziert, ist das Unternehmen Leoni. Es verlagert nun einen Teil seiner Kapazitäten aus dem ukrainischen Werk in der Region Lviv in das rumänische Werk in Bristrita im Nordosten Rumäniens. In der rumänischen Produktionsstätte sollen 44 Personen eine Anstellung finden, berichtete die Zeitung Ziarul Financiar.
Unmittelbar von den Sanktionen gegen Russland betroffen ist das Stahlwerk TMK Artrom. Das russische Unternehmen produziert in Slatina Zylinder und Chromteile für die Automobilindustrie und beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter. Ein Kunde ist der rumänische Autobauer Dacia. Derzeit sind die Geschäftskonten gesperrt, weil die Europäische Union den Hauptaktionär des Unternehmens, Dmitrij Pumpianskij, auf die Sanktionsliste gesetzt hat.
Bauherren sehen extreme Preissteigerungen
Die Baubranche, die in Rumänien rund 7 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringt, stellt sich mittelfristig auf steigende Kosten für Baukredite ein. Für Bauunternehmen beschleunigt der Krieg im Nachbarland den Kostendruck bereits jetzt. Wegen der steigenden Preise für Energie, Rohstoffe und Baumaterialien beobachtet der Arbeitgeberverband der rumänischen Bauunternehmen einen Rückgang der Bautätigkeit bereits seit dem 4. Quartal 2021.
Der steigende Preis für Rohöl am Weltmarkt verteuert die Produktion, besonders im Straßenbau. Denn bei der Verarbeitung von Rohöl entsteht in den Raffinerien das Nebenprodukt Bitumen - ein wesentlicher Bestandteil von Asphalt. In Rumänien sind die Preise für Baustoffe wie Dämmstoffe, Zement und Stahlbeton gegenüber dem Vorjahresmonat Februar um die Hälfte gestiegen, berichtet das Nationale Statistikinstitut. Einige Bauunternehmen müssen sich außerdem nach anderen Zulieferern für Stahlbeton und Stahlrohren aus der Ukraine oder Russland umsehen.
Investoren sehen Chancen in Rumänien
Generell betrachten Investoren Rumänien als Standort mit zunehmendem Potenzial. Eine Chance sehen Unternehmer in der Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus der Ukraine. Sie können ukrainische Staatsbürger für maximal zwei Jahre im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens ohne Visum und Arbeitserlaubnis engagieren. Für eine Aufenthaltsgenehmigung reicht seit 8. März 2022 ein Arbeitsvertrag aus, wie aus der Notstandsverordnung Nr. 20 hervorgeht. Schätzungen zufolge werden sich rund 500.000 Menschen aus der Ukraine dauerhaft in Rumänien niederlassen.
Seit Anfang März 2022 suchen Unternehmen gezielt nach ukrainischen Mitarbeitern. Das rumänische Jobportal BestJobs berichtet, dass innerhalb von zwei Wochen rund 600 Unternehmen Anzeigen geschaltet haben, auf die sich unter anderem ukrainische Bürger bewerben können. Die meisten offenen Stellen gibt es im Bereich Telekommunikation, Ingenieurwesen und im Gastgewerbe.
Über den Zustrom der Menschen aus dem Nachbarland freut sich derzeit das Hotelgewerbe. "Es gibt Unternehmen, die für zwei bis drei Monate Zimmer für ukrainischen Mitarbeiter buchen, weil sie Personal aus ihrem ukrainischen in den rumänischen Betrieb verlegen", berichtet Călin Ile, Präsident des rumänischen Hotelverbandes FIHR.
Politik steht unter Druck
Die steigenden Preise für Baumaterialien setzen die Politik unter Druck, ebenfalls die Preise bei Ausschreibungen für Infrastrukturprojekte anzupassen. Zuletzt genehmigte die Regierung eine um 18 Prozent höhere Kalkulation der veranschlagten Baukosten, etwa für den Ausbau der Autobahnen. Investoren halten sich jedoch zurück, weil sie ein Verlustgeschäft fürchten. Je länger die Umsetzung der Projekte stockt, desto mehr riskiert die Regierung, dass sie die umfangreichen Fördermittel von der Europäischen Union nicht rechtzeitig umsetzen kann.
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