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Europa will unabhängig von russischem Öl werden
Die Europäische Union will den Import von russischem Öl verbieten. Deutsche Raffinerien müssen ihre Bezugsquellen diversifizieren. Russland sucht neue Abnehmer in Asien.
20.05.2022
Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin
Die Europäische Union (EU) will dem Kreml eine wichtige Einnahmequelle entziehen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen kündigte am 4. Mai 2022 das sechste Sanktionspaket gegen Russland an, das ein schrittweises Ölembargo enthält. Der Staatenverbund bezieht rund ein Drittel seines Öls aus Russland, meldet die Internationale Energieagentur (IEA). Seit Kriegsbeginn reduzierte die EU ihre Einfuhren aus Russland bereits um 20 Prozent. Mit dem Programm REPowerEU will sie unabhängig von russischem Öl und Gas werden. In die Diversifizierung der Bezugsquellen, den Ausbau grüner Energien und in Energiesparmaßnahmen fließen bis 2027 rund 210 Milliarden Euro.
Deutschland senkte seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine seine Abhängigkeit von russischem Öl von 35 auf 12 Prozent, gab Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bekannt. Die Bundesrepublik strebt einen gänzlichen Verzicht auf Öl und raffinierte Produkte aus Russland an, ergänzte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.
EU will auch Transport und Versicherung von russischem Öl untersagen
Das geplante Ölembargo sieht vor, den Import von Rohöl aus Russland innerhalb von sechs Monaten einzustellen. Nach acht Monaten sollen auch keine Ölprodukte mehr nach Europa kommen. Bislang steht ein einstimmiger Beschluss der EU-Mitgliedsstaaten jedoch aus. Vor allem Ungarn lehnt die Maßnahmen ab und fordert milliardenschwere Hilfen. Auch Bulgarien, die Slowakei und Tschechien hängen stark von Lieferungen über die Druschba-Pipeline ab. Für sie sollen die Übergangsfristen bis 2024 verlängert werden.
Die EU-Kommission will europäischen Firmen auch den Transport von russischem Öl per Tanker sowie die Erbringung technischer und finanzieller Dienstleistungen verbieten. Gegen das Transportverbot per Schiff äußern die Mittelmeeranrainer Griechenland, Zypern und Malta noch Vorbehalte. Sie fürchten Nachteile für ihre Handelsflotte. Griechische Reeder verfügen über die weltweit größte Flotte an Öltankern.
Das geplante Verbot, Öltransporte zu versichern, ist dagegen unumstritten und dürfte es Russland erschweren, Öl an alternative Abnehmer zu liefern. Kaum ein Staat erlaubt einem nicht versicherten Tankschiff die Ansteuerung seiner Häfen. Viele westliche Versicherungsgesellschaften haben ihren Sitz in der EU oder unterliegen europäischem Recht.
Aufwändige Umrüstung deutscher Raffinerien auf andere Ölsorten
Die Auswirkungen des EU-Ölembargos betreffen auch Deutschland. Die Raffinerien PCK in Schwedt und Leuna sind von Öllieferungen über die Druschba-Pipeline abhängig. Beide Raffinerien sind auf die Viskosität des russischen Öls der Sorte Urals aus den Feldern Westsibiriens ausgelegt. Eine Umrüstung auf andere Rohölsorten dauert mehrere Monate. Auch die Anlieferung über alternative Routen gestaltet sich aufwändiger. Von den Ostseehäfen in Rostock und Gdańsk soll Öl per Tanker angelandet und über Pipelines weitergepumpt werden.
Um Öl aus nichtrussischen Quellen verarbeiten zu können, müssen zudem die Eigentümer zustimmen. Die Raffinerie in Schwedt gehört zu 54 Prozent Rosneft Deutschland, einem Tochterunternehmen des russischen Ölkonzerns Rosneft. Sollte der Konzern die Verarbeitung von nichtrussischem Öl verweigern, will die Bundesregierung eine Treuhandverwaltung einsetzen. Der Bundestag verabschiedete am 12. Mai 2022 ein entsprechendes Gesetz. Der Eigentümer der Raffinerie in Leuna, der französische Mineralölkonzern Total, kündigte bereits an, ab 2023 kein russisches Erdöl mehr kaufen zu wollen.
Folgen des Embargos für Russland erst mittelfristig spürbar
Das europäische Importverbot soll Russlands Einnahmen aus dem Ölverkauf beschneiden. Öl und Gas machen rund 45 Prozent der Einnahmen im Staatshaushalt aus. Mehr als die Hälfte der russischen Energieexporterlöse kommen bisher aus Europa.
Russland zeigt sich von dem Ölembargo unbeeindruckt. Der aktuell hohe Weltmarktpreis gleicht das sinkende Exportvolumen vorerst aus. Jedoch meiden westliche Händler freiwillig russisches Öl. Die sinkende Nachfrage drückt den Preis auf dem Spotmarkt. Der Exportpreis für Öl der Sorte Urals sank im April auf etwa 80 US-Dollar (US$) pro Barrel und lag damit rund 25 Prozent unter dem Preis für die Nordseesorte Brent. Zudem ist absehbar, dass keine neuen langfristigen Lieferverträge mit Russland abgeschlossen werden. Mittelfristig müssen russische Ölkonzerne daher Rabatte gewähren, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben.
Infolge des Embargos dürfte die russische Ölproduktion allmählich sinken. Für das Jahr 2022 rechnet die russische Regierung im Vergleich zum Vorjahr mit einem Rückgang der Fördermenge um 17 Prozent auf 434 Millionen Tonnen. Das beschert dem Staatshaushalt weniger Einnahmen. Im April 2022 sank der Erlös aus der Steuer auf die Rohstoffgewinnung im Vergleich zum Vorjahresmonat um 37,4 Prozent auf rund 730 Milliarden Rubel (rund 11 Milliarden Euro), berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.
Moskau sucht alternative Abnehmer
Russland muss die entstehende Absatzlücke mit alternativen Abnehmern kompensieren und legt den Fokus dabei auf Staaten, die sich den westlichen Sanktionen nicht anschließen. Jedoch stellt der Öltransport eine große Herausforderung dar. Bislang fließt der Großteil des russischen Öls über Pipelines nach Europa. Für die Umlenkung dieser umfangreichen Mengen hin zu Absatzmärkten in Asien müsste erst eine neue Pipeline-Infrastruktur errichtet werden. Die Realisierung wird mehrere Jahre beanspruchen.
Auch auf dem Seeweg sind die Transportkapazitäten beschränkt. Zudem verlangen Länder wie Indien, das im April 2022 zum größten Abnehmer von Urals-Öl aufstieg, kräftige Rabatte von rund 35 US-Dollar pro Barrel. Auch China importiert derzeit nur wenig mehr russisches Öl. Wegen des Corona-Lockdowns in Shanghai stieg die Rohölimportmenge im April 2022 im Vergleich zum Vorjahresmonat nur leicht um 11 Prozent oder 175.000 Barrel pro Tag. Die Lieferungen nach Indien nahmen im gleichen Zeitraum dagegen um rund 30 Prozent zu.