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Verstoß gegen das Verbot von Kinderarbeit
Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.
15.09.2023
(Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 LkSG)
Kurzbeschreibung: Verbot der Beschäftigung eines Kindes unter dem zulässigen Mindestalter. Das zulässige Mindestalter richtet sich grundsätzlich nach dem Recht des Beschäftigtenortes und darf ein Alter von 15 Jahren nicht unterschreiten. Ausnahmen sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG). Darüber hinaus sind schlimmste Formen der Kinderarbeit verboten. Hier sind vor allem Sklaverei und sklavereiähnliche Praktiken sowie Arbeiten gemeint, die für die Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit des Kindes schädlich sind.
Gesetzliche Grundlagen
Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat alle zehn Kernübereinkommen ratifiziert. Zu den sogenannten Kernarbeitsnormen gehören auch die hier relevanten Übereinkommen über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung (ILO-Übereinkommen Nr. 138) sowie das Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (ILO-Übereinkommen Nr. 182). Die jeweiligen nationalen gesetzlichen Vorgaben für das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung der Mitgliedstaaten des Übereinkommens Nr. 138 der ILO sind in der Datenbank NORMLEX abrufbar (Übersicht). Das gesetzlich festgelegte Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung liegt in der Türkei bei 15 Jahren. Informationen zu Mitgliedschaften in internationalen Abkommen sind in der Datenbank NORMLEX (Information System on International Labour Standards) der ILO verfügbar (Ratifications by country).
Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar (Browse by country).
Weiterführende Informationen zu Definition und rechtlichen Instrumenten bezüglich des Verbots von Kinderarbeit bietet der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte.
Risiken
Die Türkei belegt nach dem Children's Rights Atlas von 2018 den Workplace Index 3,7/10 Punkten. Bewertet werden rechtliche Rahmenbedingungen, deren administrative Durchsetzung und Ergebnisindikatoren, darunter Anteil und Prävalenz von Kinderarbeit. Der Children's Rights and Business Atlas orientiert sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Je höher der Länder-Score ausfällt, desto höhere Anforderungen sind an die gebotene Sorgfalt von Unternehmen zu stellen, um die Rechte der Kinder zu respektieren und zu unterstützen.
Die Türkei schneidet beim Workplace Index besser ab als der internationale Durchschnitt von 4,4/10 Punkten. Dennoch ist das Land damit in einem Bereich, in dem Unternehmen ein erhöhtes Maß (Kategorie: „enhanced“) an Sorgfalt empfohlen wird, um mögliche nachteilige Auswirkungen des eigenen Engagements auf die Rechte von Kindern zu identifizieren und zu vermeiden. Die Türkei wird anhand des Workplace Index schlechter eingeschätzt als die regionalen Vergleichsländer Rumänien (3/10), Serbien (3,4/10), Bulgarien (3,4/10) und Griechenland (3,5/10).
Innerhalb der drei Unterkategorien des Indices wird der Rechtsrahmen der Türkei mit 2,1/10 Punkten als vergleichsweise gut bewertet (internationaler Durchschnitt 3,5/10) und den Unternehmen wird ein normales Maß (Kategorie „basic“) an Sorgfalt empfohlen. Bei der administrativen Umsetzung schneidet die Türkei mit 5,9/10 Punkten schlechter ab, als der internationale Durchschnitt (5,5/10). Besser als der Durchschnitt (4,3/10), aber keineswegs gut, wird die Situation mit 3,4/10 Punkten bei den Ergebnissen bewertet. In beiden Kategorien wird deshalb ein erhöhtes Maß an Sorgfalt angeraten.
Die türkische Regierung ist sich des Problems der Kinderarbeit bewusst und geht dagegen vor. Rund 720.000 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren waren, der jüngsten Umfrage des türkischen Statistikamtes zu Schlüsselindikatoren zu Kinder- und Jugendarbeit, im Zeitraum Oktober bis Dezember 2019 erwerbstätig. Dies waren 4,4 Prozent von den 14,3 Millionen Kindern und Jugendlichen in dieser Altersklasse. Von diesen Erwerbstätigen waren 20 Prozent in der Altersgruppe von 6 bis 15 Jahren. Von den besonders jungen Kindern von 6 bis 11 Jahren waren der Umfrage zufolge geschätzt rund 32.000 erwerbstätig. Syrische Flüchtlingskinder sind in der Statistik nicht erfasst.
Indikator | Erwerbstätige 6 bis 14 Jahre | Anteil (in Prozent) | Erwerbstätige 15 bis 17 Jahre | Anteil (in Prozent) |
---|---|---|---|---|
Anzahl Erwerbstätige | 146.000 | 100 | 574.000 | 100 |
davon zusätzlicher Schulbesuch | 105.000 | 71,9 | 368.000 | 64,1 |
davon Schule beendet oder | 41.000 | 28,1 | 206.000 | 35,9 |
Sektor | 100 | 100 | ||
Agrarwirtschaft | 94.000 | 64,1 | 128.000 | 22,3 |
Industrie | 17.000 | 11,7 | 153.000 | 26,8 |
Dienstleistungen | 35.000 | 24,2 | 292.000 | 51,0 |
Art der Erwerbstätigkeit | 100 | 100 | ||
Angestellt (regelmäßig oder | 35.000 | 23,8 | 421.000 | 73,3 |
Selbstständig | 2.000 | 1,0 | 2.000 | 0,4 |
Mithelfende | 110.000 | 75,2 | 151.000 | 26,3 |
Risiken in Landwirtschaft, Textilverarbeitung und Dienstleistungen
Kinderarbeit ist durch die türkische Verfassung und durch nationale Arbeits- und Bildungsgesetze verboten. In der Realität scheitert die Durchsetzung des Verbots jedoch häufig an wenig konsequenter Umsetzung, geringer Mittelausstattung und unzureichenden Inspektionen. Kinder arbeiten meist in Bereichen mit hohem informellen Anteil der Beschäftigung: als Erntehelfer in der Landwirtschaft, als Straßenverkäufer, Abfallsammler, Hausangestellte oder unbezahlt in Familienbetrieben wie Restaurants oder kleinen Geschäften. Das Risiko von Kinderarbeit dürfte ebenfalls in der Textilbranche höher sein, wenn in Fällen von Heimarbeit oder bei kleinen Subunternehmern genäht wird. Bezahlte Kinderarbeit lässt sich auch in einigen Industrien, wie bei der Verwertung von Plastikabfällen, beobachten oder in handwerklichen Betrieben wie Autowerkstätten.
Kinderarbeit in der Türkei ist meist durch Armut verursacht. Ein erhöhtes Risiko besteht für syrische Flüchtlingskinder und -jugendliche sowie Kinder von Minderheiten und/oder Familien aus der wirtschaftlich schwachen Region Ostanatolien, die als Saisonarbeiter durchs Land reisen. Das Risiko von Kinderarbeit könnte sich durch die verheerenden Erdbeben Anfang Februar 2023 im Osten der Türkei und den dadurch erfolgten Zustrom von Erdbebenopfern in andere Städte, insbesondere Istanbul, erhöht haben.
In der Landwirtschaft ist das Risiko für Kinderarbeit bei der Ernte von bodennahen und/oder von Hand gepflückten Agrarerzeugnissen wie Haselnüssen, Tomaten, Erdbeeren, Aprikosen oder Baumwolle besonders groß. Zudem kann es Berichten zufolge in der Landwirtschaft auch manchmal in den weiterverarbeitenden Betrieben, besonders in den Sommermonaten, zu Kinderarbeit kommen, wie etwa in den Getreidemühlen. Bei der Teeernte scheint der Einsatz von Kindern laut Branchenkennern wegen der Erntetechnik eher unwahrscheinlich. Das Bewusstsein zur Einhaltung des Verbots von Kinderarbeit nimmt bei der Haselnussernte und in der Textilindustrie zu, nicht zuletzt wegen zahlreicher Medienberichte.
Angesichts komplexer Lieferketten ist auch nicht auszuschließen, dass beispielsweise über Importe deutscher Zulieferbetriebe von Rohstoffen oder Vorprodukten aus risikobehafteten Ländern ein Risiko für Kinderarbeit besteht und somit Einfluss genommen werden kann. In die Türkei werden beispielsweise in erheblichem Umfang Garne aus China importiert, die dann unter anderem bei türkischen Textilunternehmen zur Fertigung eingesetzt werden. Andere große Lieferländer textiler Produkte (SITC 65), wozu neben Garnen auch Stoffe, Fertigwaren und textile Bodenbeläge zählen, waren 2022 unter anderem aus Indien, Usbekistan, Ägypten, Malaysia und Pakistan.
Um mögliche Kinderarbeitsrisiken in anderen Branchen der Türkei zu ermitteln, können Unternehmen auf den CSR Risiko-Check zurückgreifen.
Präventions- und Abhilfemaßnahmen
Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt.
Das Verbot von Kinderarbeit ist in der Türkei gesetzlich festgeschrieben. Es gibt Unternehmen in der Türkei, insbesondere solche mit bereits langjährigen Lieferbeziehungen nach Nordamerika, die die Achtung von Menschenrechten und das Verbot von Kinderarbeit in ihren internen Verhaltensvorschriften (Codes of Conduct) verankert haben (mittelständische Unternehmen haben diese meist nicht) oder das in ihren Lieferantenverträgen abbilden.
Zur Reduzierung des Risikos von Kinderarbeit in der Landwirtschaft schaffen beispielsweise einzelne Unternehmen Möglichkeiten zur Kinderbetreuung. Dies gilt besonders, wenn die Erntezeit in die Schulferienzeit fällt (wie etwa bei Haselnüssen im Monat August). Gegebenenfalls könnte in Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen schulischer Unterricht angeboten werden. Beobachter sehen bei vielen Kindern von Erntehelfern schulischen Nachholbedarf, da sie aus bildungsfernen Schichten stammen oder eingeschränkte Möglichkeiten zum Schulbesuch haben.
Die türkische Regierung hat ein Nationales Programm zur Eliminierung von Kinderarbeit 2017 bis 2023 aufgesetzt und geht das Thema im 11. Entwicklungsplan und der Nationalen Beschäftigungsstrategie 2014 bis 2023 an. Ziele sind die Reduzierung der Kinderarbeit in den schlimmsten Formen bei schwerer und gefährlicher Arbeit in der Industrie, bei Arbeiten auf der Straße (Straßenhandel, Abfallsammler etc.) und in der saisonalen Landwirtschaft. In anderen Bereichen soll die Kinderarbeit auf unter 2 Prozent reduziert werden.
Für Präventions- und Abhilfemaßnahmen im Bereich Kinderarbeit in Unternehmen steht die Eliminating and Preventing Child Labour: Checkpoints app der ILO zur Verfügung. Für den Austausch von Unternehmen in Lieferketten und dem Aufsetzen gemeinsamer Programme bietet sich die Child Labour Plattform an. Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots von Kinderarbeit können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Kinderarbeit im Sorgfaltsprozess adressieren eingesehen werden.