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"Gerichte funktionieren" – Schuldeneintreibung in Saudi-Arabien
Saudi-Arabien lockt mit großen Projekten. Doch immer mehr Firmen bleiben auf offenen Rechnungen sitzen. Ein Experte erklärt, wie Gläubiger bei Außenständen ihr Geld bekommen.
08.04.2025
Von Ulrich Binkert | Bonn

Recovery Advisers holt für seine Kunden finanzielle Außenstände herein. Schwerpunkt des Unternehmens mit Hauptsitz in Dubai und einer Außenstelle auch in Deutschland ist der Nahe Osten, gefolgt von Asien-Pazifik und Subsahara-Afrika. Die größte Niederlassung nach Dubai befindet sich in Kairo, gefolgt von Riad. Die neuen großzügigen Räumlichkeiten in der saudi-arabischen Hauptstadt bieten mehr Platz als für die aktuell vier Mitarbeitenden. In den nächsten Monaten sollen weitere zwei bis drei Kollegen hinzukommen. Abdullah Alghusn, Landesgeschäftsführer und Rechtsanwalt, erklärt im Interview die Hintergründe.
Herr Alghusn, warum expandieren Sie so stark in Saudi-Arabien?
Weil es viele Fälle gibt. Seitdem der Staat seinen riesigen Entwicklungsplan "Vision 2030" verkündet hat, sind die Projekte im Land noch gigantischer geworden. Dazu gibt es mehr Lieferungen ausländischer Firmen. Damit steigt naturgemäß auch die Anzahl der Außenstände aus solchen Geschäften.
Worum geht es bei den Außenständen?
Der typische Streitfall dreht sich um eine Lieferung im Wert von 1 Million US-Dollar (US$), oft auch um Summen bis zu 3 Millionen US$. Geliefert wurden dafür häufig Rohstoffe oder andere homogene Waren wie beispielsweise Stahl. Einer der größten Claims hier in Saudi-Arabien war allerdings eine Lieferung Busse für 22 Millionen US$ während der Coronapandemie. Der Abnehmer wollte damit Pilger zur Hadsch in Mekka befördern. Nun kamen kaum noch Pilger. Dem Busunternehmen fehlten zwei Jahre lang die Einnahmen und es konnte nicht zahlen.
Wer sind Ihre Kunden?
Zu über 70 Prozent sind das staatliche Exportkreditversicherungen aus Industrieländern wie Euler Hermes in Deutschland. Der Rest sind Banken sowie seltener die Lieferanten selbst. Zugrunde liegt aber fast immer ein Liefergeschäft: Eine Firma im Ausland wurde nicht oder nicht vollständig von ihrem Kunden in Saudi-Arabien bezahlt.
Wie läuft ein Fall mit Forderungsausfalldeckung üblicherweise ab?
Eine Firma zum Beispiel in Deutschland liefert eine Maschine nach Saudi-Arabien. Ihr Geld erhält sie von ihrer Bank, die hierfür eine Deckung von Euler Hermes bekommt. Wenn der Abnehmer der Maschine die Rechnung nicht begleicht, zahlt Euler Hermes an die Bank – und versucht, den Ausfall über uns zurückzuholen. Das ist das Grundmodell, bei dem es allerdings viele Varianten gibt.
Bekommen Sie das Geld normalerweise?
Bei unseren bisher rund 300 Fällen in Saudi-Arabien haben wir tatsächlich oft die volle Summe wieder hereingeholt. Manchmal ist das aber unrealistisch, weil der Schuldner in zu großen finanziellen Schwierigkeiten steckt. Dann streben wir einen Vergleich an, bei dem wir oft noch 70 Prozent und mehr bekommen. Wir erarbeiten mit dem Schuldner einen Rückzahlungsplan und in den meisten Fällen zahlt er dann seine Außenstände in regelmäßigen Raten zurück. Nur in wenigen Fällen geht nichts.
Gehen Sie dann vor Gericht?
Ja, aber nur, wenn es nicht mehr anders geht und wir gute Chancen auf Erfolg haben. Wir gingen hier noch keine zwanzigmal vor Gericht.
Wie läuft das mit den Gerichten in Saudi-Arabien?
Ziemlich gut. In den letzten fünf Jahren gab es einen einzigen Fall, den wir verloren haben. Schon daran sieht man, dass die Gerichte nicht die einheimische Partei bevorzugen. Die Verfahren gehen schnell. Fünf bis sechs Monate nach Einreichen eines Falls liegt eine Entscheidung vor. Vor einer Gerichtsreform 2020 waren es dagegen noch zwei bis drei Jahre. Der Staat hat den Gerichten enge zeitliche Vorgaben gesetzt.
Sind die Gerichte nicht überlastet?
Die Behörden haben für entsprechende Schulungen der Richter gesorgt. Zudem haben sie an anderer Stelle Druck aus dem System genommen: Ein Rechtsstreit muss nun innerhalb von fünf Jahren vor Gericht eingebracht werden. Davor gab es keine zeitliche Begrenzung. Überdies müssen Fälle mit einem Streitwert unter 1 Million Saudi-Riyal, also rund 250.000 Euro, vor eine staatliche Schiedsstelle (Reconciliation Center). Das alles reduziert die Zahl der Fälle.
Mit welchen Schuldnern haben Sie es in Saudi-Arabien zu tun?
Zu 97 Prozent sind das private Firmen. Dabei sind mir die öffentlichen Schuldner fast noch lieber: Ich weiß recht gut, wie ich sie zu fassen bekomme. Sie wollen keine Scherereien und vor allem nicht vor Gericht erscheinen. Es lässt sich gut abwägen, ob und wie solche Fälle zu eskalieren sind. Der Grund für den Zahlungsausfall liegt dann sehr häufig "nur" in der Bürokratie. Typischerweise haben sich Abläufe zwischen der Staatsfirma und einem Ministerium oder einer anderen Behörde verhakt.
Gibt es viele Betrüger unter den Schuldnern?
Nein, gar nicht. Das ist anders als in anderen Ländern, wo die Einstiegshürden für die Eröffnung eines Geschäfts sehr niedrig sind. Dort sind viele unseriöse Firmen unterwegs, die dann zum Beispiel einfach verschwinden.
Haben Sie in Ihrem Geschäft Konkurrenten?
Es gibt Anbieter, die wie Inkassofirmen unterwegs sind, gerade in Dubai. Zumindest in Saudi-Arabien kenne ich aber niemanden, der wie wir als Anbieter juristischer Dienstleistungen arbeitet, der Schuldner vor Ort kontaktieren und mit ihnen kooperieren kann. Das ist genau das, was unsere Auftraggeber in Europa und anderswo an uns schätzen. Und unser Netzwerk. Gestern bekam ich einen neuen Fall auf den Tisch: Unsere Kollegin auf den Philippinen bat mich, mich um die Außenstände eines chinesischen Unternehmens bei einem Kunden in Saudi-Arabien zu kümmern. Dem werde ich demnächst einen Besuch abstatten.
Haben Sie auch eine Botschaft an Ihre Auftraggeber?
Ganz wichtig ist eine vollständige Dokumentation. In einem Fall war der – öffentliche – Schuldner hier zu Beginn eigentlich sehr kooperativ, verwies dann aber auf Lücken in den Unterlagen. Wir brauchten acht Monate, um diese Papiere von unserem Auftraggeber zu bekommen. Generell raten wir jedoch: Fordert euer Recht ein, es lohnt sich. Aber bleibt dabei freundlich und lasst den Gegner sein Gesicht wahren.