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Branchen | Ukraine | Pharmaindustrie

Pharmaindustrie investiert in neue Anlagen und Medikamente

Die Regierung unterstützt die strategisch wichtige Branche in Krisenzeiten, damit die Produktion weiterläuft. Ukrainische Pharmaunternehmen investieren und expandieren im Ausland.

Von Viktor Ebel, Edda Wolf | Bonn

Der Krieg sorgte in vielen Branchen der ukrainischen Wirtschaft für Umbrüche. In der Arzneimittelproduktion reagierten Regierung und Industrie schnell, um die Versorgung der Bevölkerung und des Militärs mit Medikamenten zu gewährleisten. Einige Unternehmen wie der Branchenprimus Farmak sind sogar dabei, zum Normalbetrieb zurückzukehren. Neben der Wiederaufnahme der Produktion von über 400 Präparaten bedeutet das auch, zu investieren und ausländische Märkte zu erschließen.

Pharmaindustrie manövriert durch die Krise

Ukrainische Pharmaunternehmen hatten 2022 einen Marktanteil an den im Land verkauften Arzneimitteln von rund 65 Prozent gemessen in Packungen, jedoch nur von 36,3 Prozent gemessen am Wert in Milliarden Hrywnja. Laut dem Forschungsunternehmen Proxima Research stand die Branche 2021 für 4,1 Prozent der Gesamtproduktion der verarbeitenden Industrie. Insgesamt waren 113 Arzneimittelhersteller in der Ukraine tätig, die überwiegend Generika und einfache Präparate produzierten.

Die Bruttoanlageinvestitionen in die Branche bewegten sich von 2018 bis 2021 im Schnitt bei umgerechnet rund 95 Millionen US-Dollar (US$) pro Jahr, berichtet der ukrainische Statistikdienst Derzhstat. Das Marktvolumen von Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln, Medizinprodukten und Kosmetika ist kriegsbedingt von 5 Milliarden US$ (2021) auf knapp 4 Milliarden US$ (2022) gesunken. Das spiegelt etwa den mengenmäßigen Rückgang der Apothekenverkäufe 2022 gegenüber 2021 wider (-29 Prozent), welcher durch die Inflation noch verstärkt wurde. Auch die Exporte der Branche gingen 2022 um 24,5 Prozent auf 238,1 Millionen US$ zurück. 

Dennoch lohnt es sich, die ukrainische Pharmaindustrie aufgrund der guten Entwicklung in der Vergangenheit, des Nearshoring-Potenzials und der veränderten Rahmenbedingungen zu beobachten. So wurde eine Reihe von Änderungen eingeführt, die das Verfahren zur staatlichen Registrierung von Arzneimitteln und deren Inverkehrbringen während der Zeit des Kriegsrechts erleichtern.

Kriegsrecht lockert Arzneimittelregulierung

1. Verwendung von alternativen pharmazeutischen Wirkstoffen (z.B. von anderen Herstellern), Hilfsstoffen und Verpackungsmaterialien, die nicht im Registrierungsdossier verzeichnet sind


2. Versenden von bestimmten Medikamenten, darunter solche zur oralen und parentalen Gabe, mit Fremdverpackungen oder sogar ohne Umverpackung


3. Liberalisierung der Konzessionsbedingungen für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit für die Herstellung, den Groß- und Einzelhandel und die Einfuhr von Arzneimitteln


4. Gesundheitsministerium hilft mit Briefen an EU-Regulierungsbehörden, damit ukrainische Unternehmen Zertifikate der guten Herstellungspraxis (GMP) nach europäischem Vorbild online erhalten können


Quellen: Staatlicher Dienst für Arzneimittelkontrolle in der Ukraine 2023, Pressemeldungen 2023

Heimische Unternehmen investieren in Produktion und Forschung

Der Marktführer Farmak eröffnete 2022 eine neue Anlage, in der Medikamente zur Inhalation hergestellt werden. Der Zweitplatzierte Darnitsa erneuerte seine Tablettenproduktionsanlagen. Im Werk Kyivmedpreparat des Unternehmens Arterium wird 2023 ein komplexer Modernisierungsprozess für die Produktion von gefriergetrockneten Arzneimitteln fortgesetzt, der bereits 2019 gestartet war. Rund 6 Millionen Euro hat das Unternehmen in das Projekt investiert. Die Ausrüstung stammt von der italienischen Firma IMA.

Top-Ten-Hersteller bei in Apotheken verkauften Waren 2022 (Anteil in Prozent)

Rang

Name

Marktanteil

1

Farmak (Ukraine)

5,3

2

Darnitsa (Ukraine)

4,5

3

Acino Pharma (Schweiz)

3,6

4

Teva Pharmaceuticals (Israel)

3,5

5

Arterium (Ukraine)

3,2

6

KRKA (Slowenien)

3,1

7

Sanofi (Frankreich)

3,1

8

Kyiv Vitamin Plant (Ukraine)

3,0

9

Menarini Group/Berlin Chemie (Italien/Deutschland)

3,0

10

Kusum Pharm (Ukraine)

2,6

Quelle: Daten von PharmExplorer, analytisches Marktforschungssystem von Proxima Research 2023

Da in der Pharmaindustrie Planungshorizonte von mehreren Jahren keine Seltenheit sind, müssen Unternehmen schon jetzt überlegen, welche Produkte gefragt sein werden. Deshalb investieren sie auch in Kriegszeiten, so der Direktor für Unternehmenskommunikation bei Darnitsa, Vasyl Hubarets, gegenüber dem Wirtschaftsportal von New Voice Ukraine. Laut Hubarets ist das Investitionsniveau bei Darnitsa 2022 konstant auf dem durchschnittlichen Niveau der letzten fünf Jahre geblieben.

Wie arbeiten Pharmaunternehmen unter Kriegsbedingungen?

Die Produktionsprozesse in der Ukraine sind während des russisches Raketenbeschusses stark durch Stromausfälle und Spannungsabfälle beeinträchtigt. Für die sensible Pharmabranche ist das besonders kritisch, da Unterbrechungen von mehr als 30 Minuten dazu führen können, dass Produkte oder Rohstoffe aussortiert und vernichtet werden müssen.


Die Unternehmen passen sich an die neuen Bedingungen an, indem sie Generatoren anschaffen, die Verbrauchsspitzen durch Nacht- und Wochenendarbeit reduzieren und Energie sparen. Probleme wirtschaftlicher Natur sind die steigenden Produktionskosten infolge von anziehenden Rohstoff- und Energiepreisen sowie gestörten Lieferketten. Auch die Hrywnja-Abwertung macht der stark importabhängigen Branche zu schaffen. 

Neue Märkte sollen Verluste im Inland ausgleichen

Das ukrainische Pharmaunternehmen Arterium plant, seine Vertriebsaktivitäten im GUS-Raum zu intensivieren. Neben den wachsenden Märkten Kasachstan und Usbekistan will es auch mehr im Südkaukasus und im Nachbarland Moldau verkaufen, so der kaufmännische Leiter bei Arterium, Oleksandr Partyshev. Auch Mittelosteuropa und der Balkan sind im Fokus. Bis Mitte 2023 will Arterium mit einem Portfolio von 20 Medikamenten den Eintritt in den europäischen Markt einleiten.

Einen Schritt weiter ist der Marktführer Farmak, der laut Geschäftsführer Volodymyr Kostiuk bereits 20 Millionen Euro in eine Produktionsanlage in Barcelona investiert hat. Ab 2024 sollen dort Lösungen, Suspensionen und Spritzen hergestellt werden. Zusätzlich zur Produktion will das Unternehmen ein Zentrum für Forschung und Entwicklung (F&E) in Spanien in Betrieb nehmen.

Einen ganz anderen geografischen Kurs will der Medikamentenhersteller Darnitsa einschlagen. Die Firma erhielt im Rahmen eines Programms der Weltgesundheitsorganisation eine Lizenz für die Produktion von mRNA-Impfstoffen von Pfizer. Diese sollen in afrikanischen Ländern verkauft werden.

Ukraine versorgt internationale Pharmakonzerne mit Ausgangsstoffen

Dass die Ukraine nicht nur ein günstiger Produktionsstandort von Generika ist, zeigen Beispiele der Unternehmen Enamine und Life Chemicals. Diese aus sowjetischen Forschungseinrichtungen hervorgegangenen Biotech-Firmen gehören global zu den wichtigsten Lieferanten von molekularen Bausteinen. Zu ihrem Kundenstamm gehören internationale Pharmaunternehmen, die beim molekularen Design eines Arzneimittels auf umfangreiche Moleküldatenbanken und Know-how der ukrainischen Spezialisten zurückgreifen, so ein Bericht des Wall Street Journal.

Das Branchenportal thePharmaMedia schreibt, dass weltweit über 50 Prozent der chemischen Verbindungen für das Hochdurchsatz-Screening in den vergangenen Jahren von ukrainischen Biotech-Firmen geliefert wurden.

Entwicklung der Arzneimittelexporte der Ukraine (in Millionen US-Dollar; Veränderung in Prozent)

Land

2020

2021

Veränderung 2021/2020

Exporte, darunter nach

267,5

315,4

17,9

Usbekistan

72,1

79,6

10,5

Kasachstan

24,5

28,1

14,6

Belarus

22,7

24,4

7,2

Moldau

16,0

23,1

44,1

Aserbaidschan

22,7

19,7

-13,2

Georgien

13,8

19,3

39,4

Brasilien

9,6

18,4

90,6

Irak 

9,1

14,7

61,2

Russland

11,8

13,6

14,9

Quelle: Statistikdienst der Ukraine Derzhstat 2023

Strategie für Entwicklung des Gesundheitssystems bis 2032

Der Gesamtbedarf für den Wiederaufbau der medizinischen Infrastruktur in der Ukraine wird aktuell bereits auf 6,4 Milliarden US$ geschätzt. Um das Gesundheitssystem nach europäischen Standards wiederaufzubauen, werden mehr als 15 Milliarden US$ benötigt. Das Gesundheitsministerium hat ein Projektbüro eingerichtet, welches einen Entwurf für den Wiederaufbau vorgelegt hat. Dieser ist vorläufig bis 2032 angesetzt und schließt die Wiederherstellung und Weiterentwicklung der ukrainischen Arzneimittelproduktion mit ein.

Die Schwerpunkte der Strategie sind:

  • Stimulierung von Investitionen in Forschung,
  • Beschleunigte Markteinführung neuer Generika durch verbesserte Patentgesetzgebung,
  • Entwicklung neuer Technologien, auch durch internationale Zusammenarbeit.

Branchenvertreter fordern steuerliche Vorzugsbedingungen bei Investitionen in F&E und eine forcierte Lokalisierung bei staatlichen Ausschreibungen.

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