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Special | Türkei | LkSG | Umsetzungshilfe Risikoanalyse

Menschenrechtliche Risiken, Präventions- und Abhilfemaßnahmen

Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

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Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wurde am 11. Juni 2021 vom Deutschen Bundestag beschlossen und am 22. Juli 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet. Es ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Im Rahmen dieser Publikation erfolgen Ausführungen zu den menschenrechtlichen Risiken, Präventions- und Abhilfemaßnahmen im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1-8 LkSG. Umweltbezogene Risiken, widerrechtlicher Entzug von Land und Lebensgrundlagen sowie menschenrechtliche Risiken durch private oder staatliche Sicherheitskräfte im Dienste von Unternehmen i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 9-12, Abs. 3 LkSG werden nicht betrachtet.

Das Angebot unterstützt bei der abstrakten Risikobetrachtung im Rahmen der Durchführung von Risikoanalysen, siehe Handreichung zur Umsetzung von Risikoanalysen nach den Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). 

Die hier zur Verfügung gestellten Informationen stellen Erstinformationen dar und ersetzen keine individuelle rechtliche Beratung. Ein Anspruch auf Vollständigkeit und Ausschließlichkeit der Inhalte wird nicht erhoben.

Herausgeber: Germany Trade & Invest (GTAI), Auswärtiges Amt (AA) und Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK); Redaktionsschluss: 31. Juli 2023

  • Anforderungen des LkSG und Auswirkungen auf Unternehmen

    Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

    Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ist am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. In den Anwendungsbereich fallen Unternehmen ab 3.000 Arbeitnehmern. Für Unternehmen mit mindestens 1.000 Arbeitnehmern gilt das Gesetz ab dem 1. Januar 2024.

    Mit dem LkSG werden die Unternehmen verpflichtet, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Der gesetzliche Sorgfaltspflichtenkatalog umfasst dabei folgende Elemente:

    Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bietet in Fragen und Antworten zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz weiterführende Informationen.

    Grundsätzlich sollen auch Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte übernehmen. Bereits seit 2016 gilt der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), der entsprechende Erwartungen an alle in Deutschland ansässigen Unternehmen formuliert. Das LkSG orientiert sich weitgehend an den Sorgfaltsvorgaben der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

    Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die zwar nicht den gesetzlichen Sorgfaltspflichten des LkSG unterliegen, können trotzdem mit den Anforderungen des Gesetzes in Berührung kommen. Dies ist dann der Fall, wenn ein KMU als Zulieferer von Waren und Dienstleistungen für ein anderes Unternehmen fungiert, das wiederum den LkSG-Pflichten unterliegt. Das KMU gilt dann als unmittelbarer Zulieferer. Unmittelbare Zulieferer, bei denen ein Risiko vermutet wird, müssen von dem verpflichteten Unternehmen in seine konkrete Risikoanalyse und gegebenenfalls in Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie in die Einrichtung seines Beschwerdeverfahrens einbezogen werden.

    Die Handreichung des Bundesamtes für Ausfuhrkontrolle Zusammenarbeit in der Lieferkette zwischen verpflichteten Unternehmen und ihren Zulieferern bietet KMU eine Hilfestellung, die mit den Anforderungen des LkSG konfrontiert werden. 

    Am 24. Februar 2022 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten vorgelegt, der teilweise über das deutsche LkSG hinausgeht. Am 1. Dezember 2022 der Rat der EU seine Verhandlungsposition (allgemeine Ausrichtung) zur Richtlinie festgelegt. Am 1. Juni 2023 hat das EU-Parlament seine Position beschlossen (Parlamentsentwurf). Derzeit laufen nun die sogenannten Trilog-Verhandlungen zwischen den drei Institutionen über die finale Version der Richtlinie.

    Im Rahmen der deutschen Außenwirtschaftsförderinstrumente nimmt die Berücksichtigung von Menschenrechten einen hohen Stellenwert ein. Bei der Vergabe von Investitions- und Exportkreditgarantien werden menschenrechtliche Aspekte entsprechend nationaler und internationaler Regelwerke geprüft. Künftig werden keine neuen Bundesdeckungen mehr für Exporteure übernommen, die solch schwerwiegende Verstöße gegen das LkSG begangen haben, dass sie von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen sind (§ 22 LkSG).

    Das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert als zuständige Prüfbehörde, ob die betroffenen Unternehmen die gesetzlichen Sorgfaltspflichten angemessen erfüllen.

    Zu den konkreten Aufgaben gehören:

    • zu überprüfen, ob Unternehmen ihrer Berichtspflicht nachkommen
    • die Durchführung von Kontrollen
    • Verstöße festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern
    • die Verhängung von Zwangs- und Bußgeldern

    Auswirkungen des LkSG auf Handels- und Investitionstätigkeiten deutscher Unternehmen in Bezug auf die Türkei

    Unternehmen sind verpflichtet, im Rahmen des Risikomanagements eine Risikoanalyse zur Ermittlung der entsprechenden Risiken im eigenen Geschäftsbereich sowie beim unmittelbaren Zulieferer (sogenannte regelmäßige Risikoanalyse) und in bestimmten Fällen auch beim mittelbaren Zulieferer (sogenannte anlassbezogene Risikoanalyse) zu ermitteln. Der eigene Geschäftsbereich umfasst dabei jede Tätigkeit zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen, unabhängig davon, ob sie an einem Standort im In- oder Ausland vorgenommen wird. Insofern sind die weltweiten Tätigkeiten in sämtlichen Betriebsstätten, Fabriken, Lagern und Büros zu betrachten. Auch bei konzernangehörigen Unternehmen kann der Geschäftsbereich des Tochterunternehmens unter bestimmten Voraussetzungen zum Geschäftsbereich des Mutterunternehmens gehören (vgl. § 2 Abs. 6 LkSG).

    Zur (anlassbezogenen) Risikoanalyse und Prävention in der gesamten Lieferkette, also auch bei mittelbaren Zulieferern (mit denen keine Vertragsbeziehung besteht), sind Unternehmen nur dann verpflichtet, wenn sie substantiierte Kenntnis über mögliche Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette haben. Diese besteht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine Verletzung einer menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Pflicht möglich erscheinen lassen. Tatsächliche Anhaltspunkte sind zum Beispiel Medienberichte, Beschwerden, Vorfälle in der Vergangenheit, Zugehörigkeit eines mittelbaren Zulieferers zu einer besonders risikobehafteten Branche etc.

    Insbesondere globale Lieferketten bestehen oft aus einer Vielzahl von mittelbaren Zulieferern, die zudem häufig in Entwicklungs- und Schwellenländern ansässig sind. Hier kann es sich anbieten, entsprechende Teile der Lieferkette bereits in die jährliche Risikoanalyse zu integrieren.

    Gute Arbeitsbedingungen sind in der Türkei in hochproduktiven und international ausgerichteten, großen Unternehmen weithin Standard, aber außerhalb dieser Gruppe längst nicht in allen Unternehmen. Viele Unternehmen in der Türkei sind vor allem im informellen Sektor aktiv. Hier dürften die Risiken bei der Einhaltung von Standards deutlich höher sein, als bei Unternehmen, die bereits jetzt eng in internationale Lieferketten eingebunden sind. Ein nicht unerheblicher Teil der Beschäftigten in der Türkei arbeitet ohne ausreichenden Zugang zu grundlegenden Arbeitnehmerrechten, ohne soziale Sicherung, zum Mindestlohn oder auch unter dem Mindestlohn. Armut und Abhängigkeiten begünstigen Ausbeutung.

    Stärker anfällig für Missstände im Sinne des hier betrachteten § 2 Abs. 2 Nr. 1-8 LkSG dürften insbesondere die Landwirtschaft (Ernte und einfache Verarbeitung), in weiten Teilen einfache Dienstleistungen (Gastronomie, Logistik, Einzelhandel), Bereiche der Textilwirtschaft und Lederverarbeitung sowie arbeitsintensive Produktionen mit Schwerpunkten in der Rohstoffgewinnung sein. Einzelne Fälle werden auch aus der Abfallverwertung wie der Aufbereitung von Kunststoffabfällen berichtet. In Bezug auf Arbeits- und Gesundheitsschutz gelten Berg- und Schiffsbau, die Metallindustrie sowie die Baubranche als besonders gefährdet.

    Die türkische Regierung nimmt ihre Verantwortung ernst, es gibt im Wesentlichen die notwendigen Regelungen, jedoch sind die Kapazitäten zur Durchsetzung, etwa in Form nicht angekündigter Inspektionen, begrenzt.

    Die Lieferbeziehungen zwischen der Türkei und Deutschland sind rege. Die Türkei verfügt über eine breit aufgestellte Industriebasis und die Einbindung des Landes in internationale Lieferketten ist hoch. Durch die geographische Nähe zur EU ist die Türkei für deutsche Unternehmen ein wichtiger Beschaffungsmarkt und Produktionsstandort. Dies hat sich durch Bestrebungen im Nearshoring infolge der Coronapandemie noch verstärkt. Zudem besteht zwischen der Türkei und der EU eine Zollunion. Deutschland ist wertmäßig der größte Abnehmer türkischer Produkte weltweit.

    Zahlreiche deutsche Unternehmen haben in der Türkei einen Produktionsstandort aufgebaut. Die türkische Statistik registriert über 7.900 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung, die zusammen mehr als 70.000 Menschen beschäftigen. Darunter neben großen Unternehmen wie Siemens, Bosch oder Hugo Boss auch viele Mittelständler. Die produzierenden deutschen Unternehmen sind in der Regel auf den Export ausgerichtet. Viele liefern ihre Erzeugnisse in die EU, auch nach Deutschland.

    Deutsche Unternehmen, die enge Beziehungen zu Lieferanten aus der Türkei pflegen oder eigene Niederlassungen in der Türkei haben, sind nach hiesiger Erkenntnis sorgfältig. Arbeitsbedingungen und Entgelte sind in diesen Unternehmen im lokalen Vergleich gemeinhin überdurchschnittlich. Angesichts komplexer Lieferketten ist jedoch nicht auszuschließen, dass auch bei Zulieferbetrieben von deutschen Unternehmen, besonders bei mittelbaren, Menschenrechtsverletzungen vorkommen.

    Das Handelsvolumen von Deutschland und der Türkei betrug 2022 rund 52 Milliarden Euro. Deutschland importiert vor allem halbfertige und fertige Erzeugnisse.

    Deutschlands Importe aus der Türkei

    Produkt

    2022 (Anteil in Prozent)

    Textilien/Bekleidung    

    24,3

    Kfz und -Teile

                    16,4

    Maschinen        

    11,9

    Nahrungsmittel

    6,6

    Elektrotechnik

    5,4

    Metallwaren

    6,0

    Chemische Erzeugnisse

    4,2

    NE-Metalle

    4,7

    Kautschukerzeugnisse

    2,8

    Möbel und -teile

    2,4

    Sonstige

    15,3

    Quelle: Statistisches Bundesamt 2023

    Die nachfolgende Tabelle zeigt den Import von Produkten, die deutsche Unternehmen aus der Türkei beziehen, die mit einem Risiko eines Verstoßes gegen einen oder mehrere der in § 2 Abs. 2 Nr. 1-8 LkSG aufgeführten Verbotstatbestände behaftet sein können: Kinderarbeitsverbot, Verbot der schlimmsten Formen von Kinderarbeit, Verbot von Zwangsarbeit, Verbot aller Formen von Sklaverei, Verbot der Missachtung von Arbeitsschutz, Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit, Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung, Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns.

    Deutsche Importe möglicher risikobehafteter Produkte aus der Türkei

    Produktgruppe

    Produkt

    2022 (in Millionen US$)

    Nahrungsmittel

    Gemüse und Früchte

    1.326

      davon Haselnüsse

    282

    Rohstoffe

    Metallurgische Erzeugnisse und Metallabfälle

    132

    Spinnstoffe und ihre Abfälle (Baumwolle etc.)

    104

    Bor

    139

    Kork und Holz

    31

    Textilien/Bekleidung

    Bekleidung und Bekleidungszubehör

    5.009

    Garne, Gewebe, fertiggestellte Spinnstofferzeugnisse (Bettwäsche, Handtücher etc.)

    1.297

    Schuhe

    127

    Bearbeitete Waren

    Eisen und Stahl

    490

    NE-Metalle

    1.218

    Metallwaren, a.n.g.

    1.554

    Kautschukwaren

    729

    Leder, Lederwaren

    23

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023; Statistisches Bundesamt 2023

  • Verstoß gegen das Verbot von Kinderarbeit

    Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

    (Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 LkSG)

    Kurzbeschreibung: Verbot der Beschäftigung eines Kindes unter dem zulässigen Mindestalter. Das zulässige Mindestalter richtet sich grundsätzlich nach dem Recht des Beschäftigtenortes und darf ein Alter von 15 Jahren nicht unterschreiten. Ausnahmen sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 LkSG). Darüber hinaus sind schlimmste Formen der Kinderarbeit verboten. Hier sind vor allem Sklaverei und sklavereiähnliche Praktiken sowie Arbeiten gemeint, die für die Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit des Kindes schädlich sind.

    Gesetzliche Grundlagen

    Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat alle zehn Kernübereinkommen ratifiziert. Zu den sogenannten Kernarbeitsnormen gehören auch die hier relevanten Übereinkommen über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung (ILO-Übereinkommen Nr. 138) sowie das Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (ILO-Übereinkommen Nr. 182). Die jeweiligen nationalen gesetzlichen Vorgaben für das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung der Mitgliedstaaten des Übereinkommens Nr. 138 der ILO sind in der Datenbank NORMLEX abrufbar (Übersicht). Das gesetzlich festgelegte Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung liegt in der Türkei bei 15 Jahren. Informationen zu Mitgliedschaften in internationalen Abkommen sind in der Datenbank NORMLEX (Information System on International Labour Standards) der ILO verfügbar (Ratifications by country).

    Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar (Browse by country).

    Weiterführende Informationen zu Definition und rechtlichen Instrumenten bezüglich des Verbots von Kinderarbeit bietet der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte.

    Risiken

    Die Türkei belegt nach dem Children's Rights Atlas von 2018 den Workplace Index 3,7/10 Punkten. Bewertet werden rechtliche Rahmenbedingungen, deren administrative Durchsetzung und Ergebnisindikatoren, darunter Anteil und Prävalenz von Kinderarbeit. Der Children's Rights and Business Atlas orientiert sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Je höher der Länder-Score ausfällt, desto höhere Anforderungen sind an die gebotene Sorgfalt von Unternehmen zu stellen, um die Rechte der Kinder zu respektieren und zu unterstützen.

    Die Türkei schneidet beim Workplace Index besser ab als der internationale Durchschnitt von 4,4/10 Punkten. Dennoch ist das Land damit in einem Bereich, in dem Unternehmen ein erhöhtes Maß (Kategorie: „enhanced“) an Sorgfalt empfohlen wird, um mögliche nachteilige Auswirkungen des eigenen Engagements auf die Rechte von Kindern zu identifizieren und zu vermeiden. Die Türkei wird anhand des Workplace Index schlechter eingeschätzt als die regionalen Vergleichsländer Rumänien (3/10), Serbien (3,4/10), Bulgarien (3,4/10) und Griechenland (3,5/10).

    Innerhalb der drei Unterkategorien des Indices wird der Rechtsrahmen der Türkei mit 2,1/10 Punkten als vergleichsweise gut bewertet (internationaler Durchschnitt 3,5/10) und den Unternehmen wird ein normales Maß (Kategorie „basic“) an Sorgfalt empfohlen. Bei der administrativen Umsetzung schneidet die Türkei mit 5,9/10 Punkten schlechter ab, als der internationale Durchschnitt (5,5/10). Besser als der Durchschnitt (4,3/10), aber keineswegs gut, wird die Situation mit 3,4/10 Punkten bei den Ergebnissen bewertet. In beiden Kategorien wird deshalb ein erhöhtes Maß an Sorgfalt angeraten.

    Die türkische Regierung ist sich des Problems der Kinderarbeit bewusst und geht dagegen vor. Rund 720.000 Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 17 Jahren waren, der jüngsten Umfrage des türkischen Statistikamtes zu Schlüsselindikatoren zu Kinder- und Jugendarbeit, im Zeitraum Oktober bis Dezember 2019 erwerbstätig. Dies waren 4,4 Prozent von den 14,3 Millionen Kindern und Jugendlichen in dieser Altersklasse. Von diesen Erwerbstätigen waren 20 Prozent in der Altersgruppe von 6 bis 15 Jahren. Von den besonders jungen Kindern von 6 bis 11 Jahren waren der Umfrage zufolge geschätzt rund 32.000 erwerbstätig. Syrische Flüchtlingskinder sind in der Statistik nicht erfasst.

    Schlüsselindikatoren zur Kinder- und Jugendarbeit in der Türkei *)

    Indikator

     Erwerbstätige 6 bis 14 Jahre

    Anteil

    (in Prozent)

     Erwerbstätige 15 bis 17 Jahre

    Anteil

    (in Prozent)

    Anzahl Erwerbstätige

    146.000

    100

    574.000

    100

      davon zusätzlicher Schulbesuch

    105.000

    71,9

    368.000

    64,1

      davon Schule beendet oder
      abgebrochen

    41.000

    28,1

    206.000

    35,9

    Sektor

    100

    100

      Agrarwirtschaft

    94.000

    64,1

    128.000

    22,3

      Industrie

    17.000

    11,7

    153.000

    26,8

      Dienstleistungen

    35.000

    24,2

    292.000

    51,0

    Art der Erwerbstätigkeit

    100

    100

      Angestellt (regelmäßig oder
      saisonal)

    35.000

    23,8

    421.000

    73,3

      Selbstständig

    2.000

    1,0

    2.000

    0,4

      Mithelfende
      Familienangehörige (unbezahlt)

    110.000

    75,2

    151.000

    26,3

    * 4. Quartal 2019.Quelle: Türkisches Statistikamt TÜIK Household Labour Force Survey, März 2020

    Risiken in Landwirtschaft, Textilverarbeitung und Dienstleistungen

    Kinderarbeit ist durch die türkische Verfassung und durch nationale Arbeits- und Bildungsgesetze verboten. In der Realität scheitert die Durchsetzung des Verbots jedoch häufig an wenig konsequenter Umsetzung, geringer Mittelausstattung und unzureichenden Inspektionen. Kinder arbeiten meist in Bereichen mit hohem informellen Anteil der Beschäftigung: als Erntehelfer in der Landwirtschaft, als Straßenverkäufer, Abfallsammler, Hausangestellte oder unbezahlt in Familienbetrieben wie Restaurants oder kleinen Geschäften. Das Risiko von Kinderarbeit dürfte ebenfalls in der Textilbranche höher sein, wenn in Fällen von Heimarbeit oder bei kleinen Subunternehmern genäht wird. Bezahlte Kinderarbeit lässt sich auch in einigen Industrien, wie bei der Verwertung von Plastikabfällen, beobachten oder in handwerklichen Betrieben wie Autowerkstätten.

    Kinderarbeit in der Türkei ist meist durch Armut verursacht. Ein erhöhtes Risiko besteht für syrische Flüchtlingskinder und -jugendliche sowie Kinder von Minderheiten und/oder Familien aus der wirtschaftlich schwachen Region Ostanatolien, die als Saisonarbeiter durchs Land reisen. Das Risiko von Kinderarbeit könnte sich durch die verheerenden Erdbeben Anfang Februar 2023 im Osten der Türkei und den dadurch erfolgten Zustrom von Erdbebenopfern in andere Städte, insbesondere Istanbul, erhöht haben.

    In der Landwirtschaft ist das Risiko für Kinderarbeit bei der Ernte von bodennahen und/oder von Hand gepflückten Agrarerzeugnissen wie Haselnüssen, Tomaten, Erdbeeren, Aprikosen oder Baumwolle besonders groß. Zudem kann es Berichten zufolge in der Landwirtschaft auch manchmal in den weiterverarbeitenden Betrieben, besonders in den Sommermonaten, zu Kinderarbeit kommen, wie etwa in den Getreidemühlen. Bei der Teeernte scheint der Einsatz von Kindern laut Branchenkennern wegen der Erntetechnik eher unwahrscheinlich. Das Bewusstsein zur Einhaltung des Verbots von Kinderarbeit nimmt bei der Haselnussernte und in der Textilindustrie zu, nicht zuletzt wegen zahlreicher Medienberichte.

    Angesichts komplexer Lieferketten ist auch nicht auszuschließen, dass beispielsweise über Importe deutscher Zulieferbetriebe von Rohstoffen oder Vorprodukten aus risikobehafteten Ländern ein Risiko für Kinderarbeit besteht und somit Einfluss genommen werden kann. In die Türkei werden beispielsweise in erheblichem Umfang Garne aus China importiert, die dann unter anderem bei türkischen Textilunternehmen zur Fertigung eingesetzt werden. Andere große Lieferländer textiler Produkte (SITC 65), wozu neben Garnen auch Stoffe, Fertigwaren und textile Bodenbeläge zählen, waren 2022 unter anderem aus Indien, Usbekistan, Ägypten, Malaysia und Pakistan.

    Um mögliche Kinderarbeitsrisiken in anderen Branchen der Türkei zu ermitteln, können Unternehmen auf den CSR Risiko-Check zurückgreifen.

    Präventions- und Abhilfemaßnahmen

    Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt. 

    Das Verbot von Kinderarbeit ist in der Türkei gesetzlich festgeschrieben. Es gibt Unternehmen in der Türkei, insbesondere solche mit bereits langjährigen Lieferbeziehungen nach Nordamerika, die die Achtung von Menschenrechten und das Verbot von Kinderarbeit in ihren internen Verhaltensvorschriften (Codes of Conduct) verankert haben (mittelständische Unternehmen haben diese meist nicht) oder das in ihren Lieferantenverträgen abbilden.

    Zur Reduzierung des Risikos von Kinderarbeit in der Landwirtschaft schaffen beispielsweise einzelne Unternehmen Möglichkeiten zur Kinderbetreuung. Dies gilt besonders, wenn die Erntezeit in die Schulferienzeit fällt (wie etwa bei Haselnüssen im Monat August). Gegebenenfalls könnte in Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen schulischer Unterricht angeboten werden. Beobachter sehen bei vielen Kindern von Erntehelfern schulischen Nachholbedarf, da sie aus bildungsfernen Schichten stammen oder eingeschränkte Möglichkeiten zum Schulbesuch haben.

    Die türkische Regierung hat ein Nationales Programm zur Eliminierung von Kinderarbeit 2017 bis 2023 aufgesetzt und geht das Thema im 11. Entwicklungsplan und der Nationalen Beschäftigungsstrategie 2014 bis 2023 an. Ziele sind die Reduzierung der Kinderarbeit in den schlimmsten Formen bei schwerer und gefährlicher Arbeit in der Industrie, bei Arbeiten auf der Straße (Straßenhandel, Abfallsammler etc.) und in der saisonalen Landwirtschaft. In anderen Bereichen soll die Kinderarbeit auf unter 2 Prozent reduziert werden.

    Für Präventions- und Abhilfemaßnahmen im Bereich Kinderarbeit in Unternehmen steht die Eliminating and Preventing Child Labour: Checkpoints app der ILO zur Verfügung. Für den Austausch von Unternehmen in Lieferketten und dem Aufsetzen gemeinsamer Programme bietet sich die Child Labour Plattform an. Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots von Kinderarbeit können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Kinderarbeit im Sorgfaltsprozess adressieren eingesehen werden.

  • Verstoß gegen das Verbot von Zwangsarbeit und aller Formen der Sklaverei

    Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

    (Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 LkSG)

    Kurzbeschreibung: Indikatoren für Zwangsarbeit sind das Einbehalten von Löhnen, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Beschäftigten, das Einbehalten von Ausweisdokumenten, die Schaffung unzumutbarer Arbeits- und Lebensverhältnisse durch Arbeit unter gefährlichen Bedingungen, unzumutbare Unterkünfte, exzessives Maß an Überstunden sowie die Anwendung von Drohungen und/oder Gewalt. Beispiele für Zwangsarbeit sind insbesondere Menschenhandel und Schuldknechtschaft. Das Verbot von Sklaverei umfasst sämtliche Formen von Herrschaftsausübung oder Unterdrückung im Umfeld der Arbeitsstätte, wie die extreme wirtschaftliche Ausbeutung und Erniedrigung.

    Gesetzliche Grundlagen

    Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat alle zehn Kernübereinkommen ratifiziert. Dazu gehören die hier relevanten Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit (ILO-Übereinkommen Nr. 29) und über die Abschaffung von Zwangsarbeit (ILO-Übereinkommen Nr. 105). Das ILO-Protokoll von 2014 zum Übereinkommen Nr. 29 über Zwangsarbeit hat die Türkei noch nicht ratifiziert (Stand: Juli 2023). Informationen zu Mitgliedschaften in internationalen Abkommen sind in der Datenbank NORMLEX (Information System on International Labour Standards) der ILO verfügbar: Ratifications by country.

    Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar: Browse by country.

    Weiterführende Informationen zu Definition und rechtlichen Instrumenten bezüglich des Verbots von Zwangsarbeit und Sklaverei bietet der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte.

    Risiken

    Die Türkei ist nach dem Global Slavery Index von 2023, der unter anderem die Verbreitung von Zwangsarbeit und Menschenhandel weltweit bewertet, in der Kategorie Vulnerability to Modern Slavery mit 51/100 Punkten bewertet. Je höher der Wert, desto höher fällt das Risiko in Bezug auf Anfälligkeit für Zwangsarbeit aus. Die Türkei war 2022 auf Rang 6 der Länder in Europa und Zentralasien mit der höchsten Anfälligkeit für moderne Sklaverei (Tadschikistan: 67/100; Russland 60/100; Aserbaidschan: 57/100; Usbekistan: 56/100; Kirgisistan: 55/100). In der Türkei sind nach dem Index je 1.000 Personen 15,6 von Zwangsarbeit betroffen; 1,3 Millionen Menschen insgesamt. 

    Die Position der Türkei hat sich in den letzten Jahren in diversen internationalen Rankings zu Zwangsarbeit verschlechtert. Die meisten deutschen Unternehmen dürften bei ihren Lieferanten wohl weniger betroffen sein, da die höchsten Risiken im informellen Sektor bestehen. Allerdings ist angesichts komplexer Lieferketten nicht auszuschließen, dass auch bei deutschen Zulieferbetrieben, insbesondere bei mittelbaren, Zwangsarbeit vorkommt.

    Es gibt immer mal wieder Einzelberichte über Zwangsarbeit. Das Risiko in der Textilbranche könnte bei mittelbaren Zulieferern weiter groß sein, obwohl immer mehr Bekleidungsunternehmen Maßnahmen ergreifen, um Arbeitsausbeutung auch in der tieferen Lieferkette zu verhindern. Es gibt Berichte über Textilunternehmen in der Türkei, die ihre Baumwolle aus Turkmenistan beziehen und die entsprechend mit einem höheren Risiko für Zwangsarbeit behaftet sind.

    Laut Nichtregierungsorganisationen besteht ein besonderes Risiko von Ausbeutung wegen Armut bei Minderheiten, Personen aus Ostanatolien und Flüchtlingen aus Syrien. Da Flüchtlinge oft keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis haben, arbeiten sie häufig inoffiziell ohne arbeitsrechtlichen Schutz, vor allem in der Landwirtschaft und im Baugewerbe.

    Um mögliche Zwangsarbeitsrisiken in anderen Branchen der Türkei zu ermitteln, können Unternehmen auf den CSR Risiko-Check zurückgreifen.

    Präventions- und Abhilfemaßnahmen

    Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt. 

    Für die Identifizierung von Zwangsarbeit vor Ort steht die Eliminating and Preventing Forced Labour: Checkpoints app der ILO zur Verfügung. Für den Austausch von Unternehmen in Lieferketten zur Eliminierung von Zwangsarbeit bietet sich das Global Business Network on Forced Labour an. Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots der Beschäftigung von Personen in Zwangsarbeit und Sklaverei können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Zwangsarbeit im Sorgfaltsprozess adressieren und Arbeitszeiten im Sorgfaltsprozess adressieren eingesehen werden.

  • Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren

    Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

    (Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG)

    Kurzbeschreibung: Maßgeblich ist das Recht des Beschäftigtenortes. Verstöße gegen das national anwendbare Arbeitsschutzrecht sind verboten, wenn dadurch die Gefahr von Unfällen bei der Arbeit oder arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren entstehen. Dies kann durch ungenügende Sicherheitsstandards, Fehlen geeigneter Schutzmaßnahmen und ungenügende Ausbildung und Unterweisung verursacht werden.

    Gesetzliche Grundlagen

    Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat alle zehn Kernübereinkommen ratifiziert. Dazu gehören die hier relevanten Kernübereinkommen über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt (ILO-Übereinkommen Nr. 155) und über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz (ILO-Übereinkommen Nr. 187). Darüber hinaus hat die Türkei das Übereinkommen über den Arbeitsschutz im Bauwesen (ILO-Übereinkommen Nr. 167) und das Übereinkommen über den Arbeitsschutz in Berkwerken (ILO-Übereinkommen Nr. 176) ratifiziert.

    Bereits die türkische Verfassung enthält eine Vorschrift, die auch dem Arbeitsschutz dient. Danach darf niemand zu einer Arbeit gezwungen werden, die seinem Alter, seinem Geschlecht und seiner Leistungsfähigkeit nicht angemessen ist. Minderjährige, Frauen sowie körperlich und geistig behinderte Menschen genießen einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Alle Arbeitnehmer haben zudem das in der Verfassung verankerte Recht auf ausreichend Erholung und Freizeit.

    Mit dem Occupational Health and Safety Law (türkische Originalfassung, Stand: 20. Juni 2012, englische Übersetzung) hat die Türkei seit 2012 ein eigenes Arbeitsschutzgesetz. Dieses Gesetz ergänzt und konkretisiert die Vorschriften zum Arbeitsschutz aus dem Arbeitsgesetz von 2003 (Labour Act, türkische Originalfassung, Stand: 22. Mai 2003, englische Übersetzung). Sowohl das Arbeitsschutzgesetz als auch das Arbeitsgesetz regeln die Aufgaben und Befugnisse sowie die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern rund um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Das Arbeitsschutzgesetz gilt ausdrücklich für alle Werke und Arbeitsstätten sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. In den Anwendungsbereich fallen die Arbeitgeber dieser Arbeitsstätten und ihre Vertreter, alle Arbeitnehmer, einschließlich der Auszubildenden und Praktikanten.

    Beide Gesetze verpflichten Arbeitgeber dazu, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Arbeit zu gewährleisten (zum Beispiel Brandbekämpfung oder Erste Hilfe). Dazu sollen sie jederzeit die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer erforderlichen Maßnahmen treffen. Dies schließt ebenfalls die Bereitstellung der dafür erforderlichen Organisation und Mittel ein. Den Arbeitgeber trifft auch eine gesetzliche Pflicht, die Einhaltung der am Arbeitsplatz getroffenen Maßnahmen zum Arbeitsschutz zu überwachen. Dieser Pflicht zur Überwachung kommt der Arbeitgeber dadurch nach, dass er die Maßnahmen zum Arbeitsschutz beispielsweise regelmäßig an den technischen Fortschritt anpasst oder eine kohärente allgemeine Präventionspolitik betreibt, die die Technologie, die Arbeitsorganisation sowie spezifische Arbeitsbedingungen berücksichtigt.

    Das Arbeitsgesetz schreibt ebenfalls vor, dass in Betrieben ab 50 Arbeitnehmern, in denen mehr als 6 Monate lang ständig gearbeitet wird, ein Arbeitsschutzausschuss einzurichten ist. Ebenso müssen in diesem Fall ein oder mehrere Betriebsärzte im Betrieb beschäftigt sein sowie eine Gesundheitsabteilung eingerichtet werden.

    Arbeitnehmer, die einer ernsten und unmittelbaren Gefahr ausgesetzt sind, können sowohl nach dem Arbeitsschutzgesetz als auch nach dem Arbeitsgesetz einen Antrag auf Feststellung einer bestehenden Gefahr am Arbeitsplatz und auf den Erlass von Sofortmaßnahmen stellen. Bei ernster, unmittelbar drohender und unvermeidbarer Gefahr hat wiederum der Arbeitnehmer die Pflicht, seinen Arbeitsplatz oder den Gefahrenbereich zu verlassen und sich an einen sicheren Ort zu begeben. Werden die erforderlichen Maßnahmen trotz Aufforderung durch den Arbeitnehmer nicht getroffen, so kann er seinen Arbeitsvertrag gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen kündigen. Zudem hat aber auch jeder Arbeitnehmer die Verantwortung, so weit wie möglich für seine eigene Sicherheit und Gesundheit sowie für die Sicherheit und Gesundheit anderer Personen in seinem Arbeitsumfeld zu sorgen. Die Überwachung und Kontrolle der Umsetzung dieser Gesetze erfolgt durch Inspektoren des türkischen Arbeitsministeriums, Verstöße können mit Bußgeldern geahndet werden. Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar: Browse by country.

    Weiterführende Informationen zu Definition und rechtlichen Instrumenten bezüglich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz bietet der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte.

    Risiken

    Die Anzahl der Arbeitsunfälle in der Türkei ist hoch. Berichten zufolge gab es allein in den ersten sechs Monaten 2022 über 800 tödliche Arbeitsunfälle. Dies und nicht zuletzt das jüngste Grubenunglück in Amasra im Oktober 2022 zeigen, dass der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz einen Problembereich darstellt. Beobachtern zufolge gibt es zu wenig Kontrollen zur Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen und zu wenig unangekündigte Kontrollen. Zudem sei die personelle Ausstattung und Qualifikation der Inspektoren angesichts der großen Anzahl an Unternehmen nicht ausreichend. Als besonders gefährdet für die Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren gelten unter anderem der Berg- und Schiffsbau, die Metallindustrie, die Lederverarbeitung und Textilindustrie sowie die Baubranche. Vor allem auch in Bereichen, in denen ein großer Teil der Arbeitnehmer informell beschäftigt und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ausgesetzt ist, weil die informelle Beschäftigung durch die Gesetze nicht ausreichend geschützt ist.

    In der Landwirtschaft sind schlechte Unterbringungsbedingungen für Erntehelfer, Unterbezahlung und Lohnabzüge einige der Vorwürfe, die häufiger erhoben werden. In der türkischen Industrie wird beispielsweise Stahlschrott eingesetzt. Dieser wird importiert (vor allem aus den USA, Niederlanden, dem Vereinigten Königreich) oder lokal in Abwrackwerften gewonnen. Aliağa in der Provinz Izmir ist der wichtigste Standort der türkischen Abwrackwerften. Schlagzeilen machte die Abwrackung in der Vergangenheit schon wegen mangelnder Arbeitssicherheit, schlechter Arbeitsbedingungen und umweltschädlicher Recyclingprozesse. Insbesondere bei nicht EU-zertifizierten Werften scheint Vorsicht geboten. Aber auch in den für europäische Schiffe anerkannten Werften kam es schon zu Unfällen.

    Angesichts komplexer Lieferketten ist auch nicht auszuschließen, dass Unternehmen beispielsweise über Importe ihrer Zulieferbetriebe von Rohstoffen oder Vorprodukten aus risikobehafteten Ländern mittelbar für die Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren verantwortlich sind beziehungsweise darauf Einfluss nehmen könnten. Die Türkei importiert beispielsweise einen erheblichen Anteil der in der lokalen Industrie verwendeten Metalle. Bedeutende Lieferländer von Eisen und Stahl (SITC 67) waren 2022 gemessen am Wert Russland, China und Indien. NE-Metalle (SITC 68) lieferten insbesondere Russland, Kasachstan und Iran. Größter Lieferant von Metallwaren (SITC 69) war China. In der türkischen Textilindustrie werden ebenfalls importierte Rohstoffe und Vorprodukte eingesetzt. Große Lieferländer für textile Produkte (SITC 65) waren China, Indien, Usbekistan, Ägypten, Malaysia und Pakistan.

    Um mögliche Risiken bei der Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren in der Türkei zu ermitteln, können Unternehmen auf den CSR Risiko-Check zurückgreifen.

    Präventions- und Abhilfemaßnahmen 

    Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt. Zudem plant die AHK deutsche Unternehmen und türkische Lieferanten gemeinsam mit dem TÜV Süd bei der Durchführung unabhängiger, lokaler Audits zu unterstützen. Die AHK hat bereits ein Pilotaudit zusammen mit der Kanzlei Köksal & Partners und dem TÜV Süd durchgeführt. Dabei hat die Kanzlei die rechtlichen Fragestellungen erarbeitet und überprüft und TÜV Süd unter anderem die Maßnahmen mit Bezug zu umweltbezogenen Risiken und Arbeitssicherheit.

    Der Vision Zero Fund ist eine Multi-Stakeholder-Plattform, die gemeinsam mit Experten Trainings für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit in verschiedenen Lieferketten anbietet. Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots der Missachtung des Arbeitsschutzes können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz eingesehen werden.

  • Missachtung der Koalitionsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen

    Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

    (Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 6 LkSG)

    Kurzbeschreibung: Koalitionsfreiheit umfasst das Recht von Arbeitnehmern, sich frei zu Gewerkschaften zusammenschließen zu dürfen. Koalitionsfreiheit umfasst zudem in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht des Beschäftigtenortes das Recht von Gewerkschaften sich zu betätigen, was ein Streikrecht und ein Recht auf Kollektivverhandlungen beinhaltet.

    Gesetzliche Grundlagen 

    Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat alle zehn Kernübereinkommen ratifiziert. Dazu gehören die hier relevanten Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (ILO-Übereinkommen Nr. 87) sowie über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zur Kollektivverhandlungen (ILO-Übereinkommen Nr. 98). Informationen zu Mitgliedschaften in internationalen Abkommen sind in der Datenbank NORMLEX (Information System on International Labour Standards) der ILO verfügbar: Ratifications by country.

    Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar: Browse by country.

    Weiterführende Informationen zur Definition und rechtlichen Instrumenten bezüglich Vereinigungsfreiheit bietet der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte. 

    Risiken

    Die Türkei erhielt nach dem Global Rights Index 2023 vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB), der jährlich die relevanten Rahmenbedingungen zur Respektierung kollektiver Arbeitnehmerrechte durch das jeweilige Land bewertet, wie im Vorjahr das Rating 5- (1 bis 5+). Dies bedeutet, dass Rechte nicht garantiert werden. Die Türkei ist nach dem Index eines der zehn schlimmsten Länder der Welt für erwerbstätige Menschen weltweit.  

    Sozialpartnerschaften sind in der Türkei unterentwickelt. Dies ist meist auch ein Indikator dafür, dass es im Arbeitsumfeld viele ungeregelte oder unkontrollierte Bereiche geben kann. In der Türkei sind nur 14 Prozent der Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Diesen Wert meldete das türkische Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit im Januar 2023. Die Gewerkschaften mit den höchsten Mitgliederzahlen waren demnach die Organisationen für die Angestellten im Dienstleistungssektor (Hizmet-İş'i) gefolgt von Metallverarbeitung (Türk Metal Sendikası) und der Gesundheitsbranche (Öz Sağlık-İş).

    In der Praxis wird das verfassungsmäßige Recht auf Bildung von Koalitionen, das Streikrecht sowie grundlegende Beteiligungsrechte durch nationale Gesetze und in der Rechtspraxis beschränkt. (Flächen-)Tarifverträge sind selten und werden, wenn existent, nicht in der Breite umgesetzt. Vor allem in Unternehmen mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen haben Tarifverträge kaum Bedeutung. Die Ausübung des Streikrechts ist nur unter eingeschränkten Voraussetzungen legal. Es gibt Berichte über die Bekämpfung gewerkschaftlicher Bestrebungen.

    Das Verbot der Missachtung der Koalitionsfreiheit ist in vielen Wirtschaftsbereichen zu finden. Unternehmen können auf den CSR Risiko-Check zurückgreifen.

    Präventions- und Abhilfemaßnahmen

    Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt. 

    Das Freedom of Association Committee (Ausschuss für Vereinigungsfreiheit) überprüft gesondert Verstöße gegen das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen. Informationen über ILO-Verfahren der Normenkontrolle sind frei verfügbar. Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots der Missachtung der Koalitionsfreiheit können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Vereinigungsfreiheit im Sorgfaltsprozess adressieren eingesehen werden.

  • Verstoß gegen das Verbot der Ungleichbehandlung in Beschäftigung

    Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

    (Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG)

    Kurzbeschreibung: Verboten ist die Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz aufgrund von nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, Religion, etc. (Diskriminierungsverbot).

    Gesetzliche Grundlagen

    Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat alle zehn Kernübereinkommen ratifiziert. Dazu gehören die hier relevanten Übereinkommen über Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (ILO-Übereinkommen Nr. 111) sowie über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit (ILO-Übereinkommen Nr. 100). Informationen zu Mitgliedschaften in internationalen Abkommen sind in der Datenbank NORMLEX (Information System on International Labour Standards) der ILO verfügbar: Ratifications by country.

    Die türkischen Verfassung Art. 10 garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz. Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar: Browse by country.

    Weiterführende Informationen zu Definition und rechtlichen Instrumenten bezüglich Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz bietet der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte.

    Risiken

    Im Länderranking The Global Gender Gap von 2023 des Weltwirtschaftsforums liegt die Türkei beim Subindex Economic Participation and Opportunity auf Rang 133 unter insgesamt 146 Ländern weltweit. Frauen und Männer sind in der Arbeitswelt laut Frauenorganisationen meist nicht gleichgestellt. Es gibt Berichten zufolge eine Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Regelungen zur Nichtdiskriminierung und deren praktischer Umsetzung. Die Wirtschaftswelt in der Türkei ist Beobachtern zufolge von Männern dominiert. Die Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben ist deutlich geringer. Der Frauenanteil an der registrierten Beschäftigung betrug im 4. Quartal 2022 rund 31 Prozent. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle spiegelt die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz wider. Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern beträgt rund 16 Prozent. Dies zeigt eine gemeinsame Untersuchung des ILO-Büros für die Türkei und des türkischen Statistikamts TÜIK, die im September 2020 veröffentlicht wurde (Report on Measuring the Gender Wage Gap: Case of Turkey). Die Daten zeigen, dass sich das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern in der Türkei mit zunehmendem Alter und sinkendem Bildungsniveau vergrößert.

    Gleichstellungsbeauftrage oder geschlechterbezogene Quotenregelungen existieren in der Türkei bislang nicht. Die Türkei trat zum 1. Juli 2021 aus dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (die sogenannte Istanbuler Konvention) aus. LGBTQ-Menschen sind häufig Diskriminierungen ausgesetzt, auch am Arbeitsplatz und im Bildungswesen.

    Um mögliche Risiken bei der Ungleichbehandlung in der Beschäftigung der Türkei zu ermitteln, können Unternehmen auf den CSR Risiko-Check zurückgreifen.

    Präventions- und Abhilfemaßnahmen

    Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt. Zudem plant die AHK deutsche Unternehmen und türkische Lieferanten gemeinsam mit dem TÜV Süd bei der Durchführung unabhängiger, lokaler Audits zu unterstützen. 

    Es ist wichtig, dass Unternehmen zugängliche, lösungsorientierte Beschwerdeverfahren (§ 8 LkSG) einrichten. Diese können zu einer besseren Identifizierung und Wiedergutmachung von Verstößen gegen menschenrechtliche Standards in Lieferketten und internen betrieblichen Abläufen beitragen.

    Bei Beschwerdeverfahren zur Bekämpfung von Diskriminierung und zur Wiedergutmachung ist es laut Praxislotse Wirtschaft und Menschenrechte besonders wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass formale Strukturen und informelle kulturelle Aspekte die Beschäftigten davon abhalten können, Bedenken und Beschwerden vorzubringen. So sollten beispielsweise anonyme Mechanismen für diejenigen zur Verfügung stehen, die Konsequenzen befürchten.

    Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots der Ungleichbehandlung in Beschäftigung können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Diskriminierung im Sorgfaltsprozess adressieren, Gleichstellung der Geschlechter im Sorgfaltsprozess adressieren eingesehen werden.

  • Verstoß gegen das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns

    (Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 8 LkSG)

    Kurzbeschreibung: Der angemessene Lohn ist mindestens der nach dem anwendbaren Recht festgelegte Mindestlohn und bemisst sich ansonsten nach dem Recht des Beschäftigtenortes. Die örtlichen Lebenshaltungskosten des Arbeitnehmers und der Familienangehörigen sowie die örtlichen Leistungen der sozialen Sicherheit sind dabei zu berücksichtigen.

    Gesetzliche Grundlagen

    Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat das hier relevante Übereinkommen über die Einrichtung von Verfahren zur Festsetzung von Mindestlöhnen (ILO-Übereinkommen Nr. 26) ratifiziert. Bislang existieren keine internationalen Übereinkommen über existenzsichernde Löhne oder die Berechnung existenzsichernder Löhne. Informationen zu Mitgliedschaften in internationalen Abkommen sind in der Datenbank NORMLEX (Information System on International Labour Standards) der ILO verfügbar: Ratifications by country.

    Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar: Browse by country.

    Weiterführende Informationen zu Rechtlichen Instrumenten bezüglich existenzsichernder Löhne bietet der Praxislotse Wirtschaft und Menschenrechte.

    Risiken

    Das Reallohnniveau ist in der Türkei in den letzten beiden Jahren 2021 und 2022 trotz kräftiger Lohnerhöhungen durch eine sehr hohe Inflation deutlich gesunken. Der gesetzlich festgelegte Mindestlohn beläuft sich seit dem 1. Juli 2023 auf netto 11.402 Türkische Lira (TL, entspricht 385 Euro, Wechselkurs Ende Juli 2023: 1 Euro = 29,60 TL). Unter die Mindestlohnregelung fällt ein großer Teil der Beschäftigten, nämlich rund 40 Prozent. In der Exportwirtschaft soll der Anteil der Mindestlohnempfänger Beobachtern zufolge deutlich geringer sein. Der Mindestlohn wird nicht im Rahmen von Tarifverhandlungen angepasst, sondern wird von der Regierung festgesetzt.

    Die türkische Regierung hat den Mindestlohn seit Anfang 2022 wegen der ausufernden Inflation viermal erhöht (1. Januar 2022: +50 Prozent; 1. Juli 2022: +30 Prozent; 1. Januar 2023: +55 Prozent; 1. Juli 2023: +34 Prozent). Aber die Erhöhungen federn die Einbußen durch die Preissteigerungen nur ab. Die reale Kaufkraft der Haushalte ist gesunken. Die Inflation ist seit Ende 2021 auf Rekordhöhen gestiegen und erreichte im Jahresverlauf 2022 offiziellen Angaben zufolge bis zu 86 Prozent. Unabhängige Experten gehen von teils deutlich höheren Werten aus. Unregelmäßigkeiten bei Lohnzahlungen, kommen Berichten zufolge vor. Arbeitgeber würden beispielsweise rechtswidrig Sozial- und Rentenversicherungszahlungen nicht oder nicht in voller Höhe leisten. Abhängig von der jeweiligen Situation am Arbeitsmarkt gehen Beschäftigte häufiger nicht gegen solche Rechtsverletzungen vor.  

    Die Höhe des Mindestlohns wird nicht unbedingt als existenzsichernd angesehen. Bei Analysen zur Höhe existenzsichernder Löhne ist die Aktualität der Daten aufgrund der derzeit hohen Inflation kritisch. Es sollte auch berücksichtigt werden, dass die Lebenshaltungskosten in den Großstädten in der Regel deutlich höher sind als in ländlichen Gebieten der Türkei. Der Dachverband der Türkischen Industriegewerkschaften TÜRK-İŞ veröffentlicht regelmäßig eine Evaluierung zur Höhe existenzsichernder Löhne. Laut TÜRK-İŞ benötigte eine vierköpfige Familie, die in der Millionenstadt Ankara lebt, im Mai 2023 für alle Grundausgaben 33.750 TL oder umgerechnet rund 1.574 Euro, wobei 10.362 TL beziehungsweise 483 Euro auf Nahrung entfielen (Stand: Juli 2023). Die Gesamtgrundausgaben für Alleinstehende beliefen sich laut TÜRK-İŞ auf 13.440 TL (627 Euro). Der Nettomindestlohn betrug im Mai 8.500 TL (396 Euro) und ab 1. Juli 11.402 TL (405 Euro).  

    Weiterführende Informationen zum Thema existenzsichernde Löhne können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Existenzsichernde Löhne eingesehen werden.

    Präventions- und Abhilfemaßnahmen

    Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt. Zudem plant die AHK deutsche Unternehmen und türkische Lieferanten gemeinsam mit dem TÜV Süd bei der Durchführung unabhängiger, lokaler Audits zu unterstützen. 

    Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Existenzsichernde Löhne im Sorgfaltsprozess adressieren eingesehen werden.

  • Unterstützungsangebot zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen

    Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

    Das Gesetz fordert bei Feststellung eines Risikos die Implementierung angemessener Präventionsmaßnahmen sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch gegenüber dem unmittelbaren Zulieferer (§ 6 LkSG).

    Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich

    Zu den Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich gehören die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung sowie Maßnahmen, die auf der darin enthaltenen Menschenrechtsstrategie entsprechend aufbauen, darunter:

    • Die Formulierung interner Verhaltensvorschriften wie Richtlinien und Verhaltenskodizes (Code of Conduct) für die einzelnen, für das Risikomanagement relevanten Geschäftsfelder und -abläufe sind dabei zu empfehlen. Der Code of Conduct als strategisches Element für nachhaltige Lieferketten | AWE Blog (wirtschaft-entwicklung.de). Darin soll das Unternehmen die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen festlegen, die an die Beschäftigten, Vertragspartner und mittelbare Zulieferer gestellt werden. Zudem kann die Entwicklung von entsprechender Verhaltenskodizes für Vertragspartner und potentielle Vertragspartner als Grundlage für Vertragsverhandlungen und zur Vertragsausgestaltung verwendet werden, so die Gesetzesbegründung zum LkSG: Drucksache 19/28649 (bundestag.de).
    • Des Weiteren gehört die Entwicklung und Verankerung geeigneter Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken zu den zu verankernden Präventionsmaßnahmen. Diese sollten Richtlinien für die einzelnen Beschaffungsschritte festlegen und nachhaltig, transparent sowie risikomindernd ausgestaltet sein. Einen Leitfaden zur Ausgestaltung eines nachhaltigen Einkaufs bietet der ISO-Standard 20400 der Internationalen Organisation für Normung ISO 20400:2017 - Sustainable procurement — Guidance.
    • Die Durchführung von Mitarbeiterschulungen in den relevanten Geschäftsbereichen sieht das Gesetz ebenso vor wie die Durchführung risikobasierter Kontrollen, um die Wirksamkeit der verankerten Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich zu überprüfen.

    Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern

    Neben der Implementierung angemessener Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich sieht das Gesetz auch eine Reihe von Maßnahmen mit Hinblick auf unmittelbare Zulieferer vor (§ 6 Abs. 4 LkSG):

    • Bereits bei Auswahl eines Lieferanten sind menschenrechts- und umweltbezogener Erwartungen zu berücksichtigen, das heißt sie sollen in die Lieferantenbewertung mit einfließen. Dies kann unter Zuhilfenahme von Eigenauskünften des jeweiligen Zulieferers, Befragungen oder eigener durchgeführter Prüfungen erfolgen.
    • Branchenspezifische Zertifizierungen oder Siegel können dabei eine wichtige Orientierung geben, sind aber als alleinige Entscheidungsgrundlage nur bedingt aussagekräftig. Im Standards-Kompass vom Helpdesk  Wirtschaft und Menschenrechte sind zertifizierungsbasierte Standards (vor-Ort-Audits) und teilnahmebasierte Standards (Multi-Akteurs-Partnerschaften, Brancheninitiativen) recherchierbar:
      • Zertifizierungsbasierte Standards (vor-Ort-Audits) überprüfen und attestieren die Einhaltung der vom Standard definierten Anforderungen an Produkte (zum Beispiel Baumwolle), Prozesse, Dienstleistungen, Standorte (zum Beispiel Fabriken), das gesamte Unternehmen oder die Lieferkette (chain-of-custody). 
      • Teilnahmebasierte Standards (Multi-Akteurs-Partnerschaften, Brancheninitiativen) fördern den Austausch, die gemeinsame Umsetzung von Projekten oder den Aufbau von Kapazitäten im Unternehmen und in der Wertschöpfungskette. Als Mitgliedsinitiativen setzen sie die aktive Beteiligung von Unternehmen und anderen Akteursgruppen voraus (zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Regierungen und Wissenschaft). Mitglieder verpflichten sich in der Regel zur Einhaltung von bestimmten Anforderungen oder eines Verhaltenskodexes. Die konkrete Umsetzung der Anforderungen liegt weitestgehend bei den Mitgliedsunternehmen und wird nicht zwingend durch einen standardisierten Mechanismus geprüft.  
    • Als weitere Maßnahme sieht das Gesetz die vertragliche Zusicherung seitens des Zulieferers bezüglich der Einhaltung der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen dahingehend vor, dass der Zulieferer die seitens des Unternehmens verlangten menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen einhält und wiederum entlang der Lieferkette angemessen adressiert. Hier bietet sich die Entwicklung eines Verhaltenskodex für Lieferanten (Lieferantenkodex) an. Bei der vertraglichen Ausgestaltung soll zudem sichergestellt werden, dass die menschenrechtsbezogenen Erwartungen auch in der weiteren Lieferkette etwa durch die Verwendung von Weitergabeklauseln sichergestellt wird. Dadurch wird der direkte Lieferant verpflichtet, den Lieferantenkodex auch gegenüber seinen Vertragspartnern durchzusetzen. Die IHK München bietet einen Mustertext für einen Verhaltenskodex für Lieferanten an: Merkblatt_Verhaltenskodex-fuer-Lieferanten_Stand-20211118.pdf (ihk-muenchen.de). Die American Bar Association (US-amerikanische Anwaltskammer) stellt zudem entsprechende Musterklauseln für Verträge zur Verfügung: Contractual Clauses Project (americanbar.org).
    • Zudem sind Schulungen und Weiterbildungen sowie regelmäßige Audits bei Lieferanten durchzuführen, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen. Diese Kontrollen können dabei selber durchgeführt oder Dritte damit beauftragt werden. Dabei können auch anerkannte Zertifizierungs- oder/und Audit-Systeme in Anspruch genommen werden. Unternehmen werden dadurch laut Gesetzesbegründung jedoch nicht von ihrer Verantwortung entbunden.

    Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern

    Unternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, wenn die Verletzung einer menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht im eigenen Geschäftsbereich oder bei einem unmittelbaren Zulieferer eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht (§ 7 Abs. 1 LkSG). Dabei sollen die Abhilfemaßnahmen zu einer Beendigung führen, im eigenen Geschäftsbereich müssen die Maßnahmen in der Regel zu einer Beendigung führen.

    • Bei eingetretenen oder drohenden Verletzungen im Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers ist ein Konzept zur Beendigung oder Minimierung zu erstellen, das einen konkreten Zeitplan enthält. Dabei kann auch ein Zusammenschluss mit anderen Unternehmern in Rahmen von Brancheninitiativen hilfreich sein. Zudem sollte ein Aussetzen der geschäftlichen Beziehungen während der Bemühungen zur Risikominimierung in Betracht gezogen werden.
    • Der Abbruch einer Geschäftsbeziehung ist nur als letztes Mittel geboten, wenn der Verstoß oder die Verletzung sehr schwerwiegend ist, die Versuche zur Minimierung gescheitert sind, kein milderes Mittel zur Verfügung steht und eine Erhöhung des Einflussvermögens nicht aussichtsreich erscheint.
    Unterstützungsangebote von Organisationen

    Für die Erstellung der LkSG-Umsetzungshilfen Risikoanalyse wurden unter anderem folgende Informationsquellen genutzt: Studien und Rankings internationaler Organisationen (ILO, UNDP,  UN Comtrade, Internationaler Gewerkschaftsbund etc.), nationale Statistikämter,  Arbeitsministerien, Gewerkschaften, nationale Gesetzestexte, Statistisches Bundesamt, Bundesbank, US-amerikanische Behörden, CSR Risiko-Check und Pressemeldungen. Darüber hinaus beruhen die Risikoeinschätzungen auf Interviews mit lokal tätigen Stakeholdern, Nichtregierungsorganisationen und Verbänden sowie mit lokalen Branchenexperten und Consultants.

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