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Vietnam will Kohlekraft ab 2030 den Rücken kehren
Das südostasiatische Land hat nach jahrelangen Verzögerungen einen Energieplan verabschiedet. Die Investoren stehen in den Startlöchern. Wichtige Details fehlen aber noch.
22.06.2023
Von Peter Buerstedde | Hanoi
Die vietnamesische Regierung hat am 16. Mai 2023 den Power Development Plan (PDP) 8 angenommen. Er definiert den Energiemix sowie den Strom- und Netzausbaubedarf des Landes bis 2030 und gibt eine Perspektive für das Jahr 2050 vor. Damit ist weitgehend klar, wohin die Reise beim Energiemix gehen wird. Das ist ein wichtiges Signal für Investoren und Anbieter von Ausrüstungen. Der PDP 8 hat in den vergangenen Jahren viele Versionen durchlaufen; das Pendel war zwischen Kohlekraft und erneuerbaren Energien hin und her geschwungen.
Zuletzt hat sich Vietnam aber zu äußerst ehrgeizigen Klimazielen bekannt und der PDP 8 hat diese Ziele integriert. Im November 2021 versprach Premierminister Pham Minh Chinh auf der Klimakonferenz in Glasgow, Vietnam werde bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Im Dezember 2022 folgte die Just Energy Transition Partnership (JETP) zwischen Vietnam und einer Reihe von Industriestaaten, darunter Deutschland. Darin sagt Vietnam zu, den Anteil erneuerbarer Energien schneller zu steigern und weniger neue Kohlekraftwerke zu bauen. Die CO₂-Emissionen des Energiesektors sollen bereits 2030 ihren Höchststand erreichen und nicht erst im Jahr 2035, wie zuvor geplant. Gelingen soll das über Gaskraft als Übergangstechnologie.
Energieträger | 2010 | 2022 | 2030 | 2050 |
---|---|---|---|---|
Kohle | 22,8 | 32,5 | 20,0 | 0,0 |
Wasserkraft | 40,5 | 29,0 | 21,1 | 6,3 bis 7,3 |
Fotovoltaik, Windkraft, Biomasse | 0,0 | 26,4 | 28,6 | 60,5 bis 65,0 |
Gas | 34,0 | 9,2 | 25,0 | 7,7 bis 9,7 |
Öl, Diesel | 2,6 | 1,9 | 0,0 | 0,0 |
Wasserstoff | 0,0 | 0,0 | 0,0 | 9,8 bis 13,4 |
Importe | 0,0 | 0,7 | 3,3 | 1,9 bis 2,3 |
Andere (Batteriespeicher, Abwärme in Industrie) | 0,0 | 0,0 | 2,0 | 7,0 bis 8,8 |
Gas löst zunächst Kohle ab
Die Kohlekraft hat in den vergangenen Jahren gegenüber Gas stark an Bedeutung gewonnen, vor allem weil die Gasvorkommen langsam zur Neige gehen. Im Jahr 2022 stellten Kohlekraftwerke in Vietnam knapp ein Drittel der Leistung zur Verfügung und 39 Prozent der Stromerzeugung. Gemäß dem PDP 8 werden bis 2030 nur noch sechs bereits geplante Kraftwerke mit einer Kapazität von 6,1 Gigawatt fertig gebaut. Die Lücke bis zu Jahr 2030 sollen Gaskraftwerke schließen. Sie werden, soweit möglich, inländisches Gas nutzen, aber auch massive Investitionen in Flüssigerdgas-Terminals sind geplant. Das erste Terminal des Landes The Thi Vai ist seit Frühjahr 2023 einsatzbereit und soll zwei Kraftwerke in der Provinz Dong Nai beliefern, wenn diese 2024 und 2025 ans Netz gehen.
Energieträger | 2022 | 2030 | 2050 |
---|---|---|---|
Kohlekraft | 25.312 | 30.127 | 0 |
Gaskraft mit inländischem Gas | 7.160 | 14.930 | 0 |
Gaskraft mit importiertem Flüssigerdgas | 0 | 22.400 | 7.900 |
Biomasse kombiniert mit Ammoniak, umgewandelt von Kohlekraft | 0 | 0 | 25.632 bis 32.432 |
Wasserstoff, umgewandelt von importiertem Flüssigerdgas | 0 | 0 | 20.900 bis 29.900 |
Wasserstoff, umgewandelt von heimischem Erdgas | 0 | 0 | 7.030 |
Flexible Kleinkraftwerke auf Basis von Diesel, Gas, Biokraftstoffen | 0 | 300 | 30.900 bis 46.200 |
Nach 2030 würden Kohle- und Gaskraftwerke laut dem Entwicklungsplan PDP 8 fast vollständig auf Wasserstoff und Ammoniak (teils mit Biomasse) umgestellt oder stillgelegt. Dann sollen erneuerbare Energien ins Spiel kommen. Die Gegebenheiten dafür gelten in Vietnam als exzellent. So weht etwa der Wind in Zentralvietnam weitgehend ohne Sommerflaute.
Wind- und Sonnenenergie laufen kontrolliert hoch
Zunächst plant Vietnam, den Anteil erneuerbarer Energien nur leicht ansteigen zu lassen. Erst nach 2030 soll der Ausbau Fahrt aufnehmen, bis dahin will die Regierung nur bereits geplante Solarparks zulassen. Die Leistung der Windkraft und Fotovoltaik ist zwischen 2017 und 2022 explosionsartig von 352 auf 20.165 Megawatt angestiegen. Günstige Einspeisetarife, die 2021 ausgelaufen sind, hatten zu einem starken, aber ungesteuerten Ausbau geführt. Im Süden des Landes entstanden durch fehlende Nachfrage oder überlastete Netze Überkapazitäten. Eine Reihe von Projekten konnten durch Coronalockdowns nicht rechtzeitig fertiggestellt werden.
Gleichzeitig hat der Einspeisetarif viele Entwickler und Ausrüster ins Land gelockt. Solar- und Windparks gelten in Vietnam zumindest an Land inzwischen als etabliert. Auch deutsche Unternehmen wie WPD und PNE bereiten große Vorhaben vor. Entwickler verhandeln derzeit mit der staatlichen Vietnam Electricity Group (EVN) über einen Netzanschluss, allerdings zu niedrigeren Einspeisetarifen.
Energieträger | 2022 | 2030 | 2050 |
---|---|---|---|
Wasserkraft | 22.544 | 29.346 | 36.016 |
Windkraft an Land (und küstennah) | 4.667 | 21.880 | 66.050 bis 77.050 |
Offshore-Windkraft | 0 | 6.000 | 70.000 bis 91.500 |
Biomasse | 150 | 2.270 | 6.015 |
Pumpspeicherkraftwerke, Batteriespeicher | 0 | 2.700 | 30.650 bis 45.550 |
Fotovoltaik | 16.560 | 20.591 | 168.594 bis 189.294 |
Weil sie die Netze nicht belasten, sollen Solaraufdachanlagen zur Selbstversorgung ohne Limit möglich sein. Der Plan sieht sogar vor, dass 50 Prozent aller Büro- und Wohngebäude bis 2030 Solarpaneele zur Selbstversorgung installieren. Staatliche Anreize oder Vorschriften dazu gibt es aber bisher nicht.
Der Windkraft kommt im Energieplan eine wichtige Rolle zu. Offshore-Windparks sollen in großem Maße für den Inlandsbedarf und die Exportmärkte Strom (und später per Elektrolyse Wasserstoff) erzeugen. Der PDP 8 plant bis 2035 eine Kapazität von 15 Gigawatt für die Produktion von Wasserstoff und Ammoniak, bis 2050 sogar 240 Gigawatt. Für den Export nach Singapur laufen gemäß Pressemeldungen bereits Verhandlungen über den Bau einer Unterwasserstromtrasse. Die Regierung will laut PDP 8, um die Strom- und Wasserstofferzeugung herum zwei Industriehubs zur Produktion von Ausrüstungen aufbauen.
Indikator | 2021 bis 2030 | 2031 bis 2050 |
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Erzeugungskapazitäten | 119,8 | 364,4 bis 511,2 |
Übertragungsnetze | 15,0 | 34,8 bis 38,6 |
Gesamt | 134,7 | 399,2 bis 523,1* |
Umsetzung ist höchst ambitioniert
Der PDP 8 ist nach Expertenmeinungen in technischer und finanzieller Hinsicht ein sehr ehrgeiziges Unterfangen. Beratungsfirmen erwarten etwa, dass die weltweite Nachfrage nach Offshore-Windrädern und Ausrüstungen für den Flüssiggasimport das verfügbare Angebot in den kommenden Jahren weit übersteigen wird.
Der Investitionsbedarf wird im Plan bis 2030 auf 135 Milliarden US-Dollar (US$) geschätzt. Der geplante Ausbau der erneuerbaren Energien ist gemäß PDP 8 nur möglich, wenn die JETP-Partnerländer ihre Verpflichtungen einhalten. Diese haben für die nächsten drei bis fünf Jahre 15,5 Milliarden US$ an öffentlichen und privaten Finanzmitteln versprochen.
Allerdings war Vietnam bei der Nutzung von Entwicklungshilfekrediten in den letzten Jahren äußerst zurückhaltend, obwohl das Land selbst nur über begrenzte Mittel verfügt. Zudem macht der staatliche Stromkonzern EVN hohe Verluste und wird die nötigen Investitionen nicht stemmen können. Große Summen wird der Privatsektor stemmen müssen.
Noch fehlen dafür die Rahmenbedingungen. Der Plan sieht für den Ausbau erneuerbarer Energien einen Auktionsmechanismus vor, der noch per Gesetz geschaffen werden muss. Parallel dazu will die Regierung, zunächst als Pilotprojekt für 1.000 Megawatt, direkte Stromabnahmeverträge (Direct Power Purchasing Agreements) ermöglichen. Diese sind auch wichtig für Vietnam als Industriestandort. Immer mehr Investoren wollen direkt Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen. Mittelfristig wird über einen Markt diskutiert, der es Großabnehmern erlaubt, Strom direkt von privaten Erzeugern zu beziehen.
Bezeichnung | Anmerkungen |
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