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Taiwans Firmen agieren in China zurückhaltender
Taiwanische Firmen verfügen über zahlreiche Fabriken in China. Künftig könnten die Aktivitäten im Reich der Mitte jedoch nachlassen.
16.09.2022
Von Alexander Hirschle | Taipei
Fast 30 Prozent der taiwanischen Unternehmen mit Fabriken in China planen ihre Aktivitäten dort herunterzufahren. Fast 10 Prozent davon wollen sich ganz aus dem Markt zurückziehen. Zu diesen Ergebnissen kam eine in der ersten Jahreshälfte 2022 vom taiwanischen Industrieverband CNFI (Chinese National Federation of Industries) getätigte Umfrage unter den 159 Mitgliedsverbänden. Sie repräsentieren den größten Teil der verarbeitenden Industrie auf der Insel.
Die Resultate sind vor allem auf die harschen Coronarestriktionen im Reich der Mitte und die dadurch bedingten Unterbrechungen in den Lieferketten zurückzuführen. Im laufenden Jahr seien Transport- und Lohnkosten vor Ort erheblich gestiegen. Außerdem haben die Firmen mit längeren Lieferzeiten zu rechnen. Nach Aussagen von CNFI-Vertretern in der lokalen Presse erwarten fast 80 Prozent der Firmen mit Betriebseinheiten in China rückläufige Gewinne und Aufträge. Nur knapp 13 Prozent rechnen für 2022 mit verbesserten Ergebnissen, 8 Prozent waren in ihren Aktivitäten nicht beeinträchtigt.
Investitionen in Drittmärkten nehmen zu
Die Umfrage wurde von Januar bis Juni 2022 durchgeführt. Die Auswirkungen des Tapei-Besuchs der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi im August sind damit noch nicht enthalten. Die Visite hatte zu Drohungen von Seiten Chinas und zusätzlichen Spannungen in den bilateralen Beziehungen geführt. Inwiefern sich dies auf die Aktivitäten taiwanischer Firmen in China auswirkt, ist noch nicht klar. Allerdings dürfte es kaum eine förderliche Wirkung entfalten. Zuvor wollten immerhin noch 19 Prozent der taiwanischen Firmen im Reich der Mitte expandieren und mehr als 50 Prozent ihre Tätigkeiten auf dem bisherigen Niveau aufrechterhalten.
Bereits in den vergangenen Jahren war der Wert der taiwanischen Investitionen in China stark rückläufig. Während diese in der Hochphase der Aktivitäten zwischen 2011 und 2012 mehr als 14 Milliarden US-Dollar (US$) pro Jahr erreichten, sank der Vergleichswert bis Ende des Jahrzehnts auf unter 5 Milliarden US$ ab. Insgesamt beläuft sich der Bestand taiwanischer Investitionen in China Ende 2021 auf fast 200 Milliarden US$.
Unterdessen geraten andere Märkte in der Region in den Fokus. Etwa 60 Prozent der befragten Firmen gaben an, künftig ihre Investitionen in Drittländern auszuweiten. Vor allem Vietnam gilt in diesem Zusammenhang als attraktiver Alternativstandort. Dort stiegen die taiwanischen Direktinvestitionen 2021 um fast 40 Prozent auf nun kumuliert 11,8 Milliarden US$ an. Die taiwanische Regierung fördert diesen Trend im Rahmen der "New Southbound Policy". Diese sieht eine Intensivierung der geschäftlichen Beziehungen vor allem mit den ASEAN-Staaten, aber auch mit Indien, Australien und Neuseeland vor.
Taiwan als Ziel der Reinvestitionen attraktiv
Eine weitere Alternative für taiwanische Firmen stellt die Rückkehr auf den Heimatmarkt dar. Auch dies wird von der Regierung im Rahmen eines 2019 aufgelegten Reshoringprogramms unterstützt. Es soll die Auswirkungen des Handelskonflikts für lokale Firmen abfedern. Bis Ende 2021 verlagerten dabei 254 taiwanische Unternehmen Teile ihrer Produktion im Wert von 38 Milliarden US$ wieder auf die Insel. Mehr als 80.000 Arbeitsplätze wurden so neu geschaffen.
Nach Berechnungen des Wirtschaftsministerium MOEA (Ministry of Economic Affairs) hat sich für viele taiwanische Firmen der Umzug gelohnt. So erhöhte sich der Produktionswert der zurückgekehrten Firmen zwischen 2019 und 2021 im Schnitt um 8,1 Prozent pro Jahr. Dies lag deutlich über dem Mittelwert der verarbeitenden Industrie in Taiwan, der im gleichen Zeitraum 4,6 Prozent erreichte. Bei der Untersuchung wurden 135 Unternehmen analysiert, die im Rahmen des Reshoringprogramms Teile ihrer Einheiten auf die Insel zurück verlagert hatten. Besonders hohe Produktionszuwächse verzeichneten dabei Unternehmen aus den Bereichen Elektronik, PC und Optik. Hier erreichte das Plus im Schnitt 27 Prozent.
Investitionen in Taiwan ziehen an
Die Aktivitäten der heimkehrenden Firmen wirken sich auch gesamtwirtschaftlich positiv aus. Die Investitionstätigkeit auf der Insel zog in den vergangenen Jahren massiv an. So stiegen die Ausrüstungsinvestitionen in Taiwan 2019 und 2021 zweistellig. Davon konnten zahlreiche andere Branchen wie beispielsweise der Bausektor profitieren. Auch für deutsche Firmen stellt dies nach Einschätzung der Auslandshandelskammer GTO (German Trade Office Taipei) einen wichtigen Faktor für ihre geschäftlichen Aktivitäten auf der Insel dar.
Ende 2021 wurde das erfolgreiche Programm vom Kabinett für weitere drei Jahre bis 2024 verlängert. Nach Angaben der lokalen Presse sollen auf diese Weise Projekte im Umfang von rund 33 Milliarden US$ angestoßen werden. Dies dürfte die Konjunktur auf der Insel weiter ankurbeln. Sie konnte in den vergangenen Jahren ohnehin mit hohen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts glänzen.