Wirtschaftsumfeld | Slowenien | Flutkatastrophe
Slowenien beziffert Flutschäden auf 10 Milliarden Euro
Der Wiederaufbau in Slowenien wird teuer und langwierig. Höhere Unternehmenssteuern stoßen indes auf Kritik.
21.11.2023
Von Kirsten Grieß | Budapest
Im August 2023 wurde Slowenien von der schwersten Unwetterkatastrophe seit seiner Unabhängigkeit getroffen. Nach enormen Niederschlägen traten gleich mehrere Flüsse über ihre Ufer und überfluteten rund zwei Drittel des Landes. Sechs Menschen kamen ums Leben, 120 Häuser wurden komplett zerstört, Hunderte weitere Gebäude und weite Teile der Infrastruktur stark beschädigt. Überschwemmungen und Erdrutsche trafen auch zahlreiche Unternehmen. Mitunter führte das zu längeren Produktionsausfällen, die selbst in Deutschland zu spüren waren.
Die slowenische Regierung veranlasste umgehend erste Schritte zur Bewältigung der Flutschäden. Hilfsorganisationen erhielten bereits einen Tag nach dem Unwetter Mittel in Höhe von 10 Millionen Euro, Städten und Gemeinden wurden 100 Millionen Euro Direkthilfe zugesagt. Weitere 400 Millionen Euro versprach EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus dem EU-Solidaritätsfonds. Die konkreten Einzelmaßnahmen zur Beseitigung der Flutschäden und zur Unterstützung der Betroffenen regelt ein Gesetz, das Ende August vom slowenischen Parlament verabschiedet wurde. Der Gesetzgeber richtete zudem eine eigene Regierungsstelle für den Wiederaufbau ein.
Umfassendes Hilfspaket für den Wiederaufbau
In weniger als einem Monat legte die Regierung mit dem sogenannten Interventionsgesetz ein komplexes Regelwerk an Hilfsmaßnahmen für Privathaushalte, Kommunen, Wirtschaft und Landwirtschaft vor. Es umfasst Gebührenbefreiungen, Steuererleichterungen und die Lockerung arbeitsrechtlicher Regelungen. Außerdem wurde ein Katalog an Präventionsmaßnahmen verabschiedet, die zeitnah realisiert werden sollen. Dazu zählen neben gezielten Investitionen in den Infrastrukturbau auch ein staatlicher Wiederaufbaufonds, finanziert aus laufenden Haushalts- und EU-Mitteln sowie Geldern aus Sondersteuern und -abgaben.
Auszug aus dem Gesetz über Interventionsmaßnahmen zur Beseitigung der Folgen von Überschwemmungen und Erdrutschen vom August 2023:
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Ende Oktober wurde das Gesetz novelliert und der ursprünglich festgelegte Solidaritätsbeitrag für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gestrichen. Die Finanzierung des Wiederaufbaus soll künftig in einem separaten Gesetz geregelt werden, das für Ende November erwartet wird. Die angekündigten Regelungen werden bereits breit diskutiert. So sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Körperschaftsteuer in den Jahren 2024 bis 2028 von 19 Prozent auf 22 Prozent steigt. Banken müssen für die Jahre 2023 bis 2027 eine Steuer auf ihre Bilanzsumme von 0,2 Prozent abführen. Der slowenische Finanzrat kritisiert die Steuererhöhungen, die Wirtschaft werde zusätzlich belastet.
EU-Gelder können umgewidmet werden
Ebenfalls im Oktober übermittelte die slowenische Regierung ihren Antrag auf die zugesagten Mittel aus dem EU-Solidaritätsfonds nach Brüssel. Ein formales Kriterium für die Freigabe ist eine möglichst genaue Schätzung der entstandenen Schäden und Wiederaufbaukosten. Die gemeldete Schadenssumme liegt bei knapp 10 Milliarden Euro. Das sind mehr als 15 Prozent des prognostizierten Bruttoinlandsprodukts für 2023. Die Regierung stellte bereits 520 Millionen Euro durch eine Umschichtung im aktuellen Haushalt bereit. Eine Vorauszahlung von 100 Millionen Euro aus dem Solidaritätsfonds wird zeitnah erwartet. Insgesamt können laut slowenischem Finanzrat Wiederaufbaukosten von bis zu 1,8 Milliarden Euro über EU-Mittel abgedeckt werden. Dem Änderungsantrag für den Mittelverwendungsplan des EU-Wiederaufbaufonds stimmte Brüssel bereits zu, für den Kohäsionsfonds steht die Anpassung noch aus.
Maschinen und Ausrüstungen müssen neu angeschafft werden
Für die Wirtschaft berechnete die slowenische Regierung, dass der Wiederaufbau der Betriebsgebäude mehr als 500 Millionen Euro kosten wird. Rund 350 Millionen Euro fallen für die Reparatur oder Neuanschaffung von Maschinen an. Gelder aus dem Solidaritätsfonds dürfen dafür nicht eingesetzt werden, andere EU-Mittel hingegen schon. Einen Teil der Wiederaufbaukosten der Privatwirtschaft decken Versicherungsprämien ab. Auch staatliche Direkthilfen fließen. Bis Anfang November gingen rund 32 Millionen Euro an Unternehmen und Betriebe. Zur Beseitigung der Flutschäden stehen darüber hinaus vergünstigte Kredite zur Verfügung. Bis jetzt wurden über zwei Darlehensprogramme 40 Millionen Euro bereitgestellt. Antragsberechtigt sind kleine und mittlere Unternehmen, die maximale Kredithöhe beträgt 100.000 Euro.
Wiederaufbau hat Priorität vor anderen Investitionen
Die Aufbauarbeiten werden sich voraussichtlich mehrere Jahre hinziehen und bergen vielfach die Chance, die Infrastruktur nachhaltig zu modernisieren. Laut Regierung hat aber der schnelle Wiederaufbau Priorität – auch vor bereits geplanten Investitionen in den grünen Umbau der Wirtschaft. Die zu erwartenden Bau- und Beschaffungsaktivitäten werden gleichwohl starke wirtschaftliche Impulse setzen. Auch für deutsche Unternehmen bietet der Wiederaufbau Geschäftsmöglichkeiten. Für Risiken sorgt allerdings der massive Anstieg der Staatsausgaben. Die Gegenfinanzierung über höhere Steuereinnahmen erzeugt schon jetzt Unmut unter Unternehmen und könnte der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes langfristig schaden.