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Energiewende in Tunesien: Alles neu macht der Mai?
Tunesien will wichtiger Produzent von Strom aus erneuerbaren Energiequellen und von grünem Wasserstoff werden – beides mit Blick auf Europa. In die Pläne kommt nun neuer Schwung. (Stand: 29.05.2024)
31.05.2024
Von Verena Matschoß | Tunis
Am 8. Mai 2024 fand die Grundsteinlegung für einen 120-Megawatt-Solarpark im Gebiet Kairouan statt. Nach jahrelanger Verzögerung scheint damit Leben in die Großprojekte zum Ausbau der Erneuerbaren in Tunesien zu kommen. Das Projekt wurde bereits 2019 an die emiratische AMEA Power vergeben, das Ende der Bauarbeiten ist nun für Sommer 2025 geplant.
500 Megawatt neue Solarkapazität
Das Vorhaben ist Teil des Konzessionsregimes, unter das größere Projekte beim Ausbau der Erneuerbaren fallen. Im Jahr 2018 begann der Ausschreibungsprozess für fünf Solarparks mit einer Gesamtleistung von 500 Megawatt. Die Projekte sollen als öffentlich-private Partnerschaften umgesetzt werden. Stromabnehmer ist die staatliche Société tunisienne de l’électricité et du gaz (STEG).
AMEA Power setzt ein weiteres Projekt im Rahmen des Konzessionsregimes um, nämlich eine Solaranlage mit einer Kapazität von 200 Megawatt in Tataouine. Die französische Firma Voltalia ist Generalunternehmen bei einem 130 Megawatt Solarpark in Gafsa. Beide Verträge wurden Anfang Mai unterzeichnet.
Bei zwei weiteren Projekten aus der ersten Konzessionsrunde könnten Pressemeldungen zufolge im Sommer 2024 die Bauarbeiten beginnen. Ursprünglich hatte SCATEC Solar aus Norwegen den Zuschlag für drei der fünf Konzessionsprojekte bekommen. Laut einer Pressemitteilung wird das Unternehmen nur noch 120 Megawatt anstelle von 360 Megawatt umsetzen.
Im Dezember 2022 wurde eine zweite Ausschreibungsrunde im Rahmen des Konzessionsregimes angekündigt. Dabei sollen insgesamt 1.100 Megawatt Solar- und 600 Megawatt Windkraftkapazitäten geschaffen werden. Im Jahr 2024 laufen die ersten Runden für die Angebotsabgabe. Das Vorhaben ist ein Leuchtturmprojekt der Konnektivitätsinitiative Global Gateway der EU.
Anteil der Erneuerbaren sehr gering
Mit den Konzessionen will Tunesien den Anteil der Erneuerbaren am Strommix signifikant erhöhen. Ambitioniertes Ziel der Regierung ist ein Anteil von 35 Prozent bis 2030. Derzeit liegt dieser bei 5 Prozent, wenn Anlagen zur Eigenproduktion eingerechnet werden. Ohne Eigenproduktion kommen Erneuerbare auf gerade einmal rund 2 Prozent.
Stromkabel ELMED soll Tunesien mit Sizilien verbinden
Ein weiteres Leuchtturmprojekt von Global Gateway in Tunesien ist das Unterseekabel ELMED. Das 220 Kilometer lange Stromkabel soll ab 2028 das Cap Bon mit Sizilien verbinden. Für das Projekt sind 850 Millionen Euro veranschlagt. Die EU bezuschusst das Vorhaben mit 307,6 Millionen Euro.
Die STEG wird den Interkonnektor gemeinsam mit dem italienischen Übertragungsnetzbetreiber Terna betreiben. Die tunesische Seite trägt die Hälfte der Investitionskosten. Dabei wird sie mit Krediten von internationalen Gebern unterstützt. Das tunesische Parlament billigte am 22. Mai 2024 drei Abkommen mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Weltbank Gruppe und der KfW Entwicklungsbank. Weiterer Geber ist die Europäische Investitionsbank.
Die rund 247 Millionen Euro der Weltbank werden für den Bau der Konverterstation und einer Übertragungsleitung zum Anschluss von ELMED an das existierende Netz verwendet. Zudem will die STEG Gelder für die Stärkung des Stromnetzes mobilisieren, um eine reibungslose Übertragung von im Süden produziertem Strom in den Nordosten zu garantieren. In den Bereich könnten bald auch Gelder der KfW fließen. Laut Christian Vosseler, Portfoliomanager der KfW in Tunis, ist geplant, die STEG bei der Modernisierung des Stromverteilzentrums zu unterstützen. "Dies ist eine wichtige Voraussetzung zur Integration der Erneuerbaren Energien, aber auch für den geplanten Stromhandel über das Unterseekabel ELMED", so Vosseler.
Nordafrika soll wichtiger Wasserstofflieferant werden
Tunesien möchte nicht nur wichtiger Produzent und zukünftig auch Exporteur von erneuerbaren Energien werden - das Land will auch grünen Wasserstoff für den EU-Bedarf produzieren. Für den Transport könnte das bestehende Gaspipelinenetz zwischen Algerien, Tunesien und Italien genutzt werden. Dieser Korridor ist Teil der European Hydrogen Backbone Initiative (EHB) und firmiert unter dem Namen SoutH2Corridor. Ab 2030 soll der Korridor Nordafrika mit Italien, Österreich und Deutschland verbinden.
Die Transportkosten wären durch eine Lieferung über Pipeline um einiges günstiger als die Exporte in Form von Derivaten wie Ammoniak oder Methanol. Allerdings müssten Teile der Pipeline umgebaut und mit neuen Kompressorstationen ausgerüstet werden.
Die Pläne gehen voran: Das Ministerium für Industrie, Bergbau und Energie hat am 26. Mai 2024 die nationale Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Demnach will Tunesien bis 2030 rund 300.000 Tonnen und bis 2050 rund 6 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr nach Europa exportieren. Dafür müssten aber allein im ersten Schritt 5 Gigawatt an Erneuerbaren-Kapazitäten installiert werden.
Im Mai 2024 hat Tunesien seine Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Bis 2050 sollen jährlich rund 8,3 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff hergestellt werden, 6,3 Millionen sind für den Export per Pipeline in die EU bestimmt. Um dies zu erreichen, müssten 100 Gigawatt an Erneuerbaren-Kapazitäten geschaffen werden.
In der Strategie sind zwei Phasen vorgesehen:
- Entwicklung des lokalen Marktes (ab 2025): Produktion von Ammoniak und Methanol für den lokalen Bedarf, Umsetzung von Pilotprojekten
- Exportphase (ab 2030): Suche nach Off-Takern und Partnern, um Risiken abzubauen und Investitionen zu sichern; Entwicklung der Transport- und Export-Infrastruktur
Die Investitionskosten für die Umsetzung der Strategie werden auf 120 Milliarden Euro geschätzt.
Es wird bereits konkret: Am 27. Mai 2024 haben TE H2, ein Joint Venture aus TotalEnergies und der EREN Groupe, und der österreichische Stromversorger VERBUND eine Absichtserklärung mit der tunesischen Regierung für die Prüfung eines Großprojekts zur Wasserstoffproduktion unterzeichnet. Das Projekt mit dem Namen H2 Notos könnte in einem ersten Schritt 200.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr produzieren.
Die KfW plant die Errichtung einer Wasserstoff-Pilotanlage mit einem Zuschuss über 25 Millionen Euro. Hierbei soll grüner Ammoniak für den Bedarf der Groupe Chimique Tunisien in Gabès erzeugt werden.
Vom 16. bis zum 20. September 2024 findet eine Geschäftsreise im Rahmen der Exportinitiative Energie zum Thema "PV-Wind-Hybridsysteme inkl. Speichertechnologien" nach Tunesien statt. Auf der Fachkonferenz am 17. September 2024 haben deutsche Unternehmen die Möglichkeit, ihre Produkte und Dienstleistungen einem Fachpublikum vorzustellen. An den darauffolgenden Tagen organisiert die AHK Tunesien für jedes teilnehmende Unternehmen individuelle B2B-Termine mit relevanten Entscheidungsträgern und potenziellen Geschäftspartnern.
Weitere Informationen und Anmeldmöglichkeiten finden interessierte Unternehmen auf der Internetseite der Exportinitiative Energie.
Wasser ist knappes Gut
Für die Herstellung von Wasserstoff wird natürlich auch Wasser als Ausgangsprodukt benötigt. Dies ist allerdings problematisch, da Wasser ein knappes Gut in Tunesien ist. Das Land will daher noch stärker auf die Meerwasserentsalzung setzen.
Kritiker geben zu bedenken, dass dabei auch Umweltfolgen nicht außer Acht gelassen werden sollten. Die Heinrich Böll Stiftung hat sich in einer Studie mit den Auswirkungen einer Wasserstoffproduktion in Tunesien beschäftigt.