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In der Slowakei schlummern viele ökologische Zeitbomben
In der Slowakei gibt es noch umfassende Umweltaltlasten. Nur langsam kommt die Sanierung dieser ökologischen Zeitbomben voran. EU-Mittel und privates Kapital sollen das ändern.
25.04.2024
Von Gerit Schulze | Bratislava
Das industrielle Erbe hat in der Slowakei viele Spuren hinterlassen. Selbst Alfred Nobel gehört zu den Verursachern. Er gründete 1873 im heutigen Bratislava eine Sprengstofffabrik, die nun eine der größten Umweltaltlasten der slowakischen Hauptstadt darstellt. Das Gelände im Stadtteil Nové Mesto gehört dem Chemiebetrieb Istrochem, einer Tochtergesellschaft der tschechischen Agrofert Group. Nach dem Willen der Stadtverwaltung soll das Industriegebiet zu einem neuen urbanen Zentrum werden. Doch vorher müssen dort die Altlasten verschwinden.
Untersuchungen bestätigten, dass auf dem 150 Hektar großen Areal Substanzen wie Atrazin, Arsen, Blei und Benzol den Boden und das Grundwasser belasten. Laut Umweltschützern sei es während der Produktion immer wieder zu Leckagen gekommen. Einem Bericht der Zeitung The Slovak Spectator zufolge würde die Beseitigung der Umweltschäden 350 Millionen Euro kosten.
Neues Gesetz entlastet Grundstücksbesitzer
Nicht alle Grundstücke sind so lukrativ und lassen sich nach der Sanierung gut vermarkten. Die neue slowakische Regierung unter Premier Robert Fico hat deshalb als eine ihrer ersten Amtshandlungen das Gesetz 409/2011 über die Altlasten geändert. Die Anpassungen betreffen Altlasten auf nichtstaatlichen Grundstücken, die mit öffentlichen Mitteln saniert wurden. Bislang ließ sich der Staat die Ausgaben dafür von den Eigentümern erstatten. Doch dadurch drohten Rückzahlungsforderungen der EU für bereitgestellte Fördermittel, erklärte das Umweltministerium. Außerdem seien die meisten Umweltbelastungen in der Zeit des Sozialismus entstanden, als der Staat das Land beschlagnahmte und erst nach 1989 an seine ursprünglichen Eigentümer zurückgab, erklärte Umweltminister Tomáš Taraba.
Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass von dem Gesetz auch Unternehmer profitieren, die Grundstücke mit Umweltbelastungen nach der Privatisierung zu günstigen Preisen erworben hatten. Ihre Immobilien würden auf Staatskosten an Wert gewinnen. Ein Beispiel ist das Istrochem-Gelände, für das Projektentwickler bereits millionenschwere Baupläne haben, sobald die Altlasten verschwunden sind.
Altlasten auch mitten in Bratislava
Die weitläufige Hauptstadt hat noch viele andere Standorte mit starken Umweltschäden. Das offizielle Register der kontaminierten Flächen in der Slowakei listet 50 Einträge für die Großstadt auf. Das Metropolitan Institute of Bratislava (MIB) identifizierte 113 industrielle Brachflächen auf 580 Hektar. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das ehemalige Preßburg ein Zentrum des verarbeitenden Gewerbes. Unweit des heutigen Wolkenkratzerbezirks Nivy stand die Apollo-Raffinerie. Bei ihrer Bombardierung im Zweiten Weltkrieg sickerten Tausende Tonnen Öl ins Erdreich.
Altlasten spielen auch beim neuen Bauprojekt "Downtown Yards" des Projektentwicklers J&T Real Estate eine Rolle. Es entsteht bis 2028 am Donauufer auf dem Gelände des früheren Kunststoffherstellers Gumon. Laut Investor verteuert die Bodensanierung den Bau um bis zu 15 Prozent.
Umweltschäden über das ganze Land verteilt
Doch Bratislava ist keine Ausnahme. Das erwähnte Altlastenregister umfasst fast 1.200 Standorte im ganzen Land. Besonders viele Umweltschäden verzeichnet die Datenbank in den Bezirken Prešov, Banská Bystrica und Nitra. Angesichts der guten Geschäftsaussichten haben sich 13 slowakische Dienstleister für Altlastensanierungen im Verband Envisan zusammengeschlossen.
Region (Bezirk) | Bestätigte Altlasten | Verdachtsflächen | Summe |
---|---|---|---|
Insgesamt | 335 | 851 | 1.186 |
Prešov | 40 | 186 | 226 |
Banská Bystrica | 51 | 123 | 174 |
Nitra | 43 | 117 | 160 |
Bratislava | 44 | 80 | 124 |
Žilina | 36 | 107 | 143 |
Košice | 43 | 84 | 127 |
Trnava | 40 | 86 | 126 |
Trenčín | 38 | 68 | 106 |
Über die Hälfte der Altlastenverdachtsfälle sind Deponien, die zu großem Teil mit Siedlungsabfällen belastet sind. Jede achte Altlast betrifft Rückstände der Landwirtschaft, fast jede zehnte Kontamination ist das Überbleibsel einer Industrieproduktion. Mehrere Dutzend Standorte entfallen auf alte Berg- und Tagebaue sowie auf Warenlager.
Dauersanierung am Kernkraftwerk
Das Kernkraftwerk Bohunice A1 bei Trnava war der erste Atomreaktor der Tschechoslowakei. Nach mehreren Havariefällen ging die Anlage 1979 außer Betrieb. Die Kernbrennstäbe wurden entfernt, doch das Reaktorgebäude stellt immer noch eine Altlast dar. Die Arbeiten zur vollständigen Räumung des Geländes sollen erst 2033 abgeschlossen sein.
Brüssel beteiligt sich an der Finanzierung
Für die Sanierung der Altlasten kann Bratislava vor allem auf EU-Fördertöpfe zurückgreifen. In der aktuellen Förderperiode (2021 bis 2027) sind im Operationellen Programm "Slovensko" 281 Millionen Euro zur Untersuchung und Sanierung von ökologischen Altlasten vorgesehen. Davon kommen 239 Millionen Euro direkt von der EU, den Rest steuert der Staatshaushalt bei. Die Gesamtkosten für die Altlastensanierung in der Slowakei schätzen Experten bis 2027 auf 1,14 Milliarden Euro. Woher die restlichen Mittel kommen sollen, ist bislang unklar.
Das slowakische Umweltministerium hat inzwischen drei Aufrufe für Projektanträge zur Altlastensanierung veröffentlicht:
- Aufruf vom 23. Oktober 2023 (Umfang: 187,7 Millionen Euro)
- Aufruf vom 19. Februar 2024 (21,1 Millionen Euro, vor allem für Vorhaben, die bereits in der alten EU-Förderperiode 2014 bis 2020 begannen und nun in die nächste Phase treten)
- Aufruf vom 11. März 2024 (31,3 Millionen Euro, vor allem für Risikoanalysen und Monitoringsysteme)
Geschäftsreise für deutsche Unternehmen
Vom 24. bis 28. Juni 2024 organisieren die AHK Slowakei und Commit Project Partners eine Geschäftsanbahnungsreise zum Thema Altlastensanierung. Sie wird im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz durchgeführt und richtet sich an deutsche Unternehmen, die Produkte, Anlagen und Dienstleistungen für die Altlastensanierung anbieten.
Keine Entsorgungskapazitäten für Giftfässer
Eines der derzeit größten Sanierungsprojekte ist der Chemiebetrieb Chemko im ostslowakischen Strážske. Dort wurden zu sozialistischen Zeiten 21.500 Tonnen Polychlorierte Biphenyle (PCB) produziert. Ein Teil dieser giftigen Chlorverbindungen war in umliegende Gewässer und Böden gelangt. Seit 2021 laufen die Sanierungsarbeiten. Derzeit bereitet das slowakische Umweltministerium eine neue internationale Ausschreibung zur Beseitigung von 150 Tonnen PCB vor. Die Chemikalien lagern in Behältern, die fachgerecht entsorgt werden müssen.
In einer zweiten Runde, die später ausgeschrieben wird, sollen weitere 5.000 Fässer mit PCB dekontaminiert werden. Wie die Zeitung The Slovak Spectator berichtete, gibt es in der Slowakei nicht ausreichend Kapazitäten für die Entsorgung solcher hochgiftigen Abfälle. Laut Abfallverband ZOP SR müssen deshalb jährlich 60.000 Tonnen toxischer Gefahrenstoffe exportiert werden.
Projektbezeichnung | Investition in Mio. Euro | Projektstand / Projektträger |
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Sanierung eines Eisenbahndepots in Brezno und der ehemaligen Fabrik Calex in Zlaté Moravce | 7,4 | Baubeginn 2018 / Umweltministerium |
Sanierung von drei Eisenbahndepots in Nové Zámky, Komárno und Štúrovo | 6,2 | Baubeginn 2017 / Umweltministerium |
Sanierung von drei Eisenbahndepots in Vrútky, Čadca und Kraľovany | 5,7 | Baubeginn 2017 / Umweltministerium |
Sanierung von drei Eisenbahndepots in Prievidza, Púchov und Leopoldov | 5,7 | Baubeginn 2017 / Umweltministerium |
Sanierung unterirdischer Treibstoffbehälter und -leitungen in Trstená, ehemaliges Treibstofflager Hámričky | 6,3 | Baubeginn 2020 / Wirtschaftsministerium |
Sanierung der ehemaligen Kaserne in Kežmarok sowie von zwei Mülldeponien in Zlaté Klasy und Čierne Kľačany | 5,5 | Baubeginn 2020 / Umweltministerium |
Sanierung von zwei Eisenbahndepots in Spišská Nová Ves und Prešov | 4,8 | Baubeginn 2018 / Umweltministerium |