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Investitionen in der Industrie, Newcomer IT und ein Comeback
In der Automobil- und Textilindustrie setzen Investoren auf Tunesien. Der Tourismus springt wieder an, die IT etabliert sich und der Energiesektor hofft auf einen Neustart.
05.09.2023
Von Peter Schmitz | Bonn
- Automobilindustrie: Standortfaktor Fachkräfte zieht Zulieferer an
- Textil und Bekleidung: Investitionen in Umwelt und Digitalisierung
- IT und Telekommunikation: Industrieunternehmen sourcen IT in Tunesien
- Tourismus: Comeback mit Hindernissen
- Energiewirtschaft: Neuer Anlauf für Konzessionen
- Bauwirtschaft: Chancen durch Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit
Tunesien verfügt über eine relativ diversifizierte Wirtschaft. Die produzierende Industrie ist ein wichtiger Teil davon, auch wenn der Tourismus wieder erstarkt ist. Das zeigt sich in der Präsenz vieler internationaler Unternehmen, die die Standortvorteile zu schätzen wissen. Neben der Automobilzulieferindustrie ist auch der Textilsektor zu nennen. Besonders Industrieunternehmen nutzen Tunesien inzwischen auch als IT-Standort.
Das strukturelle Außenhandelsdefizit stellt ein wesentliches Risiko dar, besonders in Zeiten internationaler Krisen. Es steigert die ohnehin hohe Inflation und erhöht den sozialen Druck. Somit sind die Rahmenbedingungen schwierig für Reformen, die dringend nötig wären, um die Staatsfinanzen ins Gleichgewicht zu bringen. Andererseits entstehen durch den Reformdruck Impulse, um beispielsweise den Energiesektor zu transformieren.
Automobilindustrie: Standortfaktor Fachkräfte zieht Zulieferer an
In der internationalen Automobilindustrie ist Tunesien ein wichtiger Mosaikstein. Unternehmen wie Dräxlmaier, Kromberg & Schubert, Leoni, Nexans oder Sumitomo produzieren elektrische Komponenten wie Kabelbäume und Bordnetze, aber auch Sitze und Airbags. Gerade diese Unternehmen verlagern inzwischen auch technische Entwicklungsprozesse und IT-Dienstleistungen nach Tunesien. Mehr als 100.000 Beschäftigte stellen einen großen Pool an bereits verfügbaren Fachkräften dar, bei gleichzeitig hohen Absolventenzahlen. Die Lohnkosten sind relativ niedrig. Auch die Nähe zu Europa steigert die Attraktivität des Standortes.
Textil und Bekleidung: Investitionen in Umwelt und Digitalisierung
Die tunesische Textilindustrie befindet sich nach einigen schwierigen Jahren wieder auf dem Wachstumspfad. Im 1. Halbjahr 2023 legten die Exporte um 12 Prozent und die Anzahl der angekündigten Investitionsprojekte um mehr als 100 Prozent zu. Mit einem gewissen Abstand zu den Vorreitern liegt Tunesien auf Platz 8 der Textillieferanten der Europäischen Union. Die geografische Nähe ermöglicht kurze Lieferzeiten. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, investieren viele Textilunternehmen in Tunesien in Umwelttechnik und Digitalisierung. Insbesondere der hohe Wasserverbrauch und Abwasser waren in den vergangenen Jahren immer wieder Kritikpunkte.
IT und Telekommunikation: Industrieunternehmen sourcen IT in Tunesien
Der tunesische IT- und Start-up-Sektor weist Erfolge auf. Softwareunternehmen nutzen das Land schon lange als Standort zur Programmierung. Inzwischen entdecken auch kleine und mittlere Unternehmen den Vorteil von IT-Outsourcing oder -Nearshoring. Vor allem Industrieunternehmen, die bereits in Tunesien produzieren, bauen interne IT-Abteilungen auf. Daneben gibt es eine kleine, aber agile Start-up-Szene. Wegen des kleinen lokalen Marktes und begrenzter Finanzierungsmöglichkeiten suchen tunesische Start-ups Partner, um im Ausland zu wachsen. Zuletzt erhielt die E-Commerce-Plattform Drest.tn rund 330.000 Euro. Sie möchte auf dem afrikanischen Kontinent expandieren.
Tourismus: Comeback mit Hindernissen
Der tunesische Tourismus könnte im laufenden Jahr die Besucherzahl von 2019 übertreffen und damit einen neuen Rekord aufstellen. Mehr als 5 Millionen Menschen kamen bereits bis Ende Juli. Das sind 70 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Im Jahr 2019 bereisten 9 Millionen Gäste das Land am Mittelmeer.
Branchenvertreter sehen jedoch eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Destinationen, da zu lange einseitig auf Pauschal- und Strandtourismus gesetzt wurde. Sie fordern weniger Bürokratie, um kleineren Akteuren den Start zu erleichtern. Immerhin gibt es noch viel Raum für Angebote im Individual- und Tagestourismus. Verschiedene Hotelketten investieren wieder, Tunis hat es auch zurück ins Programm einiger Kreuzfahrtgesellschaften geschafft.
Energiewirtschaft: Neuer Anlauf für Konzessionen
Tunesien bietet optimale Voraussetzungen zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen. Neben der Sonneneinstrahlung von durchschnittlich über 1.800 Kilowattstunden pro Quadratmeter ist auch das Potenzial für Windenergie groß. Bisher stehen die Erneuerbaren trotzdem nur für etwa 4 Prozent der Energieerzeugung. Ein Betreibermodell für die industrielle Eigennutzung läuft relativ gut, ebenso das Solardach-Programm PROSOL Elec. Im Jahr 2023 startete eine neue Ausschreibungsrunde für Konzessionen zur Stromproduktion durch unabhängige Erzeuger. Die Umsetzung von Projekten aus der vergangenen Runde lässt aber noch auf sich warten. Sollte der Interkonnektor ELMED nach Italien tatsächlich gebaut werden, dürfte die Aussicht auf Exporte die Stromerzeugung attraktiver machen. Im Juni 2023 gab die Weltbank ihre Zusage zur Anschubfinanzierung des 600 Megawatt-Kabels.
Bauwirtschaft: Chancen durch Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit
Der Abwärtstrend in der Bauwirtschaft Tunesiens setzt sich fort. Dabei ist der Sektor grundsätzlich leistungsfähig, wie die internationalen Aktivitäten tunesischer Bauunternehmen zeigen. Im Inland ging die Wertschöpfung 2022 jedoch um 12 Prozent zurück. Lichtblicke sind der anziehende Hotelbau sowie geberfinanzierte Projekte in den Bereichen Verkehr, Energie und Wasserwirtschaft. Hier haben ausländische Unternehmen gute Chancen, da die lokale Bauindustrie mit den oft gefragten Design-Build-Modellen wenig Erfahrung hat.
Mit den Beratungsgutscheinen Afrika fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Rahmen des Wirtschaftsnetzwerks Afrika externe Beratungsdienstleistungen für kleine und mittelständische Unternehmen. Ziel ist es, den Markteintritt in Afrika zu erleichtern. In Tunesien gibt es immer wieder Auftragsmöglichkeiten durch Projekte der Entwicklungszusammenarbeit. Unter Entwicklungsprojekte und Ausschreibungen stellt Germany Trade & Invest die größte deutschsprachige Plattform dafür zur Verfügung. Die deutsch-tunesische Industrie- und Handelskammer (AHK Tunesien) berät beim Markteintritt und kann branchenspezifische Marktanalysen erstellen. |