Branchen | Türkei | Chemie
Trotz hohem Wachstum bleibt es schwierig
Produktion und Exporte steigen. Aber Finanzierungs- und Versorgungsprobleme, steigende Inputkosten und Wechselkursschwankungen halten an.
10.11.2022
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Die Chemieindustrie in der Türkei legte jüngst kräftig zu: Die Branche konnte in den ersten acht Monaten des Jahres 2022 ihre Ausfuhren um 42 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 22,6 Milliarden US-Dollar (US$) steigern. Wenn es so weiterläuft, könnte sie über ihr bereits nach oben revidiertes Exportziel von 30 Milliarden US$ hinausschießen. Im letzten Jahr hatten die Export- und Produktionszahlen der türkischen Chemieindustrie den höchsten Stand seit 2016 erreicht. Dies geht auch auf einen Preiseffekt zurück. Bei einigen Erzeugnissen stiegen die Rohstoffpreise um 100 Prozent.
Der Erfolg kam aber nicht nur daher. Die Türkei konnte stark von der Umstrukturierung der Lieferketten profitieren. Insbesondere Abnehmer aus der EU und den USA suchten wegen der Lieferprobleme in Asien nach neuen Lieferanten. Die Türkei punktet unter anderem mit ihrer geografischen Nähe zu wichtigen Verbrauchermärkten und vergleichsweise niedrigen Kosten. Außerdem stärkte die Abwertung der Türkischen Lira (TL) die Wettbewerbsposition der Türkei bei den Exporten.
Exporteure sehen sich mit Schwierigkeiten konfrontiert
Auf der anderen Seite stehen jedoch Finanzierungs- und Versorgungsprobleme, steigende Kosten, insbesondere die hohen Rohstoff- und Energiepreise, sowie die Wechselkursschwankungen der Landeswährung. Die schwache Lira verteuert die Importe zusätzlich. Zudem führte die jüngste Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar teils zu Einkommensverlusten. Die Chemiebranche erwirtschaftet mehr als die Hälfte ihrer Exporterlöse in Euro, während die Rohstoffe hauptsächlich in US-Dollar gehandelt werden.
Als hohes Risiko für die kommenden sechs Monate stufen türkische Exporteure zudem eine drohende Wirtschafts- und Energiekrise in ihrem wichtigsten Absatzmarkt, der Europäischen Union (EU), ein. Ein Konsumrückgang und eine Abnahme der Produktion würden die Chemieindustrie in der Türkei stark negativ beeinflussen.
Umstellung in der Kunststoffindustrie zu mehr Nachhaltigkeit
Türkische Kunststoffproduzenten werden infolge der EU-Regelungen zum Einsatz von Sekundärrohstoffen zunehmend auf recycelten Kunststoff setzen, wenn sie in der EU wettbewerbsfähig bleiben möchten. Dies dürfte besonders für die Automobilbranche und die Produktion langlebiger Konsumgüter gelten.
Januar - Mai 2022 (in Tausend t) | Veränderung (in %) | Januar - Mai 2022 (in Mio. US$) | Veränderung (in %) | |
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Produktion | 4.662 | 4,8 | 19.389 | 15,2 |
Import | 295 | 7,3 | 1.574 | 14,3 |
Export | 1.100 | 1,9 | 3.281 | 18,6 |
Inlandsnachfrage | 3.857 | 5,8 | 17.683 | 14,5 |
Nachfrage nach Düngemitteln sinkt
Die Inlandsnachfrage nach chemischen Düngemitteln geht zurück. Die Branche rechnet mit einem Verbrauch von 5,0 Millionen bis 5,5 Millionen Tonnen im Gesamtjahr 2022 (2021: 6,4 Millionen Tonnen; 2020: 7,1 Millionen Tonnen). Die Düngemittelhersteller sprachen im Juni 2022 bereits von einer um 15 bis 20 Prozent geringeren Kapazitätsauslastung als im Vorjahreszeitraum. Nicht nur in der Türkei geht die Nachfrage zurück, auch weltweit. Allerdings gilt in der Türkei ohnehin ein Exportverbot für chemische Düngemittel. Dieses erschwert es den Herstellern, ihre Devisenposition zu halten. Die Importabhängigkeit bei Rohstoffen ist hoch.
Das türkische Unternehmen Ege Gübre gab Anfang Juni 2022 bekannt, seine Produktion von Düngemitteln auf unbestimmte Zeit einzustellen.
Kosmetikexporte legen leicht zu
Die Exporte der türkischen Kosmetik- und Reinigungsindustrie legten 2021 um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 1,4 Milliarden US$ zu, meldet der Verband der Exporteure von Chemikalien und Produkten İKMİB. Dabei sei wertmäßig die größte Position „Seifen und organische Tenside“ gewesen, gefolgt von „Rasierprodukten und Deodorants“ sowie „Haarpflegeprodukten“. Die wertmäßig wichtigsten Abnehmerländer waren Irak, USA, Russland, Iran und die Niederlande.
Investiert wird trotzdem
Wie auch in anderen Branchen investieren vor allem Unternehmen, die bereits im Land sind. Neue Investoren zeigen sich eher zurückhaltend.
GAMA Industry unterzeichnete im Juni 2022 mit dem Petrochemie-Unternehmen TN Maleik Petrokimya A.Ş. einen Vertrag zur Projekt- und Beschaffungsplanung für eine Maleinsäureanhydrid-Anlage in der Industriezone Gebkim in Gebze. Das Projekt soll Ende 2023 abgeschlossen werden und eine Jahreskapazität von 50.000 Tonnen haben. Die Investitionssumme soll sich auf 150 Millionen US$ belaufen.
Die STAR Raffinerie, eine Tochtergesellschaft von SOCAR, erhielt im August 2022 die Genehmigung zum Ausbau ihrer Kapazitäten zur Verarbeitung von Rohöl von 11 Millionen auf 13 Millionen Tonnen pro Jahr.
Akkim Kimya, eine Tochtergesellschaft der Akkök Holding, plant 100 Millionen US$ in eine neue Fabrik zu investieren. Ab Januar 2024 sollen 50.000 Tonnen Epoxidharz, 25.000 Tonnen Epichlorhydrin und 25.000 Tonnen Glycerin gefertigt werden können.
Flokser Kimya will in Tarsus eine Fabrik zur Herstellung von Polyurethan bauen. Das Unternehmen gab Mitte September 2022 bekannt, vom Ministerium für Industrie und Technologie ein Investitionsanreizzertifikat in Höhe von 846 Millionen TL, umgerechnet 46 Millionen US$, erhalten zu haben. Die Produktion soll 2024 aufgenommen werden.
Tosyali Gübre Sanayi A.Ş plant eine Investition über 1,7 Milliarden US$ in eine Düngemittelanlage in Filyos am westlichen Schwarzen Meer. Die geplante Kapazität beläuft sich auf 581.000 Tonnen Urea, 660.000 Tonnen Ammoniumcalciumnitrat, 330.000 Tonnen Diammoniumphosphat, 224.000 Tonnen granuliertes Ammoniumsulfat und 60.000 Tonnen Kaliumnitrat. Die Regierung kündigte im Amtsblatt an, das Projekt zu fördern.
Akcali Boya, der türkische Hersteller von Permolit-Farben, kündigte im August 2022 eine Investition in eine neue Anlage mit einer Kapazität von 20 Millionen Lackspray an, die 2023 die Produktion aufnehmen soll.
Projekt | Investition (in Mio. US$) | Anmerkungen |
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Mercury Petrochemie Komplex in İzmir | 2.000 | Akteur: SOCAR; Kapazität: 1,25 Mio. tpa PTA, 840.000 tpa PX, 340.000 tpa Benzol |
Chemie-Lagerterminal | 150 | Akteur: Ceyport Tekirdag; Lagerkapazität: 300.000 m3; Stand: Entwicklungsstadium; geplante Fertigstellung: November 2026 |
Anlage | 53 | Akteur: Tüpras Kirikkale; Die Hallesche Mitteldeutsche Bau AG ist zusammen mit Tekfen als Generalunternehmer tätig. Der Bau soll noch nicht begonnen haben. |
Die Exportorientierung ist in den meisten Teilbranchen der Chemie hoch. Weil konkrete Daten zur Inlandsproduktion in der Regel nicht vorliegen, erlauben neben der Entwicklung der Produktionsindizes auch die Ausfuhren Rückschlüsse über die Entwicklung der Produktion.
Industriezweig (NACE Rev. 2) | 2019 | 2020 | 2021 | 1. Hj.2) 2022 |
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19 – Koks und raffinierte Erdölprodukte | 116 | 111 | 117 | 128 |
20 – Chemikalien und chemische Erzeugnisse | 115 | 122 | 149 | 159 |
21 – Arzneimittel | 140 | 152 | 155 | 184 |
22 - Kautschuk- und Kunststoffprodukte | 112 | 118 | 143 | 155 |
SITC | Produktgruppe | 2020 | 2021 | 1. Hj. 2022 | Veränderung 1. Hj. 2022 / 1. Hj. 2021 |
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33 | Erdöl,-erzeugnisse | 3.271 | 5.980 | 5.354 | 101,2 |
davon 335 | Rest von Erdöl,-erzeugnissen | 628 | 1.109 | 882 | 78,5 |
51 | Organische chemische Erzeugnisse | 373 | 686 | 453 | 52,0 |
52 | Anorganische chemische Erzeugnisse | 1.099 | 1.416 | 1.153 | 75,5 |
53 | Farbmittel, Gerbstoffe, Farben (und Lacke) | 817 | 1.061 | 611 | 21,5 |
54 | Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse | 1.704 | 1.678 | 844 | 7,4 |
55 | Ätherische Öle, Körperpflege-, Putz- und Reinigungsmittel etc. | 1.879 | 1.930 | 1.044 | 14,9 |
56 | Düngemittel (ausgenommen solche der Gruppe 272) | 283 | 390 | 250 | 25,0 |
57 | Kunststoffe in Primärformen | 1.251 | 2.407 | 1.587 | 45,7 |
58 | Kunststoffe in anderen Formen als Primärformen | 2.727 | 3.547 | 2.008 | 18,1 |
59 | Andere chemische Erzeugnisse und Waren | 1.306 | 1.433 | 886 | 34,4 |
Summe | 14.710 | 20.528 | 14.190 | 43,7 |
Bezeichnung | Anmerkungen |
---|---|
Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft | |
Anlaufstelle für deutsche Unternehmen | |
Ministerium für Industrie und Technologie | |
Ministerium für Umwelt und Städtebau | |
Gesundheitsministerium | |
Verband der türkischen Chemieindustrie | |
Verband der Kunststoffindustrie | |
Verband der Farbenindustrie | |
Arbeitgeberverband der Pharmaindustrie | |
Kammer der Chemiker |