Branchenbericht Ukraine Arzneimittel, Diagnostika
Arzneimittelverkäufe in der Ukraine eingebrochen
Jahrelang stiegen Verkäufe und Importe von Medikamenten in der Ukraine. Doch der Krieg ist für den Markt eine Zäsur. Die Prognosen für 2023 sind durchwachsen.
22.05.2023
Von Viktor Ebel | Bonn
Eine konzertierte Aktion von Gesundheitsministerium, Händlern und Herstellern verhinderte 2022 eine Verknappung von Arzneimitteln in der Ukraine. Doch den massiven Einbruch der Verkäufe konnte das nicht verhindern. Laut einer Marktanalyse von Proxima Research sind die Einzelhandelsumsätze der Apotheken gegenüber 2021 mengenmäßig um 29 Prozent zurückgegangen (wertmäßig: -7 Prozent auf Basis der Landeswährung Hrywnja). Neben direkten Kriegsfolgen, wie zerstörten Produktionsanlagen und vielen Geflüchteten, kämpft die Branche mit einer geschwächten Kaufkraft. Zudem verursachen Hilfslieferungen in Form von Medikamentenspenden Absatzprobleme.
Im 1. Quartal 2023 sind die Verkäufe mit etwa 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ähnlich stark gesunken wie im Gesamtjahr 2022. Eine beginnende Erholung im April 2023 veranlasst Beobachter jedoch dazu, für 2023 einen nominalen Wertzuwachs zwischen 7 und 30 Prozent zu prognostizieren. Wegen der starken Hrywnja-Abwertung im Vergleich zum Vorkriegsniveau hat ein solches Wachstum aber nur wenig Aussagekraft.
Der Apothekenwarenkorb des Unternehmens Proxima Research besteht aus Arzneimitteln, Nahrungsergänzungsmitteln, Medizinprodukten und Kosmetika. Im 1. Quartal 2023 verteilte sich der Wert einzelner Produktkategorien laut Marktanalyse "PharmXplorer" folgendermaßen:
Der Anteil von Nahrungsergänzungsmitteln wächst kontinuierlich. Im Jahr 2019 lag dieser noch bei 6 Prozent. |
2018 | 2020 | 2022 | 1. Quartal 2023 | |
---|---|---|---|---|
Absatz (in Mio. Packungen) | 1.752,6 | 1.736,5 * | 1.245,4 | 321,2 |
darunter Arzneimittel (in Mio. Packungen) | 1.142,2 | 1.062,9 | 845,1 | 266,7 |
Absatz (in Mrd. Hrywnja) | 89,2 | 114,0 | 127,0 | 39,7 |
darunter Arzneimittel (in Mrd. Hrywnja) | 74,7 | 92,8 | 103,9 | 31,9 |
Absatz (in Mrd. US$) | 3,3 | 4,2 | 4,0 | 1,1 |
darunter Arzneimittel (in Mrd. US$) | 2,7 | 3,4 | 3,2 | 0,9 |
Hohe Preissteigerungen von 2022 flachen langsam ab
Im Jahr 2022 verteuerte sich der durchschnittliche Einkauf in der Apotheke ("Apothekenkorb") um 30,7 Prozent, während die Inflationsrate bei 20,2 Prozent lag. Die schwache Hrywnja verteuert Medikamentenimporte. Auch für die Produktion einheimischer Arzneimitteln kommen viele Komponenten aus dem Ausland. Steigende Produktionskosten verursachen außerdem gestörte Lieferketten, Fahrermangel und erschwerte Produktionsbedingungen. Im April 2023 stabilisierte sich der Inflationsindex für Arzneimittel jedoch bei 15 Prozent.
Deutschland führt bei Medikamentenimporten
Die 113 einheimischen Pharmahersteller hatten 2022 einen Marktanteil von 65 Prozent an der Verkaufsmenge. Beim Wertvolumen führen ausländische Anbieter mit 64 Prozent. Ihr Produktportfolio enthält viele teure, verschreibungspflichtige Medikamente, deren Anteil laut Proxima Research kontinuierlich zunimmt.
Deutschland lag 2022 mit einem Liefervolumen von 368 Millionen US-Dollar (US$) vor Indien und Frankreich. Insgesamt importierte die Ukraine im ersten Kriegsjahr Pharmazeutika für 1,9 Milliarden US$ (-38 Prozent zum Vorjahr).
Kaufverhalten verändert sich
Während des Krieges verändern die Menschen in der Ukraine ihr Konsumverhalten. Sie geben weniger Geld für Präventivmittel aus. Gefragt sind nun Beruhigungs- und Schmerzmittel, Arzneimittel für Herz und Kreislauf, den Magen-Darm-Trakt sowie das Nervensystem. Nach dem Ende der Coronapandemie ist außerdem die Nachfrage nach antiviralen Arzneimitteln gesunken.
Marke | Rang 2022 | Rang 2021 | Rang 2020 |
---|---|---|---|
Csarelto | 1 | 1 | 1 |
Nimesil | 2 | 2 | 2 |
Nurophen | 3 | 3 | 4 |
Spasmalgon | 4 | 5 | 3 |
Cytramon | 5 | 9 | 5 |
Triplicam | 6 | 14 | 17 |
Detralex | 7 | 7 | 7 |
Gidazepam | 8 | 39 | 32 |
Bifren | 9 | 12 | 14 |
Eucazolin | 10 | 18 | 18 |
Der durch den Krieg verursachte Stress beförderte zudem Medikamente zur Behandlung chronischer Krankheiten wie Bluthochdruck und psychischer Erkrankungen an die Spitze der Verkäufe. Von den 27 neuen Arzneimitteln, die 2022 auf den Markt kamen, betreffen die meisten den Bewegungsapparat (ATC-Klassifikation M01).
Apotheken kämpfen mit vielen Problemen
Vor allem im Süden und Osten der Ukraine hatten Apotheken 2022 mit Schließungen, Personalmangel und Stromausfällen zu kämpfen. Seit Juni 2022 verbessert sich die Lage, in befreiten Gebieten wurden Apotheken wiedereröffnet. Doch Strom- und Internetausfälle erschweren die Arbeit und mindern die Produktivität. Zudem treibt der Betrieb von Generatoren in den betroffenen Gebieten die Kosten in die Höhe.
Apothekenkette | Anteil am Umsatz (in Prozent) | Umsatzwachstum (in Prozent) |
---|---|---|
Apteka Magnolia (1.000 Apotheken) | 14,1 | -9,3 |
Podorozhnik (1.300 Apotheken) | 11,8 | 30,3 |
Gamma-55 | 10,5 | -6,1 |
Sirius-95 | 9,7 | -16,1 |
Pharmastor | 5,6 | -6,2 |
Asnova | 4,9 | -2,8 |
Med-Service Group | 4,0 | 11,5 |
D.S. (380 Apotheken) | 2,6 | 15,5 |
Sdorova Rodina | 2,5 | 37,3 |
SI | 1,7 | 13,5 |
Elektronische Rezepte sorgen für mehr Kontrolle
Am 1. April 2023 hat die Ukraine das elektronische Rezept eingeführt. Zwar galt für etwa 60 Prozent der Medikamente, darunter Antibiotika, hormonelle Arzneimittel, Blutverdünner und Antidepressiva, schon zuvor eine Rezeptpflicht. Jedoch wurde diese vielerorts nur mangelhaft umgesetzt, was dazu führte, dass viele Ukrainer beispielsweise selbstständig zu Antibiotika griffen und damit Resistenzen entwickelten. Mit dem E-Rezept soll die Kontrolle verbessert werden. Der Umfang der rezeptpflichtigen Medikamente bleibt gleich. Das staatliche Arzneimittelregister gibt Auskunft, für welche Präparate ein Rezept benötigt wird.
Ein E-Rezept kann von jedem behandelnden Arzt ausgestellt werden und ist 30 Tage gültig. Mit einem per SMS erhaltenen Code können Patienten in den Apotheken ihre Medikamente abholen. Das Rezept enthält keine Handelsnamen, sondern den Wirkstoff der verschriebenen Arznei, sodass Patienten zwischen verschiedenen Marken- und Preisklassen wählen können. Das Papierrezept bleibt für die Dauer des Kriegsrechts ebenfalls gültig. Gänzlich befreit von der Rezeptpflicht sind die Militärverwaltung und Einheiten der Streitkräfte, die Medikamente für den Kriegsbedarf einkaufen.
Staatliche Beschaffung überwiegend bei einheimischen Pharmaunternehmen
Laut Proxima Research stellten ukrainische Unternehmen 2021 rund 61 Prozent der Medikamente auf der nationalen Arzneimittelliste selbst her. Diese Liste umfasst 435 Präparate, die als unentbehrlich gelten und der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Über das Medical Guarantee Program kompensiert der Staat Apotheken für die Versorgung mit Arzneimitteln. Im Jahr 2022 wurden 4,6 Milliarden Hrywnja vergütet; 2023 sind 4,7 Milliarden Hrywnja eingeplant (118 Millionen Euro, Wechselkurs am 15. Mai 2023: 1 Euro = 39,83 Hrywnja).
Laut einem Beschluss des Ministerkabinetts der Ukraine kommen 2023 drei neue Arten von Arzneimitteln hinzu:
- Teststreifen zur Messung des Glukosespiegels bei Insulin-Patienten
- Immunsuppressiva für die Behandlung nach Transplantationen
- Schmerzmittel für Palliativpatienten
Top 10 im Segment Einzelhandel (Apotheken) | Top 10 im Segment staatliche Budgeteinkäufe |
---|---|
Pharmac (Ukraine) | Sinovac (Hersteller des Covid-19-Impfstoffs) (China) |
Darnica (Ukraine) | Yuria-Pharm (Ukraine) |
Sanofi (Frankreich) | Roche (Schweiz) |
Acino Pharma (Schweiz) | Mistral Capital Management (Ukraine) |
Krka (Slowenien) | PC Vista (Indien) |
Kiev Vitamin Plant (Ukraine) | Darnica (Ukraine) |
Teva Pharmaceuticals (Israel) | Novartis (Schweiz) |
Arterium (Ukraine) | Pharmac (Ukraine) |
Kusum Healthcare (Indien) | Zdorovye Group (Ukraine) |
Menarini Group / Berlin Chemie (Italien/Deutschland) | Arterium (Ukraine) |