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Milliardenhilfen für Hochwassergebiete in Tschechien
Tschechien erlebte im September 2024 eines der verheerendsten Hochwasser seiner Geschichte. Der Wiederaufbau der überfluteten Gebiete läuft an und kostet mehrere Milliarden Euro.
21.10.2024
Von Gerit Schulze | Prag
Der Osten Tschechiens könnte in den kommenden Monaten eine Sonderkonjunktur erleben. Nach dem Hochwasser von September 2024 stehen umfangreiche Aufbau- und Sanierungsarbeiten an. Allein 80 Millionen Euro sind für die Wiederherstellung der Kanalisation vorgesehen.
Von den Überschwemmungen waren elf der 14 tschechischen Regionen betroffen. Besonders große Schäden richteten die Flutwellen in den Bezirken Mährisch-Schlesien, Olomouc und Liberec an. Dort mussten zeitweise rund 20.000 Menschen evakuiert werden.
Rund 2 Milliarden Euro für den Wiederaufbau
Die Regierung schätzt den Gesamtschaden der Septemberflut auf mehrere Milliarden Euro. Rund 2 Milliarden Euro bekommt Tschechien aus den EU-Kohäsionsfonds. Es handelt sich dabei aber nicht um zusätzliches Geld, sondern um Mittel, die vorzeitig aus bestehenden Töpfen abgerufen werden können. Außerdem kann Prag beim EU-Katastrophenschutzverfahren Hilfen beantragen.
Für den Haushalt 2024 hat sich die Regierung bereits ein um 30 Milliarden Kronen (1,2 Milliarden Euro) höheres Defizit genehmigen lassen. Im Jahr 2025 sollen weitere 400 Millionen Euro dazukommen, sodass für die Bekämpfung der Flutfolgen 1,6 Milliarden Euro Budgetmittel zur Verfügung stehen.
Hinzu kommen Versicherungsleistungen. Bei den tschechischen Versicherungen waren bis Mitte Oktober rund 82.000 Schadensmeldungen im Wert von umgerechnet 660 Millionen Euro eingegangen. Die Branche schätzt den versicherten Schaden auf 720 Millionen Euro. Das ist der höchste Wert seit dem Hochwasser von 2002. Ein Drittel entfällt auf Privathaushalte, der Rest auf Firmen.
Außerdem stehen mehrere Millionen Euro aus Spenden von großen Firmenstiftungen und Privatpersonen zur Verfügung, die in die betroffenen Gebiete fließen. Der Staat will betroffenen Firmen die Strafzahlungen für verspätete Steuerzahlungen erlassen. Unternehmen, deren Beschäftigte wegen der Flut nicht arbeiten können, sollen die Hälfte der Lohnzahlungen subventioniert bekommen.
Stromausfälle stoppten viele Produktionslinien
Nach der Flut mussten einige tschechische Firmen ihre Produktion drosseln. Besonders betroffen war der Getränkehersteller Kofola, der Schäden an drei Werken in Krnov, Litovel und Hanušovice meldete. In Opava hatten der Lebensmittelhersteller Bidfood und der Pharmahersteller Teva mit dem Hochwasser zu kämpfen. In Ostrava überspülten die Wassermassen Kokereianlagen von OKK Koksovny und den Chemiebetrieb BorsodChem MCHZ. Laut Medienberichten wurde auch ein Grundstück überflutet, das für den Bau einer großen Batteriefabrik in Mährisch-Schlesien vorgesehen ist.
In Bohumín nutzte das Chemieunternehmen Bochemie seine Notstromversorgung, um Pumpen und Kläranlage auch während der Stromausfälle zu betreiben. "Das hat geholfen, das Wasser vor unseren Werkstoren zu halten", erklärte Vorstandsmitglied David Vodička gegenüber Germany Trade & Invest. Allerdings führte der Stromausfall zur Unterbrechung einiger Schichten und zu einem leichten Kapazitätsverlust "in einer Zeit, in der der Produktionsplan recht eng ist." Vodička ist aber überzeugt, dass sich Bochemie innerhalb kurzer Zeit vollständig erholen wird und dass die Ausfälle keine Auswirkungen auf die Jahresergebnisse und auf laufende Projekte haben.
Bochemie produziert Industrieakkumulatoren, große Energiespeichersysteme und Spezialchemikalien. Seit 2019 gehört das GAZ Geräte- und Akkumulatorenwerk im sächsischen Zwickau zu der Unternehmensgruppe.
Auch Tschechiens größter Autohersteller Škoda Auto bekam die Folgen des Unwetters zu spüren. In den Produktionsstätten Mladá Boleslav, Kvasiny und Vrchlabí musste die werkseigene Feuerwehr die durch Extremwind entstandenen Schäden beseitigen, teilte Sprecherin Kateřina Boukalová auf Anfrage mit. Entgegen einigen Meldungen in tschechischen und polnischen Medien sei die Lieferkette von Škoda Auto aber kaum betroffen, "wir haben nur mit logistischen Komplikationen auf den Straßen zu tun", so Boukalová. Derzeit rechnet der Automobilhersteller "mit keinen nennenswerten Produktionseinschränkungen" in seinen tschechischen Werken.
Weniger Touristen im Altvatergebirge
Zu den betroffenen Branchen gehört der Tourismus im Altvatergebirge (tschechisch: Jeseníky). Dort hängen 7.000 Vollzeitarbeitsplätze am Fremdenverkehr. Die Flut verwüstete wichtige Besucherziele wie das Goldgräber-Freilichtmuseum in Zlaté Hory. Einige Hotelanlagen, darunter das Helios-Resort in Lipová-lázně, mussten ihren Betrieb einstellen. "Gleichzeitig erleben wir massenweise Stornierungen in Orten, die vom Hochwasser verschont geblieben sind", sagte Radek Stojan, Tourismusdirektor für die Region Olomouc, bei einer Pressekonferenz in Prag.
Zusammen mit der staatlichen Agentur CzechTourism wollen die betroffenen Regionen nun eine Infokampagne starten, um den Fremdenverkehr wieder zu beleben. "Der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle für diese Gebiete", begründet Direktor František Reismüller. Jeder Besucher helfe den Regionen, wieder auf die Beine zu kommen. Das Altvatergebirge verzeichnete 2023 rund 540.000 Touristen (davon 7.500 aus Deutschland) und 1,9 Millionen Übernachtungen. Sie sorgen laut CzechTourism für 1 Milliarde Euro Umsatz pro Jahr.
Supermärkte standen unter Wasser
Bei der tschechischen Rewe-Tochter Penny Market überflutete das Hochwasser vier Supermärkte, in Dutzenden weiteren fiel der Strom aus. Zwei Filialen sind noch geschlossen. Probleme mit der Belieferung der Discounterläden gebe es aber nicht mehr, berichtet Pressesprecher Tomáš Kubík. Er schätzt den Gesamtschaden durch das Hochwasser auf einige Millionen Euro.
Penny Market gewährte direkt betroffenen Mitarbeitenden zwei voll bezahlte freie Tage sowie finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau ihrer überfluteten Häuser. "Außerdem haben wir der Region Lastwagen mit Lebensmitteln und Wasser sowie zur Evakuierung in der Stadt Krnov und für das Krisenteam in der Stadt Jeseník bereitgestellt", sagt Tomáš Kubík.
Neue Talsperre geplant
Das Hochwasser könnte ein großes Talsperrenprojekt am Oder-Nebenfluss Opava beschleunigen. Die Staumauer Nové Heřminovy sollte längst im Bau sein, doch gegen den Planungsbeschluss gab es immer wieder Proteste von Umweltschützern. Investor ist der Staatsbetrieb Povodí Odry, der nun mit den zuständigen Stellen über eine schnellere Umsetzung des Bauvorhabens beraten will.