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Tschechien setzt bei Wasserstoff auf Importe
Tschechien ist bei der Nutzung von Wasserstoff in Verzug. Im Verkehr und in der Energiewirtschaft kommt das Gas kaum zum Einsatz. Die Regierung ändert daher ihre Strategie.
13.09.2024
Von Gerit Schulze | Prag
Ganze 26 Pkw mit Brennstoffzelle sind derzeit laut Zulassungsstatistik in Tschechien unterwegs. Das Ziel von 200 Fahrzeugen bis 2025 dürfte damit kaum zu erreichen sein. Immerhin gibt es bereits sechs Wasserstofftankstellen im Großraum Prag, im nordböhmischen Litvínov und in Ostrava. Bis 2030 sollen es 40 sein.
Wasserstoff (H2) wäre schon jetzt genug vorhanden. Tschechiens Petrochemie produziert rund 120.000 Tonnen H2 pro Jahr - überwiegend durch partielle Oxidation von Erdölrückständen und damit nicht CO2-frei. Das Gas wird als Rohstoff und Zwischenprodukt für die Herstellung von Ammoniak, Anilin und bei der Raffination verwendet. Die größten Verbraucher sind die Chemiekonzerne Orlen Unipetrol, BorsodChem, Synthos Kralupy, Spolchemie und DEZA.
Kilogramm kostet bis zu 20 Euro
Außerhalb der Chemieindustrie spielt Wasserstoff noch keine Rolle in Tschechien. Das liegt auch an den hohen Preisen, die an den wenigen Tankstellen bis zu 20 Euro je Kilogramm erreichen können.
Erst wenn sich der Preis bei 2 Euro einpendelt, wäre der Energieträger konkurrenzfähig, schreiben die Autoren der aktualisierten Wasserstoffstrategie der Tschechischen Republik. Das Dokument wurde im Juli 2024 vom Ministerium für Industrie und Handel (MPO) veröffentlicht. Die Neufassung reagiert auf aktuelle technische Entwicklungen und auf ambitioniertere Ziele der Europäischen Union.
Als Ersatz für fossile Treibstoffe im Verkehr und als Alternative zu batteriebetriebenen Elektroautos |
Als Transportmedium für Energie |
Als chemischer Grundstoff (zur Herstellung von Kraftstoffen, Kunststoffen, Ammoniak oder als Reduktionsmittel) |
Zur Energiespeicherung für überschüssige Energie aus erneuerbaren Quellen oder aus der Kernkraft |
Tschechien plant die breite Markteinführung von Wasserstoff in drei Etappen, in denen der Erzeugerpreis für den Energieträger schrittweise sinkt:
1. Etappe: Lokale Wasserstoff-Inseln (Produktionspreis 8 Euro/Kilogramm)
Die Wasserstoffwirtschaft soll zunächst in ehemaligen Kohleregionen entstehen, die im Strukturwandel stecken: Karlovy Vary, Ústí nad Labem und Mährisch-Schlesien.
Bis 2030 sieht die Wasserstoffstrategie keine massiven Importe von H2 vor. Grüner Wasserstoff (RFNBO) soll bis dahin überwiegend aus Elektrolyseuren im Inland stammen, die mit Solar-, Wind- oder Wasserkraft betrieben werden. Auch überschüssiger Strom aus Atomkraftwerken ist dafür vorgesehen. Mit dem so erzeugten Wasserstoff (etwa 20.000 Tonnen pro Jahr) könnten der Verkehrssektor und die Industrie versorgt werden, um die CO2-Bilanz zu verbessern. Parallel soll das Gaspipelinesystem so umgerüstet werden, dass Tschechien grünen Wasserstoff importieren kann.
Bau von Wind-, Solar- und Wasserkraftanlagen | 2.275 |
Aufbau von Elektrolyseuren | 1.078 |
Anschaffung von Wasserstofffahrzeugen und Aufbau der entsprechenden Infrastruktur | 878 |
Umnutzung der Gastransport- und Verteilerleitungen | 208 |
Infrastruktur zur Speicherung von Wasserstoff | 80 |
Produktion von synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) | 40 |
Um das Ziel von 20.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr zu erreichen, wäre eine zusätzliche Kraftwerksleistung aus erneuerbaren Energiequellen von 400 Megawatt nötig. Das entspricht etwa 80 Windrädern.
2. Etappe: Globale Wasserstoffbrücken
Tschechiens Voraussetzungen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen sind überschaubar. In anderen EU-Ländern wird die Produktion von grünem Wasserstoff billiger sein. Daher soll der Energieträger perspektivisch importiert und dafür ein leistungsfähiges Transportnetz entstehen.
Die Regierung rechnet mit vier potenziellen Importrouten:
- Ost (Ukraine)
- Süd-Ost (Balkan und Türkei)
- Süden (Nordafrika) und
- Norden (Ostsee und Skandinavien).
Zusätzlich könnte Tschechien Wasserstoff aus Übersee beziehen.
Erdgasleitungen sollen umgerüstet werden
Tschechien will dabei sein bestehendes Erdgaspipelinenetz so umrüsten, dass es als wichtiges Transitland für Wasserstoff zusätzliche Einnahmen erzielt. Das Industrieministerium rechnet mit einem Preis für importierten Wasserstoff von 3 Euro je Kilogramm im Jahr 2030 und 2 Euro im Jahr 2050.
3. Etappe: Entwicklung neuer Technologien (ab 2040)
In dieser Phase will Tschechien eigene Innovationen zur Wasserstofferzeugung entwickeln, um preislich mit importiertem grünen H2 konkurrieren zu können. Auch bei Brennstoffzellen sollen eigene Akzente gesetzt werden.
Auch wenn die aktuelle Wasserstoffstrategie langfristig angelegt ist, gibt es in Tschechien schon heute viele Projekte zur Produktion des sauberen Energieträgers und zur Nutzung. Vor allem der Verkehrssektor steht dabei im Fokus.
Fahrzeugtyp | 2025 | 2030 | 2035 |
---|---|---|---|
Pkw | 200 | 3.000 | 8.000 |
Leichte Nutzfahrzeuge (N1) | 50 | 800 | 3.500 |
Schwere Lastwagen (N2, N3) | 10 | 380 | 1.500 |
Busse | 10 | 200 | 350 |
Tatra baut bereits Lastwagen mit Brennstoffzelle
Der tschechische Lastwagenhersteller Tatra hat bereits einen funktionsfähigen Prototypen mit Brennstoffzelle entwickelt. Das Lkw-Modell Force e-Drive wurde im Oktober 2023 in Ostrava vorgestellt und soll im Bergbau zum Einsatz kommen. Die Reichweite beträgt 400 Kilometer.
Bei der Entwicklung kooperiert Tatra mit der Prager Hochschule für Chemietechnologien VŠCHT und mit dem Forschungs- und Ingenieurbüro ÚJV Řež. Dieses hatte schon vor fast zehn Jahren am ersten tschechischen Wasserstoffbus TriHyBus mitgearbeitet, woran auch Linde beteiligt war. Inzwischen hat Bushersteller Škoda Electric aus Plzeň diesen Brennstoffzellenbus weiterentwickelt und vermarktet ihn als Škoda H'City.
Der Bus fährt seit 2023 im regulären Linienverkehr mit Fahrgästen in Prag. Dank der Tanks für 39 Kilogramm Wasserstoff auf dem Dach schafft das Fahrzeug eine Reichweite von 350 Kilometern.
Prag stellt Nahverkehr auf Wasserstoffbusse um
Im August 2024 kündigte die Hauptstadt Prag an, die städtischen Verkehrsbetriebe noch stärker auf Wasserstoffbusse umzustellen. Dank eines Zuschusses der European City Facility (EUCF) werden nun eine Wirtschaftlichkeitsanalyse und technische Machbarkeitsstudie erstellt. Geplant ist eine Solaranlage zur klimaneutralen H2-Produktion im Elektrolyseur. Partner ist der kommunale Gasversorger Pražská plynárenská.
Auch Tschechiens Eisenbahn will auf Wasserstoffantrieb umstellen, besonders auf bislang nicht elektrifizierten Strecken (rund 6.000 Kilometer). Im Rahmen des Projekts RegioHyt wurde im Frühjahr 2024 eine Machbarkeitsstudie für acht Regionalverbindungen vorgestellt, darunter Pardubice-Liberec-Ústí nad Labem. Die Untersuchung zeigte, dass der Betrieb von Wasserstoffzügen deutlich günstiger wäre, als diese Trassen zu elektrifizieren. Auch gegenüber dem Einsatz von Dieselloks ergäben sich Kostenvorteile.
Deutsch-tschechische Kooperationen
Deutschland ist für Tschechien wichtigster Partner bei der Wasserstoffwirtschaft. Ziel der Initiative Czech German Hydrogen Interconnector (CGHI) ist es, Wasserstoffversorger in Norddeutschland und im Baltikum mit Nachfrageclustern in Süddeutschland und Nordböhmen zu verbinden.
Im Juni 2024 wurde das Projekt Hydrogen Bavaria-Bohemia (HyBaBo) gegründet, um bayerische und tschechische Firmen und Forschungseinrichtungen zu vernetzen.
Sachsen und Tschechien haben Anfang 2024 vereinbart, die grenzüberschreitenden Erdgasleitungen auf Wasserstoff umzustellen und bei der Forschung zu kooperieren.
Betreiber, Investor / geplanter Standort | Maximale tägliche Wasserstoffproduktionskapazität (in kg) | Anmerkung | Stand |
---|---|---|---|
Sev.en Energy / Most | 8.000 | Projekt Green Mine: Umnutzung eines ehemaligen Steinbruchs; Stromproduktion durch schwimmendes Fotovoltaikkraftwerk mit Leistung von 17,5 MW | Investitionsvorhaben, Produktionsstart frühestens 2026 |
Orlen Unipetrol RPA / Litvínov | 6.850 | Elektrolyseur mit 30 MW Leistung, angeschlossen an Solarkraftwerk mit 60 Megawatt Peak (MWp) Leistung, weitere 30 MWp durch Windkraftwerk | In Vorbereitung, Betrieb ab 2025 geplant |
ČEZ, Net4Gas, Siemens Energy / Počerady | 1.920 | Projekt H2HUB: H2-Produktion auf dem Areal des Heizkraftwerks, Elektrolyseur mit 4 MW Leistung | Investitionsvorhaben, Machbarkeitsstudie steht noch aus |
FOR H2ENERGY / Žatec | 1.400 | Produktion im Gewerbegebiet Triangle; Elektrolyseur mit 4 MW Leistung auf Basis von Fotovoltaik; Produktion, Forschungszentrum und Abfüllanlage; wird an öffentliches Gasnetz angeschlossen | Investitionsvorhaben, Betrieb ab 2026 geplant |
Tatra / Kopřivnice | 1.000 | Wasserstoffproduktion auf dem Gelände des Lkw-Herstellers | Investitionsvorhaben |
Veolia Energie ČR / Krnov | 400 | Stromproduktion aus Biomasse und Fotovoltaik auf dem Gelände eines Heizkraftwerks; Elektrolyseur mit 3 MW Leistung; H2 für Eisenbahnverkehr | Machbarkeitsstudie in Vorbereitung |
Veolia Energie ČR / Frýdek-Místek | 400 | Stromproduktion aus Biomasse und Fotovoltaik, später Wind; Elektrolyseur mit 2 MW Leistung; produzierter H2 für Fahrzeuge und Metallurgie | In Vorbereitung, Betrieb ab 2026 geplant |
E.ON / Mydlovary | 220 | Projekt "Innovationshub Mydlovary", Elektrolyseur mit Leistung von 1 bis 2 MW, Speichertank für 200 Kubikmeter | In Umsetzung, Betrieb ab Ende 2024 geplant |
Sev.en Energy / Litvínov | 200 | Elektrolyseur mit 1 MW Leistung, angeschlossen an Solarkraftwerk (teilweise schwimmend); Zusammenarbeit mit der Universität ÚJEP in Ústí nad Labem | Investitionsvorhaben |
Zásilkovna / Prag-Satalice | 200 | H2-Produktion und Tankstelle für Logistikfirma Zásilkovna und für die Öffentlichkeit | Investitionsvorhaben |