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Special | Türkei | Dekarbonisierung der Industrie

Klimaschutz-Atlas

Industrie: Dekarbonisierung noch am Anfang

Vorschriften zur Emissionsminderung für Industriezweige fehlen in der Türkei. Unternehmen könnten dennoch zu umweltfreundlicher Produktion gezwungen sein. 

Von Katrin Pasvantis

Direkte produktionsbedingte Treibhausgasemissionen aus Energieeinsatz und Prozessemissionen machten 2021 etwa 25 Prozent der Gesamtemissionen in der Türkei aus. Damit waren sie nach dem Stromsektor die zweitgrößte Emissionsquelle. 

Die Türkei meldete im April 2023 dem UN-Klimasekretariat, dass sie bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 41 Prozent gegenüber dem Business as Usual (BAU, Referenzjahr 2012) senken wolle. Dieser Nationale Klimabeitrag, genannt NDC (Nationally Determined Contribution), ist unverbindlich. Er lag zuvor bei 21 Prozent. Ausgehend von dem aktuellen Szenario wird erwartet, dass die Emissionen der Türkei bis 2030 ganze 1.175 Millionen Tonnen betragen werden. Mit dem verkündeten Reduktionsziel von 41 Prozent soll diese Zahl bis 2030 auf 695 Millionen Tonnen reduziert werden.

Keine verpflichtenden Minderungsziele für CO2-Emissionen

Maßnahmen, wie die Türkei die Emissionen um 41 Prozent senken möchte, sind noch nicht bekannt. Verbindliche Minderungsziele für emissionsintensive Industriezweige sind demnach bisher auch nicht festgelegt. Der gesetzliche Rahmen zur industriellen Dekarbonisierung einschließlich CO2-Steuer und Emissionshandel wurde noch nicht geschaffen. Als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Dekarbonisierung werten Unternehmen die für 2026 geplante Einführung eines nationalen Emissionshandelssystems (Emission Trading System, ETS). Berichten zufolge wird sich das ETS am EU-Emissionshandelssystem orientieren.

Energieverbrauch nach Industriezweigen 2019

Industriezweig

Anteil (in Prozent) *

Grundmetallindustrie

27

Nichtmetallische Mineralprodukte und Zement

23

Chemische und petrochemische Produkte

11

Papierprodukte

10

Textilien und Lederprodukte

10

Lebensmittel und Tabakprodukte

9

* Anteil am Energieverbrauch der gesamten Industrie.Quelle: Industrielle Entwicklungsbank TSKB 2021

CO2-Bepreisung der EU könnte Dekarbonisierung beschleunigen

Die Notwendigkeit einer klimafreundlichen Produktion besteht für viele Hersteller energieintensiver Waren dennoch. Nämlich dann, wenn ihre Waren von der europäischen CO2-Grenzabgabe betroffen sind und sie sich ihre Wettbewerbsfähigkeit in der EU erhalten möchten. Die CO2-Bepreisung von Importen wird auch die türkischen Produzenten entsprechender Waren dazu zwingen, ihren Kohlendioxidausstoß zu reduzieren. Ab Anfang 2026 werden die finanziellen Folgen des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) für die Unternehmen spürbar. Dann müssen die Unternehmen bei Lieferungen in die EU ihre CO2-Emissionen nicht mehr nur melden, sondern auch CBAM-Zertifikate käuflich erwerben.

Europäisches CO2-Grenzausgleichssystem

Die Verordnung zum CBAM der EU ist am 17.05.2023 in Kraft getreten. Ab Oktober 2023 gelten neue Berichtspflichten für Importeure und ab dem 1. Januar 2026 ist die Einfuhr der betroffenen Waren nur noch mit CBAM-Zertifikaten möglich. Die Verordnung gilt zunächst für die direkten herstellungsbedingten Emissionen aus den Sektoren Zement, Strom, Düngemittel, Eisen und Stahl sowie Aluminium. Nach dem Jahr 2025 kann CBAM auf andere Sektoren und/oder auf indirekte Emissionen ausgeweitet werden.

Türkische Unternehmen stark von CBAM betroffen

Die Türkei zählt zu den Ländern, die wegen ihrer engen Handelsverflechtungen mit der EU weltweit mit am stärksten von der CO2-Grenzabgabe betroffen sein werden. Über 40 Prozent der türkischen Gesamtexporte gehen in die EU. Darunter befinden sich auch viele energieintensive Waren bei deren Herstellung hohe CO2-Emissionen anfallen, wie Aluminium, Eisen und Stahl, die unter die CBAM-Regelung fallen. Diese Industrien dürften deshalb auch die ersten in der Türkei sein, die versuchen werden, ihre Kohlenstoffemissionen zu reduzieren und eine grüne Transformation anzustreben.

EU-Einfuhr energieintensiver Waren aus der Türkei 2022
SITC-Nr.Warenbezeichnung

Einfuhr (in Milliarden Euro)

285Aluminium

37,5

65,84Textilien und Bekleidung

17,3

78Kfz

16,4

71,72,73,74Maschinen

8,6

5Chemische Erzeugnisse

6,9

67Eisen und Stahl

6,4

272Düngemittel

0,9

661Zement

0,6

Quelle: Eurostat 2023

Fokusbranche Stahl: energieintensiver Industriezweig wird auf die Probe gestellt

Die türkische Stahlindustrie wird von der Einführung der CO2-Bepreisung stark betroffen sein. Gut ein Drittel der türkischen Exporte von Eisen und Stahl gehen in Länder der EU. Die Stahlexporteure werden ihre CO2-Emissionen reduzieren müssen, wenn sie sich ihre Wettbewerbsfähigkeit in der EU sichern wollen. Dies könnte auch Geschäftschancen für deutsche Anbieter von Lösungen zur Emissionsreduktion eröffnen, etwa für den Einsatz anderer Produktionstechnologien oder -prozesse. Zur Dekarbonisierung könnte auch die Verwendung alternativer Materialien beitragen, die etwa den Einsatz energieintensiven Stahls verringern. Wird der Geltungsbereich des CBAM erweitert, könnte dies auch Konsequenzen für stahlverarbeitende Branchen in der Türkei wie die Kfz- und Kfz-Teileproduktion, den Maschinenbau oder die Bauwirtschaft haben. 

Grüner Wasserstoff hat Potenzial

Ein wichtiger Schritt könnte der Einsatz von grünem Wasserstoff bei der Stahlherstellung sein. Die Produktion von grünem Wasserstoff steckt in der Türkei noch in der Projektierungsphase. Anfang 2023 hat das Land seine Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Unternehmensvertreter bemängeln, dass die Wasserstoffziele häufig noch nicht aussagekräftig seien. Es bleibe unklar, wie die Türkei die Ziele erreichen soll. Potenzielle Investoren wünschen sich einen konkreten Fahrplan.

Status Quo in der Stahlindustrie

In der Türkei entfallen rund 30 Prozent der Herstellungskosten von Stahl auf Energie. Positiv zu werten ist, dass in der Türkei rund 75 Prozent der Stahlproduktionskapazität auf Elektrolichtbogenöfen (EAF) entfallen, die wegen ihres Einsatzes von Strom eine bessere CO2-Bilanz haben als kohlebasierte Hochöfen. Allerdings hat Strom in der Türkei eine hohe Emissionsintensität. In der Türkei gab es 2022 landesweit 41 Rohstahlproduktionsanlagen, darunter 27 EAF, 11 Induktionsöfen IF und drei integrierte Stahlwerke. Die Stahlindustrie ist bei Rohstoffen und Vorprodukten in hohem Maße auf Importe angewiesen. Sie ist Nettoimporteuer von Eisenerz, Stahlschrott, Kohle und Elektroden für die EAF-Prozesse.

Die Türkei ist der größte Schrottimporteuer unter den stahlproduzierenden Ländern. Schrott wird vor allem aus der EU und den USA importiert, also aus Ländern mit eher strikten Emissionsvorgaben. Lokal beschaffter Schrott stammt oft aus der Schiffsabwrackindustrie und aus Altfahrzeugen.

Die politische Forschungsorganisation Istanbul Policy Center (IPC) hat im Juni 2023 einen Bericht zum Stand der Dekarbonisierung in der türkischen Stahlindustrie in türkischer Sprache veröffentlicht.

Anteil der Energiekosten an den Gesamtherstellungskosten 2019

Bezeichnung

Anteil (in Prozent)

Zement

55

Ammoniak

50

Aluminium

30

Glas

30

Stahl

30

Düngemittel

25

Papierprodukte

25

Keramik

20

Textilien

12

Lebensmittel

10

Quelle: Industrielle Entwicklungsbank TSKB 2021

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