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Krieg durchkreuzt Pläne für grünen Strom in der Ukraine
Der ukrainische Markt für erneuerbare Energiequellen ist durch den Krieg weitgehend lahmgelegt. Trotzdem hat das Land ambitionierte Pläne für den Ausbau von Wind- und Solarkraft.
11.07.2022
Von Gerit Schulze | Berlin
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat dem Aufschwung bei erneuerbaren Energiequellen ein jähes Ende bereitet. Das Land gehörte zu den dynamischsten Standorten für neue Wind- und Solarkraftanlagen in Europa. Vor Kriegsausbruch waren grüne Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 9.656 Megawatt (MW) installiert. Sie sorgten 2021 für 8 Prozent der ukrainischen Stromproduktion.
Rund 90 Prozent aller Windräder nicht mehr nutzbar
Etwa zwei Drittel der ukrainischen Wind- und Solarparks stehen in den südlichen Regionen Saporischschja, Mykolajiw, Cherson, Dnipro und Odessa, die stark unter russischen Beschuss geraten sind. Inzwischen ist ein Großteil der Anlagen unbrauchbar. Energieminister Herman Haluschtschenko sagte Anfang Juli 2022, dass Russland bereits 90 Prozent aller Windräder zerstört habe oder besetzt halte. Die Erzeugerkapazitäten bei Fotovoltaik und Kraft-Wärme-Kopplung seien zu 30 Prozent beschädigt oder in die Hände der Okkupanten gefallen.
Für die Anlagenbetreiber bedeutet dies einen weiteren Nackenschlag. Denn schon vor dem Krieg hatten sie mit ausbleibenden Einspeisevergütungen durch das Staatsunternehmen Harantowany pokupez (Garantierter Käufer) zu kämpfen. Mit diesem schließen die Erzeuger von grünem Strom Abnahmeverträge und bekommen im Gegenzug garantierte Vergütungen.
Anlagenbetreiber bekommen keine Vergütung
Seit 2019 war die Ukraine dank eines attraktiven "grünen Tarifs" für alternativ erzeugten Strom ein beliebter Standort für Investitionen. Doch die Erzeuger bekamen zuletzt immer seltener die zugesagten Vergütungen. Um die Finanzierbarkeit des Modells zu erhalten, senkte die Regierung schon 2020 den grünen Tarif für Windstrom um 7,5 Prozent und für Solarstrom um 15 Prozent.
Nach Beginn des russischen Angriffs kürzte das Energieministerium am 28. März 2022 für die Zeit des Kriegszustandes die vertraglich vereinbarten Auszahlungen erneut: auf 15 Prozent der ursprünglichen Einspeisevergütung für Photovoltaik und auf 16 Prozent für Windenergie. Für andere Energiequellen wie Biogas und Biomasse betragen die Quoten 40 und 60 Prozent. Deutsche Anlagenbetreiber sagten gegenüber Germany Trade & Invest allerdings, dass sie seit mehreren Monaten überhaupt keine Zahlungen bekommen hätten.
Viele Kraftwerke stehen vor dem Aus
Investoren und Lobbyisten wie der Ukrainische Windenergieverband UWEA schlagen deshalb Alarm: Die aktuellen Preise reichten kaum aus, die Betriebskosten der regenerativen Anlagen zu decken. Bis Jahresende könnten sich die nicht gezahlten Einspeisevergütungen auf 1 Milliarde Euro erhöhen und viele Betreiber pleitegehen. Die Unternehmen fordern eine Vergütung von mindestens 30 bis 35 Prozent der ursprünglichen Zusagen. Die laufenden Einnahmen des Netzbetreibers Ukrenergo und des Garantierten Käufers seien dafür ausreichend.
Betreiber von Anlagen mit mehr als 150 Kilowatt Leistung sollten 2022 Vergütungen zwischen 1,79 Hrywnja und 7,55 Hrywnja je Kilowattstunde erhalten (6 Eurocent bis 25 Eurocent, Wechselkurs der ukrainischen Nationalbank am 8. Juli 2022: 1 Euro = 29,81 Hrywnja). Die Tarife legt die Regulierungsbehörde NERC fest.
Geografische Voraussetzungen perfekt für einen Boom
Die fehlende Planungssicherheit könnte die Pläne der Ukraine durchkreuzen, erneuerbare Energiequellen in Zukunft massiv auszubauen. Mit seinen riesigen Flächen im wind- und sonnenreichen Süden bietet das Land sehr gute Voraussetzungen für grünen Strom. Das Institut für Windenergie der Nationalen Akademie der Wissenschaften schätzte 2021 das Windkraftpotenzial der Ukraine auf 688 Gigawatt.
Bei der Wiederaufbaukonferenz am 4. und 5. Juli 2022 im schweizerischen Lugano machten sich europäische und ukrainische Solar- und Windkraftverbände für regenerative Energie stark. Sie forderten die EU auf, erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff beim Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg besonders zu unterstützten. Bis 2030 könnten mindestens 50 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen stammen, durch eine Kombination aus Dach- und Freiflächen bei Solarenergie sowie Onshore- und Offshore-Windparks. Dafür sollten europäische Technologieanbieter und Investoren eng mit der Ukraine zusammenarbeiten und die Stromnetze voll integriert werden. Zwischen der Ukraine und Deutschland besteht bereits seit dem Jahr 2020 eine Energiepartnerschaft.
Nutzung von Erneuerbaren zur Wasserstoffproduktion
Allein für die Produktion von grünem Wasserstoff plant die Ukraine in den kommenden zehn Jahren neue Wind- und Solarkraftanagen mit einer Leistung von 30 Gigawatt (GW). Außerdem strebt das Energieministerium eine lokale Produktion wichtiger Komponenten für erneuerbare Energiequellen an. Das geht aus den Plänen für die Branche hervor, die in Lugano präsentiert wurden.
Projekt | Notwendige Investition in Mio. US$ | Zeitrahmen |
---|---|---|
Schaffung von 30 GW Leistung aus erneuerbaren Energiequellen zur Produktion von grünem Wasserstoff | 38.000 | 2026 bis 2032 |
Schaffung von 5 bis 10 GW Leistung aus erneuerbaren Energiequellen plus 3,5 GW in Wasserkraft- und Pumpspeicherkraftwerken | 15.000 | 2026 bis 2032 |
Schaffung von 15 GW Elektrolysekapazitäten für Wasserstoffproduktion | 7.000 | 2026 bis 2032 |
Bau von Stromspeichern mit einer Leistung von 0,7 bis 1 GW sowie von Spitzenlastkraftwerken mit 1,5 bis 2 GW Leistung zur Netzstabilisierung | 2.800 | 2023 bis 2025 |
Lokalisierung von Komponenten für grüne Kraftwerke (Türme, Kabel, Solarpaneele, Batterien) | mehr als 2.000 | 2026 bis 2032 |
Die Industrieholding UFuture plant bereits einen neuen Windpark in der Westukraine mit einer Leistung von 300 MW. Konzernchef Wassyl Chmelnyzky sagte, das Projekt solle nach Kriegsende realisiert werden. Derzeit sei UFuture auf der Suche nach einem europäischen Partner.
Verkauf von Grünstrom in Europa angepeilt
Die Betreiber grüner Kraftwerke in der Ukraine hoffen darauf, ihren Strom bald auch in Europa verkaufen zu können. Dafür muss ihre Produktion aber noch für die Ausstellung von Grünstromzertifikaten anerkannt werden. Genug überschüssigen Strom gibt es zurzeit in der Ukraine. Seit Ausbruch des Krieges ist die Nachfrage nach Elektroenergie um etwa ein Drittel gesunken, weil Betriebe stillstehen und mehrere Millionen Menschen das Land verlassen mussten.
Am 16. März 2022 hatten die Ukraine und die Republik Moldau ihre Netze mit dem kontinentaleuropäischen Stromnetz verbunden. Inzwischen wurden die technischen Voraussetzungen geschaffen, um ukrainischen Strom in die Nachbarländer Rumänien, Slowakei und Ungarn zu übertragen. Ende Juni 2022 genehmigte der Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) ukrainische Stromverkäufe mit einer Handelskapazität von 100 MW.