Die ukrainische Metallurgie leidet stark unter den Folgen des Krieges. Einige Betriebe fahren die Produktion jedoch wieder hoch und optimieren ihre Exportlogistik.
Russland und die Ukraine waren vor Ausbruch des Krieges wichtige Lieferanten von Rohmaterial und Vorprodukten für Europas Stahlindustrie. Während Importe aus Russland sanktioniert werden, leiden ukrainische Hersteller unter zerstörten Produktionsanlagen, fehlenden Seetransporten und Personalmangel. Von Januar bis April 2022 betrug die Stahlproduktion laut Branchenportal UkrRudProm nur 3,9 Millionen Tonnen und lag damit um 46 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Werke in Mariupol waren Rückgrat der Metallindustrie
Das Stahlwerk Asowstal in Mariupol ist fast vollständig zerstört, eine Wiederaufnahme der Produktion ist vorerst nicht abzusehen. Ebenso mussten die Eisen- und Stahlwerke "Iljitsch" (Ilyich Steel) in der belagerten Stadt ihren Betrieb einstellen. Die beiden Fabriken sorgen in Friedenszeiten für 30 bis 40 Prozent der ukrainischen Metallurgieproduktion. Eigentümer ist die Unternehmensgruppe Metinvest des Milliardärs Rinat Achmetow.
Welche Bedeutung hat Asowstal für die Ukraine?Das schwer umkämpfte Fabrikgelände in Mariupol ist zu einem Symbol des ukrainischen Widerstands geworden. Es hat laut Branchendienst GMK Center aber auch große Bedeutung für die Wirtschaft des Landes. Seine Stahlprodukte kommen beim Schiffbau, beim Kraftwerks- und Brückenbau sowie bei der Verlegung von Pipelines und Eisenbahngleisen zum Einsatz.
Das Werk wurde 1933 gegründet. Es produzierte 2021 rund 4,3 Millionen Tonnen Stahl. Das ist ein Fünftel der landesweiten Produktion.
Asowstal sorgte für 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und für 3,8 Prozent aller ukrainischen Exporte. Fast ein Drittel des EU-Bedarfs an Eisenbrammen kamen vor dem Krieg aus Mariupol. Die Metinvest-Werke in Italien und im Vereinigten Königreich hängen komplett von Asowstal-Vorprodukten ab.
In der Ukraine selbst ist das Stahlwerk der einzige Lieferant von Breitspurgleisen und Verbindungselementen für Schienen. Diese Produkte werden derzeit besonders gebraucht, um die im Krieg zerstörte Infrastruktur wiederherzustellen. Auf dem 11 Quadratkilometer großen Fabrikgelände hat Eigentümer Metinvest seit 2013 mehr als 1 Milliarde US-Dollar investiert. |
Zu Metinvest gehört Saporischstal in Saporischschja, das Anfang März 2022 ebenfalls heruntergefahren wurde. Für das 1. Quartal 2022 beziffert Metinvest den Rückgang der Metallproduktion mit 30 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Dem Konzern fehlen die aus den Kriegsgebieten geflüchteten Menschen. Die Gruppe hat zurzeit 4.000 offene Stellen.
Produktion fährt langsam wieder hoch
Bereits im April fuhr Saporischstal jedoch zwei Hochöfen wieder hoch und nahm die Gusseisenschmelze auf. Das Unternehmen will die Produktion umstellen und mehr Metallbleche für die Bauwirtschaft herstellen.
Eines der wenigen großen Stahlwerke, das die Produktion weitgehend stabil hält, ist Kametstal (frühere Bezeichnung DMK) in Kamjanske, das ebenfalls zu Metinvest gehört. Anfang Mai 2022 sollen die Anlagen laut der Geschäftsführung komplett ausgelastet gewesen sein. Einer der drei Hochöfen werde planmäßig gewartet. Die Fabrik liegt wie das Nikopol-Werk für Ferrolegierungen im Dnipropetrowsker Gebiet. Auch dort wird weiter produziert.
Der globale Gigant ArcelorMittal betreibt in Krywyj Rih das Stahlwerk Kryworischstal. Am 4. März 2022 fuhr das Unternehmen kriegsbedingt die Stahlproduktion herunter und stoppte die Hochöfen. Einer davon ist seit 11. April wieder in Betrieb. Die Bauarbeiten an der 2020 begonnenen Pelletierungsanlage wurden vorerst eingestellt. Das Unternehmen hält aber an seinen Plänen fest, den Hochofen Nummer 9 und die Lagerung von Erzabfällen für 420 Millionen US-Dollar (US$) zu modernisieren.
Europa braucht ukrainische Eisenbahnräder
Die ukrainische Interpipe ist einer der größten Eisenbahnradhersteller der Welt. Die Europäische Union (EU) importiert 70 Prozent ihres Bedarfs an Rädern für Güterwaggons aus der Ukraine, berichtet der Branchendienst GMK Center. Wegen Personal- und Materialmangels musste das Unternehmen im März 2022 seine Produktion teilweise stoppen. Bei den verbliebenen Anlagen wurde das Sortiment umgestellt, beispielsweise auf die Fertigung von Panzersperren.
Anfang April fuhr Interpipe in den Werken Dnipro, Nikopol und Nowomoskowsk die Produktion von Radsätzen wieder hoch. Der Großteil soll nach Europa exportiert werden. Allerdings sind die Transportkapazitäten auf der Straße begrenzt und die Produktionsvolumina daher noch gering.
Das auf rostfreie Rohre spezialisierte Unternehmen Centravis in Nikopol nahm Ende April 2022 die Produktion von Fahrzeugkomponenten wieder auf.
Blockierte Seehäfen verhindern höheres Exportvolumen
Neben Zerstörungen durch Artillerie- und Raketenbeschuss sorgt die Logistik für Probleme bei der ukrainischen Metallurgiebranche. Da Russland alle Seehäfen blockiert, ist der wichtigste Transportweg zu den Exportmärkten versperrt. Die Eisenbahn kann nur teilweise einspringen, weil ihre Kapazitäten für Geflüchtete und für Agrargüter benötigt werden. Einige Metallurgiebetriebe fuhren Anlagen herunter, weil sie ihre Waren nicht mehr abtransportieren konnten. Das Nickelkombinat Pobuske im Gebiet Kirowohrad teilte mit, wegen der Hafenblockade nur mit 50 Prozent Auslastung zu arbeiten.
Vor dem Krieg ging die Hälfte der exportierten Walzwerkprodukte in die EU und andere europäische Länder, weitere 10 Prozent wurden nach Nordamerika geliefert. Bei Gusseisen nahmen die USA die Hälfte der ukrainischen Ausfuhren ab. Wichtige Kunden sind außerdem die Türkei und China.
Zollfreie Einfuhr in die EU und USA
Am 9. Mai 2022 kündigten die USA an, die Einfuhrzölle in Höhe von 25 Prozent auf ukrainischen Stahl für ein Jahr lang aufzuheben. Im Jahr 2021 kauften die Vereinigten Staaten in der Ukraine Eisen und Stahl für mehr als 1 Milliarde US$.
Auch die EU hat angekündigt, alle Zölle und Quoten für ukrainische Erzeugnisse ein Jahr lang abzuschaffen.
Ukrainische Experten gehen davon aus, dass die einheimische Metallurgie nach Kriegsende Russlands Marktanteile in Europa und Nordamerika übernehmen könnte.
Fakten & Zahlen zur ukrainischen MetallurgiebrancheDie Metallurgiebranche ist ein wichtiger Wirtschaftszweig der Ukraine.
Mehr als 1 Million Menschen sind in der Metallurgie beschäftigt.
Im Jahr 2021 produzierte sie: - 21,1 Millionen Tonnen Gusseisen,
- 21,3 Millionen Tonnen Stahl und
- 19 Millionen Tonnen Walzerzeugnisse.
Die Exporterlöse betrugen 14 Milliarden US$. Über 20 Prozent der Ausfuhren entfielen auf Schwarzmetalle.
Die Stahlwerke der EU bezogen 2021 fast ein Fünftel ihres Bedarfs an Eisenerzpellets aus der Ukraine (19 Prozent). Selbst China ist bei diesem Vorprodukt zu 18 Prozent von ukrainischen Lieferungen abhängig, berichtet das Kiewer Marktforschungsinstitut GMK Center. Die Pellets werden bei der Herstellung von Roheisen verwendet. |
Wichtige Metallurgiewerke der Ukraine, die aktuell weiter produzieren
Förderung von Eisenerz stabil
Voraussetzung für das Hochfahren der Stahlindustrie ist die Belieferung mit Eisenerz. Von den zehn großen Förder- und Erzaufbereitungsanlagen der Ukraine befinden sich acht im Gebiet Dnipropetrowsk sowie jeweils eine in den Gebieten Poltawa und Saporischschja. Auch diese Betriebe sind von Kampfhandlungen bedroht.
Laut verschiedenen Angaben nutzen sie zwischen 30 und 75 Prozent ihrer Kapazitäten. Die Erzfördersparte von ArcelorMittal im Gebiet Krywyj Rih erreichte im April 2022 einen Ausstoß von 500.000 Tonnen Eisenkonzentrat, nach 320.000 Tonnen im März. Der Export funktioniert wieder besser, nachdem ein Umschlagpunkt für die Bahnverladung saniert wurde.
Dagegen ist das Eisenerzkombinat KZRK in Krywyj Rih von den Zerstörungen bei Asowstal stark betroffen. Fast 60 Prozent seiner Produktion gingen vor dem Krieg in die Donezker Region. Das Unternehmen will versuchen, die Erzqualität zu verbessern, um so neue Kunden in der EU zu finden.
Von Gerit Schulze
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Berlin