Rechtsbericht Schweiz Internationale Verträge
Verhandlungen zwischen Schweiz und Europäischer Union erfolgreich
Die Schweiz und die EU regeln ihre Beziehungen neu. Allerdings wird bis zum Inkrafttreten der neuen Regeln noch einige Zeit vergehen. Bis dahin gelten bestimmte Übergangsmaßnahmen.
23.12.2024
Von Karl Martin Fischer | Bonn
Die Verhandlungen wurden erforderlich, nachdem die Schweiz im Jahr 2021 den Ansatz eines von der Europäischen Union favorisierten „Rahmenabkommens“ verworfen hatte. Dieser Ansatz hätte ein Abkommen hervorgebracht, in dem allgemeine Regeln, die für eine Vielzahl von Abkommen gelten, „vor die Klammer gezogen“ worden wären. Dies hätte eine erhebliche verwaltungstechnische Erleichterung gebracht. Mit dem nun gefundenen Kompromiss gibt es eine sogenannte Paketlösung, also verschiedene Abkommen mit eigenen institutionellen Regeln. Allerdings gibt es einige gemeinsame Regelungen für diejenigen Abkommen, die den Binnenmarkt betreffen.
Dynamische Rechtsübernahme und Beihilferecht kommen
Derzeit nimmt die Schweiz in fünf Bereichen am EU-Binnenmarkt teil: Personenfreizügigkeit, Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft und Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Künftig werden zwei weitere Bereiche dazu kommen, und zwar Strom und Lebensmittelsicherheit. In diesen Bereichen wird es künftig eine dynamische Rechtsübernahme durch die Schweiz geben. Das bedeutet, dass geänderte europäische Rechtsnormen grundsätzlich durch die Schweiz übernommen werden müssen. Zum Ausgleich erhält die Schweiz künftig ein Mitspracherecht bei der Ausarbeitung von EU-Rechtsakten, die sie im Rahmen der Binnenmarktabkommen übernehmen muss (decision shaping). Zudem kann die Schweiz die Übernahme geänderter EU-Vorschriften verweigern. In einem solchen Fall wäre allerdings die EU berechtigt, verhältnismäßige Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen.
Die beihilferechtlichen Regelungen der EU gelten künftig für die Bereiche Luftverkehr, Landverkehr und Strom. Das bedeutet, dass die Schweiz sich künftig keine Wettbewerbsvorteile durch staatliche Subventionierung dieser Branchen gegenüber Wettbewerbern aus der EU verschaffen darf, sodass im Binnenmarkt ein „level playing field“ gewährleistet ist.
Die Personenfreizügigkeit bleibt
Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz vom 21. Juni 1999 gilt seit dem 1. Juni 2002. Es dürfte im Wesentlichen unverändert bleiben, allerdings wird die Schweiz in dieser Materie künftig das europäische Recht dynamisch (siehe oben) übernehmen. Gleichwohl wird es Sonderregelungen geben, insbesondere für strafrechtlich bedingte Ausweisungen. Außerdem wird das im EU-Recht geltende Daueraufenthaltsrecht nach fünfjährigem Aufenthalt in der Schweiz nur Erwerbstätigen offenstehen. Perioden von vollständiger Sozialhilfeabhängigkeit über sechs Monate zählen für die Berechnung der Fünfjahresfrist nicht. Ferner kann die Schweiz den Aufenthalt von erwerbslosen Personen beenden, wenn diese sich nicht um ihre Erwerbsintegration bemühen und nicht mit der öffentlichen Arbeitsvermittlung kooperieren, um eine Stelle zu finden.
Die „Schutzklausel“ des Artikel 14 Absatz 2 des Freizügigkeitsabkommens wird konkretisiert. Wenn sich die Parteien nicht über Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen (insbesondere: „schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Probleme“) einigen können, wird der Gang zum Schiedsgericht möglich sein. Wenn Maßnahmen einseitig ergriffen werden, kann die andere Seite verhältnismäßige Ausgleichsmaßnahmen ergreifen.
Beschränkungen bei Verkehrsdienstleistungen gehen
Das bereits existierende Abkommen über Landverkehrsdienstleistungen wird internationale Strecken zwischen EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz nach wie vor ermöglichen, allerdings künftig mit der Erweiterung, dass auch schweizerische Passagiere innerhalb der Schweiz ein- und aussteigen können. Die Route an sich muss allerdings international sein, also beispielsweise Stuttgart – Basel - Zürich.
Im Luftverkehr geht die Liberalisierung sogar noch weiter. Hier sollen künftig schweizerische Fluglinien auch beispielsweise innerdeutsche oder innerfranzösische Flüge anbieten dürfen – und umgekehrt.
Es wird einige Übergangsmaßnahmen geben
Der Abschluss der Verhandlungen ist der materielle Abschluss. Formell wird der Abschluss voraussichtlich im Frühjahr 2025 durch die Paraphierung der endgültigen Texte durch die Chefunterhändler erfolgen. Danach beginnt der Ratifizierungsprozess.
In der Zwischenzeit wird es in einigen Sachbereichen Übergangsregelungen geben. Insbesondere für die Assoziierung der Schweiz mit den Programmen „Horizont Europa“, „Digitales Europa“ und „Euratom“ für Forschung und Ausbildung ist - vorbehaltlich der Unterzeichnung der Vereinbarung über die Programme der Union – der Start für Januar 2025 vorgesehen. Somit können sich Schweizer Antragsteller bereits 2025 für Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen im Rahmen dieser Programme bewerben. Eine Verfallsklausel macht deutlich, dass die Assoziierung endet, wenn das Paket nicht ratifiziert wird.
Weitere Übergangsregelungen gelten zur Sicherstellung eines sicheren und reibungslosen Betriebs der Stromnetze, für gemeinsame Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung bei schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren und beim Landverkehr, wo bereits geltende Übergangsmaßnahmen verlängert werden, so dass sich die Schweiz auch nach 2025 an der Eisenbahnagentur der EU beteiligen kann.
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